Noch nie war die Schwarmintelligenz so gefragt wie in diesen Zeiten, in der Aufreger und Emotionen Reichweite erhalten. Ja, wir leben in der unangenehmen Situation, in der es schwer vorherzusehen ist, welcher Schritt als nächstes der richtige ist. Deshalb: Gehe am 9. Juni wählen. Damit sich aus vielen Meinungen über den richtigen Weg die klügste Entscheidung bildet (und nicht die fühligste).
Im Wedding geht es darum, ob am Plötzensee das Baden kostenlos sein sollte, ob der Fahrradweg schmal oder breit sein sollte, ob Schule A oder Schule B renoviert werden sollte. Das sind keine unwichtigen Fragen, aber keine auf Leben und Tod. Leider leben wir - wieder - in einer Zeit, in der die Mächtigen der Welt nicht vor Mord und Totschlag zurückschrecken. Krieg, besonderer Einsatz, Vergeltung heißt dann das, bei dem große Ziele höher bewertet werden als einzelne Menschenleben. In der Ukraine genauso wie in Vorderasien. Europa kann sich nicht heraushalten, denn diese Kriege liegen geografisch nah. Und der starke Verbündete, die USA, geben zu erkennen, dass sie Europa nicht mehr ohne Bedingungen unterstützen wollen.
Weil es heute um Alles oder Nichts geht und weil gleichzeitig alle Auswege riskant sind, sind gefühlte Wahrheiten so verführerisch. Obwohl jeder in seinem privaten Leben die Erfahrung gemacht hat, dass Wut, Bockigkeit, Angst noch nie Vorteile eingebracht haben, lassen sich immer mehr Menschen von solchen Gefühlen einnehmen, sobald es um das öffentliche Leben geht, um Politik. Doch gegen Überschaum hilft nur Vernunft - die Schwarmvernunft.
Ja, der Einzelne kann mit seinem Urteil zur unüberschaubaren Weltlage nur daneben liegen (wer gibt es zu?). Wo ist die Mitte zwischen Tollkühnheit und Feigheit? Wo zwischen Kleinmut und Hochmut? Wo der Punkt ist, an dem die Pole ausgewogen sind, das beantwortet jeder anders. Am Wahltag, am 9. Juni, geht es darum, dass jeder Bürger ausspricht, wo er diesen Punkt sieht. Indem er eine Partei wählt, die sich dafür starkmacht, wofür er sich selbst einsetzt. Nicht, weil er glaubt, dass seine Antwort auf die aktuellen existenziellen Fragen, die einzig richtige wäre. Sondern, weil seine Antwort richtig sein könnte. Weil er sie sich überlegt hat und nicht von Hormonen hat diktieren lassen. Aus vielen Stimmen entsteht die Schwarmklugheit; eine Klugheit, die aus der Debatte der Vielen entsteht.
Manch einem ist vielleicht schon aufgefallen, dass in diesem Wahlaufruf das Argument fehlt: Schau mal, was Europa für den Wedding tut! Das ist Absicht. Denn Putin und anderen Machtsüchtigen geht es nicht um Gemeinden, Landstriche oder Ecken. In der Welt ist ein Pokerspiel im Gang, bei der es um Regionen, Ländereien und große Gebiete geht. In diesem Jahr wählen die Bürger nicht ein EU-Parlament, weil sie einen neuen Spielplatz wollen. Sondern weil sie wollen, dass auch morgen noch darüber diskutiert wird, wo ein neuer Spielplatz sinnvoll ist. Damit Sicherheit, Frieden, Stabilität weitergehen wie in den letzten 30 Jahren, dafür braucht es gereifte Antworten. Keine Panik, keine extremen Reaktionen, keine Kurzschlüsse. Deshalb: Geh wählen! Weil es um die Vernunft geht.
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