Mastodon

Wasserfreie Zahnpasta:
Denttabs – eine Idee aus der Gerichtstraße

26. September 2020
Foto: Tilman Vogler
Foto: Til­man Vogler

Unter Künst­ler­ate­liers, Werk­stät­ten, Woh­nun­gen und Hand­werks­be­trie­ben fin­det man in den Wed­din­ger Gerichts­hö­fen so manch wun­der­sa­me Din­ge. Hier wird gewer­kelt und gebas­telt, gemalt und gelebt. Wir haben uns an die­sem his­to­ri­schen Ort mal umge­schaut und berich­ten über unse­re Begeg­nun­gen und Erlebnisse.

Vom Gewerbekomplex zum Standort für Kunst

Gerichtshöfe Durchfahrt1860 als Fabrik­ge­län­de mit Wagen­re­mi­sen und Pfer­de­stäl­len errich­tet, wur­de das Gelän­de spä­ter erwei­tert. Es dien­te dem Eigen­tü­mer “Che­mi­sche Fabrik J.D. Rie­del AG” vor allem mit dem Kel­ler als Lager für explo­si­ve Che­mi­ka­li­en der eige­nen Glüh­strumpf­her­stel­lung. Erst 1912 grün­de­te sich die “Indus­trie­stät­te Nord­hof” und im Zuge des­sen wur­den die bis heu­te erhal­te­nen vier­stö­cki­gen Fabrik­häu­ser und das Wohn­haus errichtet.

Durch die his­to­ri­sche Ver­gan­gen­heit und der spä­te­ren unat­trak­ti­ven Lage nahe der Ber­li­ner Mau­er, zog es die ers­ten Kunst­schaf­fen­den erst 1983  wie­der in die leer­ste­hen­den Gewer­be­räu­me. Schnell jedoch wuchs der Stand­ort zu einem dyna­mi­schen Kunst­quar­tier. Nun ist es vor allem der 2004 gegrün­de­te Ver­ein “Kunst in den Gerichts­hö­fen e.V.”, der die Nach­bar­schaft und den Ort mit diver­sen Ver­an­stal­tun­gen wie zum Bei­spiel der “Lan­gen Nacht der Gerichts­hö­fe” belebt und über die Geschich­te des Ortes informiert.

Aber es ist nicht nur die film­rei­fe Geschich­te eines ver­las­se­nen Indus­trie­stand­orts, der – typisch Ber­lin – von Künstler:innen belebt und wie­der attrak­tiv gemacht wur­de. Mit­ten im Wed­din­ger Gewu­sel bie­ten die ins­ge­samt sechs Hin­ter­hö­fe bei­na­he Schutz vor dem Tru­bel auf den Stra­ßen. Der Duft von geba­cke­nen Teig­wa­ren ver­mischt sich mit fri­schem Farb­ge­ruch. Lieferant:innen tele­fo­nie­ren wild umher und wis­sen nicht so recht wohin in dem Laby­rinth aus Hin­ter­hö­fen und zahl­rei­chen Auf­gän­gen. Fahr­rad­fah­ren­de ärgern sich, dass das Tor zur Wie­sen­stra­ße geschlos­sen und die Abkür­zung miss­lun­gen ist. Die Gerichts­hö­fe sind ein beleb­ter Ort der Sinneserweiterung.

Hof 3, Aufgang D – zu Besuch bei denttabs

Geschäfts­füh­rer Axel Kai­ser zeigt die Ver­pa­ckungs­ma­schi­ne für die denttabs

Mit­ten­drin im Laby­rinth der Höfe bin ich mit den Men­schen ver­ab­re­det, wel­che Zahn­pas­ta in Tablet­ten­form her­stel­len. Für manch einen klingt das viel­leicht neu und man fragt sich, wie so ein was­ser­frei­es Zahn­putz­mit­tel wohl funk­tio­nie­ren soll. Genau dem ist ein Zahn­arzt schon vor 20 Jah­ren in den Gerichts­hö­fen auf dem Grund gegan­gen, wie mir Axel, Grün­der von denttabs und frü­he­rer Zahn­tech­ni­ker, erzählt. Basie­rend auf der Dok­tor­ar­beit des Arz­tes soll­te eine Zahn­pas­ta-Alter­na­ti­ve entstehen.

Zusam­men mit eini­gen ande­ren Betei­lig­ten und “einer Ver­ket­tung von Zufäl­len und Dick­köp­fig­keit” konn­te so schon 2003 die ers­te Tablet­te, wie wir sie heu­te sogar im Dro­ge­rie­markt kau­fen kön­nen, gepresst wer­den. Der frü­he­re Zahn­tech­ni­ker erzählt mir eine Men­ge über das rich­ti­ge Put­zen mit den mikrof­ei­nen Zel­lu­lo­se-Fasern, aus denen die Tabs zum Groß­teil bestehen. Es geht ums Polie­ren, nicht ums Schrubben.

Nachhaltigkeit bringt Erfolg

Wie bei jeder ande­ren Tablet­te – die Her­stel­lung des Zahn­putz­mit­tels unter­schei­det sich nicht.

Kein Belag, kein Kari­es. So das Ver­spre­chen. Wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en gibt es dazu bis­her nicht – mit der Zahn­pas­ta-Lob­by will es sich wohl kei­ner ver­scher­zen. Ich fin­de gut, dass sie frei von Mikro­plas­tik und kaum ver­packt sind. Zuge­ge­ben, viel Ahnung von Zahn­me­di­zin habe ich nicht. Aber ich bin von den Räum­lich­kei­ten fas­zi­niert! Über­all lagern Kis­ten in der schma­len Hal­le. Voll­ge­packt mit Zahn­pas­ta­ta­blet­ten. Hier fer­ti­gen sie also die Tablet­te, wel­che ich vor allem beim Rei­sen selbst immer in der Tasche habe. Die Nach­fra­ge sei hoch, sie kom­men mit der Pro­duk­ti­on kaum hinterher.

Denttabs LogoVom Wed­ding direkt in die Rega­le der Geschäf­te. Es fing als bana­le Idee an und wur­de ein vol­ler Erfolg. 2003 war das so noch nicht abzu­se­hen. Heu­te sind die denttabs vor allem aus Grün­den der Nach­hal­tig­keit bekannt: öko­lo­gisch, cir­ca 80% weni­ger ver­packt als her­kömm­li­che Zahn­pas­ta und ohne unnö­ti­ge Zusatz­stof­fe. Man­che Din­ge brau­chen eben vie­le Jah­re, bis genü­gend Leu­te ihre Not­wen­dig­keit erkennen.

Das Laby­rinth “Gerichts­hö­fe” hat sich mir nach die­sem Aus­flug ein wenig erschlos­sen. Und doch fra­ge ich mich, was für beson­de­re Din­ge hin­ter all den ande­ren Türen wohl Tag für Tag pas­sie­ren mögen, wenn es im Hof 3, Auf­gang D 15 Mil­lio­nen pro­du­zier­te Tablet­ten monat­lich sind. Ich wer­de wie­der­kom­men und dem Unge­wöhn­li­chen begegnen.

 

Charleen Effenberger

Mag den Wedding und das Schreiben - und die Kombination aus Beidem. Seit 2017 hier vor Ort möchte sie bleiben; nicht zuletzt um dabei sein zu können, wenn der Wedding endlich kommt.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

MastodonWeddingweiser auf Mastodon
@[email protected]

Wedding, der Newsletter. 1 x pro Woche



Unterstützen

nachoben

Auch interessant?