Das Afrikanische Viertel ist ein erstaunlich grünes, vom Fluglärm einmal abgesehen auch ruhiges, kleinbürgerliches Viertel am Rand des Wedding. Hier wohnen viele Menschen ihr ganzes Leben lang. Die Straßennamen klingen oft exotisch und passen manchmal gar nicht zum etwas miefigen und grauen Erscheinungsbild des Viertels. Dass sich dort Stadtführungen hin verirren, kommt in letzter Zeit immer häufiger vor und stößt bei manchen Anwohnern nicht nur auf kein Interesse, sondern sogar auf Unverständnis.
Die Stadtführerin Dr. Gerhild Komander leitet gemeinsam mit Josephine Apraku am 27.6. einen von der SPD Mitte organisierten Rundgang und ist für die architekturhistorischen Details zuständig. Denn das Viertel besitzt mit der Friedrich-Ebert-Siedlung ein bedeutendes Baudenkmal aus den 1920er Jahren. In zwei Baubschnitten haben Bruno Taut und Mebes & Emmerich ihre Vorstellungen von modernem, demokratischen Wohnungsbau realisiert. “Man beachte die einfache Fassadengliederung” zeigt Komander, “nur mit einem leichten Vorsprung und den Treppenhausfenstern wird die Fassade gestaltet.”
Bauhaus-Architektur ist das nicht – dafür sind die Gebäudeformen noch zu vielgestaltig. Der historische Putz ist von einem beige-grauen Rauhputz ersetzt: “Nur ein Gebäude hat wieder den glatten Putz”, erklärt Komander – wenn auch die Farben nicht historisch exakt sind. Revolutionär war die Architektur damals auf jeden Fall – und aus politischen Gründen sogar von den Kommunisten geschmäht. Denn hier wohnte die klassische SPD-Wählerschaft, das “Stehkragenproletariat”. Großzügige Grünflächen zwischen den in Zeilenbauweise errichteten Mehrfamilienhäusern boten weitaus bessere Wohnbedingungen als die Mietskasernen der Innenstadt. Den Nazis waren die als hässlich empfundenen Flachbauten ein Dorn im Auge – sie überbauten die Togostraße mit einem den Blick versperrenden Gebäuderiegel und benannten die Siedlung kurzerhand in “Eintracht” um. Aus hochfliegenden Plänen für ein Sportgelände zwischen Togo- und Müllerstraße wurde nichts: dort wurden recht einfallslose Gebäude mit Satteldach hochgezogen und im Zwischenraum eine Dauerkleingartenkolonie – namens “Togo” angelegt
Wenn Josephine Apraku Besuchergruppen durch das Viertel führt, bleibt sie an den drei Straßen Petersallee, Nachtigalplatz und Lüderitzstraße stehen. Diese drei Straßennamen fallen aus dem Raster: sonst sind die Straßen im Viertel , beginnend ab 1899 bis 1958, nach afrikanischen Orten oder Ländern benannt. “Carl Peters haben erst die Nationalsozialisten mit der Straße ein Denkmal gesetzt”, sagt Apraku. Der unternehmungslustige Afrikaforscher hinterließ im schwarzen Kontinent eine blutige Spur des Schreckens. 1986 scheiterte der Plan, die Straße umzubenennen: “Statt dessen wurde sie umgewidmet, was ein großer Unterschied ist”, erklärt die dunkelhäutige Stadtführerin. Nun heißt die Petersallee – halbherzig ‑nach Hans Peters, einem CDU-Stadtverordneten.
Adolf Lüderitz hat eine längere Straße im Wedding. Auch er gehört wie Gustav Nachtigal zu den Deutschen, die auf trickreiche und unternehmungslustige Art große Gebiete unter den “Schutz” des Deutschen Kaiserreiches stellten. Kein Ruhmesblatt für ein Viertel, dass Straßen nach skrupellosen Unternehmern wie ihm benannt sind.
Die Besuchergruppe staunt nicht schlecht – selbst Anwohner und Kenner des Viertels sind überrascht, wie viele Geschichten hinter den grauen Fassaden ihres Viertels stecken. Für den Bezirksbürgermeister Dr. Christian Hanke ist das Viertel der ideale Ort, um an die deutsche Kolonialgeschichte zu erinnern. Er sieht die Chance, hier einen Lern- und Gedenkort zu errichten. Das ganze Viertel steht in einmaliger Weise für die deutsche Kolonialgeschichte. Nur die drei Straßennamen, mit denen die “Afrikaforscher” geehrt werden – mit denen können der Bürgermeister, afrikanische Initiativen und auch manche Anwohner nicht leben.
Ein Viertel, das viele Geschichten erzählt: über Afrika, die deutschen Kolonien, aber auch über die demokratische Architektur der Zwischenkriegszeit: das Afrikanische Viertel wird hoffentlich noch für manche Stadtführung ein Thema sein.
Mehr über die Kolonialgeschichte gibt es hier.
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