Liebe BVG, zu deinem 90. Geburtstag –am 10. Dezember 1928 wurde die BVG als Zusammenschluss von verschiedenen Verkehrsbetreibern gegründet und nahm dann am 1.1.1929 ihren Betrieb auf – ist Dir der Glanz abhanden gekommen. Hach, früher: Nur zwei Wochen lang rund um das Kriegsende 1945 war der Betrieb ganz eingestellt, nicht mal die Teilung in zwei Betriebe 1949 – 1991 legte die BVG wirklich lahm. Doch das Bild, das der im Besitz des Landes befindliche Verkehrsbetrieb im Moment abgibt, ist der einst so innovativen Verkehrsmetropole unwürdig.
Streckennetz
Im Vergleich zu anderen Städten ist das seit 1902 in mehreren Phasen gebaute U‑Bahn-Netz mit 146 Kilometer langem Liniennetz gut ausgebaut. Den Wedding durchziehen immerhin drei Linien (U6, U8 und U9). Aber das nicht mal halb so große München, wo man erst 1965 mit dem U‑Bahn-Bau begonnen hat, ist auch schon bei 103 Kilometern angekommen. Und bei uns warten ganze Stadtteile wie das Märkische Viertel bis heute auf den U‑Bahn-Anschluss.
Die Entscheidung, die Straßenbahn 1967 im Westteil der Stadt einzustellen, hat sich schon vielfach gerächt. Seit 1995 profitieren ausgerechnet wir im Wedding davon, dass auf zwei Strecken nun, vom Osten kommend, leistungsfähige und schnelle Straßenbahnen wieder bis zum Virchowklinikum und nach Moabit rollen.
Note: befriedigend
U‑Bahn
Jahrzehntelang wurde der Betrieb auf Verschleiß gefahren. Nun sind die Fahrzeuge teilweise 60 Jahre alt und weisen so große Schäden auf, dass sie unwiderruflich aus dem Verkehr gezogen werden müssen. Neue Fahrzeuge kann man auch nicht von der Stange kaufen. In Verbindung mit dem fehlenden Werkstattpersonal und zu wenigen Fahrern ist in diesem Winter das U‑Bahn-Fahren zu einem Lottospiel geworden. Es kann einem im Berufsverkehr passieren, dass statt im 4‑Minuten-Takt auf der U6 und der U9 die Züge mit vier Wagen nur alle zehn Minuten kommen. Für 3 Milliarden Euro wurden jetzt 1500 neue Wagen bestellt, doch die kommen nach einer Ausschreibung frühestens in ein paar Jahren.
Note: mangelhaft
Straßenbahn
Die Straßenbahn ist in den letzten Jahren sichtbar moderner geworden. Die Hochflur-Straßenbahnen der Tatra-Reihe, die in den 1980er-Jahren aus der Tschechoslowakei importiert wurden, sind durch moderne Niederflurfahrzeuge ersetzt worden, die viel mehr Platz und einen niedrigen Einstieg bieten. Leider hat die Entwicklung des Netzes nicht Schritt gehalten. Seit 2014 die letzte, zwei Kilometer lange Neubaustrecke zum Hauptbahnhof in Betrieb ging, sind nur ein paar kleinere Baumaßnahmen konkret in Planung. Angekündigt sind große Netzausbauten, doch die werden noch viele Jahre (und viel geduldiges Papier) brauchen.
Note: gut
Bus
Große Gelbe, entweder Doppeldecker, Eindecker oder Gelenkbusse, stehen genauso im Stau wie die immer mehr werdenden Autos. Zwar sind die Fahrzeuge recht neu und sie fahren durch Fahrplanverbesserungen der BVG öfter als früher, doch wirklich schnell und bequem ist das Busfahren heutzutage nicht.„Innovationen“ wie neue Busspuren, wirklich funktionierende Vorrangschaltungen an Ampeln, Busschleusen oder Fahrkartenautomaten an Haltestellen? Fehlanzeige. Und so zuckeln die Busse, die im großen Betriebshof Müllerstraße beheimatet sind, gemächlich durch unsere Kieze, die Fahrer verkaufen stoisch die Tickets. Elektrisch fahren sie nur in anderen Stadtteilen, und das auf nur einer Linie. Hier könnte die BVG einen Modernisierungsschub gebrauchen.
Note: ausreichend
So, wir wollen der alten Dame den runden Geburtstag nicht weiter vermiesen. Wir kommen gerne zum Hundertsten vorbei und hoffen auf ein rauschendes Fest. Weil dann hoffentlich moderne U‑Bahnen, Straßenbahnen und Busse alle paar Minuten und schnell durch die Stadt rauschen.
Weise und abgewogen beschrieben. Weder in den “weil wir dich lieben”-Hype verfallen noch in das ewige Gemecker.