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Über Vergessen und Magie am Eckernförder Platz

9. Juli 2014
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Mit mei­ner Toch­ter auf allen Wegen unter­wegs zu sein, hier im wun­der­schö­nen Wed­ding. Ihr die schö­nen Din­ge zu zei­gen, die Viel­falt, aber auch den Wider­spruch. Aus allen Wel­ten eben etwas, vor allem aber das Ver­ges­sen und die Orte, die bald ver­ges­sen sein wer­den. Wie der Eckern­för­der Platz.

Eckernförder PlatzAlso gilt’s. Der Wecker klin­gelt, doch die Klee­ne weiß nicht recht. Ist sie ein frü­her Vogel oder doch lie­ber eine Eule? Fes­te Struk­tu­ren geben ihr nichts, noch nichts zumindest. 

Wir zie­hen uns an. Wei­ßes Shirt mit Sab­ber­fleck. Ja, das steht uns bei­den gut. Dann rechts die Stra­ße run­ter, auf in den Goe­the­park, den Plöt­zen­see schon fast vor Augen. Es ist unser täg­lich Ritu­al schon fast gewor­den. Und wäh­rend wir wan­deln, fol­gen ihre Augen all den tol­len Kon­tras­ten, den dunk­len Tönen und vor allem dem wehen­dem Grün. Schritt für Schritt. Sie gespannt im Kin­der­wa­gen und ich als Schub­kraft hin­ter ihr. 

Vom Plötzensee ein kleiner Sprung zum Eckernförder Platz

Zu ent­de­cken gibt es aller­hand. Gro­ße Augen macht sie schon, denn wir sind bei­nah ange­kom­men. Ein Platz, benannt nach einer Stadt an der Ost­see. Im Nor­den an der Küs­te, wo wir als Fami­lie viel­leicht den ers­ten Urlaub machen wer­den. Auf einem Bau­ern­hof viel­leicht. Zie­gen­wie­sen und krei­sen­de Fal­ken, Gän­se füt­tern und Schwei­ne ärgern. Das könn­te uns allen gut gefallen.

Ange­kom­men am Eckern­för­der Platz. An den Ufern des Kanals gele­gen, irgend­wo zwi­schen West­ha­fen und Wed­din­ger Welt. Man sieht Bän­ke dort und Men­schen. Man­che wir­ken ver­lo­ren, man­che hin­ge­gen froh, als sie die­sen Ort ver­las­sen dür­fen. In Rich­tung Spren­gel­kiez viel­leicht. Oder ent­ge­gen­ge­setzt in Rich­tung Frei­bad oder zu der Bade­stel­le schräg gegenüber.

Das Gartencafé und der heimliche Herrscher Orpheus

Wir blei­ben indes am Eckern­för­der Platz. In die­sem Nie­mands­land, in das sich heu­te nur Weni­ge zu ver­ir­ren schei­nen. Ein klei­nes Wäld­chen ist’s bloß, kaum durch­schau­bar, unsicht­bar bei­nah. Man schaut den Men­schen hin­ter­her, die kaum den zwei­ten Blick in Rich­tung Wäld­chen wagen. Der Eckern­för­der Platz. Einst ein im Wed­ding Ort für ein belieb­tes Gar­ten­lo­kal. Aus­flugs­ziel. Spä­ter has­tig mit Bun­ker­an­la­gen unter­höhlt. Doch bei­des ist schon lan­ge her. Viel­leicht soll­te die­ser Ort, gefan­gen zwi­schen zwei Stras­sen­läu­fen Eckern­för­der Wäld­chen hei­ßen. Ein magi­scher Ort im Heute.

Eckernförder Platz (C) Tobias WeberTrotz allem, allein und für sich ist man an die­ser Stel­le nie. Hat man sich in die Mit­te des Wäld­chens vor­ge­wagt, so steht er da, der heim­li­che Herr­scher der Bäu­me und der Tie­re. In Sand­stein steht er gehau­en. Im Dickicht. Sei­ne Arme hat er ein­ge­büßt und auch sei­nen Kopf. Nur die Har­fe trägt er noch. 

Aus der Zeit gefal­len, schlim­mer noch: an einem ihm frem­den Ort scheint er zu ste­hen. Sein Name ist Orpheus, grie­chi­scher Gott, der nun in sei­nen über hun­dert Lebens­jah­ren ein neu­es Zuhau­se im Wed­ding gefun­den hat. Wie man viel­leicht über­all ein neu­es Zuhau­se fin­den kann. Er wird dem Ver­fall preis­ge­ge­ben, bis viel­leicht nur noch Sand von ihm übrig ist.

Das verhinderte Zigeunerlager

Wie in jeder guten Geschich­te fehlt auch an die­sem Ort die Tra­gik nicht. Die Tra­gik des Plat­zes geht so: Nicht alle Fami­li­en waren dem Wed­din­ger stets will­kom­men. Also woll­te man sie am liebs­ten ver­set­zen. Aus ihrem Fami­li­en­zu­hau­se in der Lon­do­ner Stra­ße zum Bei­spiel ver­trei­ben. Doch auch hier, am Eckern­för­der Platz soll­ten die Fami­li­en nicht blei­ben dür­fen. Anwoh­ner und Lokal­be­trei­ber ver­hin­der­ten dies. So lan­de­ten die Fami­li­en aus der Lon­do­ner Stra­ße im weit ent­fern­ten Mar­zahn. Ihr neu­es Zuhau­se nann­te der Umgangs­ton “Zigeu­ner­la­ger”. 1936 schrieb das Jahr.

Jeder weiß, der Wed­ding hat pro­tes­tiert. Damals, als es wich­tig war. Pro­tes­tiert für den Frie­den, aller­dings nur für den eige­nen. Lei­der nicht und wenn, dann nur sehr lei­se für den Frie­den der Ande­ren. Auch davon möch­te ich der Klee­nen erzäh­len: vom Wider­spruch im Wedding. 

Auch, weil er Teil von mir ist, wie er Teil von ihr ist. Mär­chen und Geschich­ten brin­gen das Gute im Men­schen her­vor. Lei­der sind sie nicht immer mit der Rea­li­tät ver­söhn­lich in Ein­klang zu brin­gen. Rea­li­tät ist viel­schich­tig und kom­plex. Und so lernt man am Eckern­för­der Platz, das rote Mär­chen, genau wie das Ver­ges­sen, eben nur ein Teil des Gan­zen sind.

Tobi­as schreibt als John­ny regel­mä­ßig auf http://weddingerberg.de einen Fami­li­en­blog aus Vater­per­spek­ti­ve. Manch­mal mit einem Augen­zwin­kern. Manch­mal ohne.

3 Comments Leave a Reply

  1. […] in die Stadt­au­to­bahn A 100 über­geht. Für Rad­fah­rer und Fuß­gän­ger gibt es am wäld­chen­ar­ti­gen Eckern­för­der Platz den geteer­ten Rad­fern­weg Ber­lin-Kopen­ha­gen; die Stra­ße Nord­ufer wird hier jedoch unterbrochen. […]

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