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Über Kolonien, Afrikaforscher und Straßennamen – Stadtführung durch das Afrikanische Viertel in Berlin-Wedding

28. Juni 2011
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Das Afri­ka­ni­sche Vier­tel ist ein erstaun­lich grü­nes, vom Flug­lärm ein­mal abge­se­hen auch ruhi­ges, klein­bür­ger­li­ches Vier­tel am Rand des Wed­ding. Hier woh­nen vie­le Men­schen ihr gan­zes Leben lang. Die Stra­ßen­na­men klin­gen oft exo­tisch und pas­sen manch­mal gar nicht zum etwas mie­fi­gen und grau­en Erschei­nungs­bild des Vier­tels. Dass sich dort Stadt­füh­run­gen hin ver­ir­ren, kommt in letz­ter Zeit immer häu­fi­ger vor und stößt bei man­chen Anwoh­nern nicht nur auf kein Inter­es­se, son­dern sogar auf Unverständnis.

Gerhild Komander an der Ecke Damarastraße
Stadt­füh­re­rin Koman­der erklärt die moder­ne Archi­tek­tur – Bür­ger­meis­ter Han­ke hört inter­es­siert zu

Die Stadt­füh­re­rin Dr. Ger­hild Koman­der lei­tet gemein­sam mit Jose­phi­ne Apra­ku am 27.6. einen von der SPD Mit­te orga­ni­sier­ten Rund­gang und ist für die archi­tek­tur­his­to­ri­schen Details zustän­dig. Denn das Vier­tel besitzt mit der Fried­rich-Ebert-Sied­lung ein bedeu­ten­des Bau­denk­mal aus den 1920er Jah­ren. In zwei Baubschnit­ten haben Bru­no Taut und Mebes & Emme­rich ihre Vor­stel­lun­gen von moder­nem, demo­kra­ti­schen Woh­nungs­bau rea­li­siert. “Man beach­te die ein­fa­che Fas­sad­en­glie­de­rung” zeigt Koman­der, “nur mit einem leich­ten Vor­sprung und den Trep­pen­haus­fens­tern wird die Fas­sa­de gestaltet.”

Unsaniert, saniert: das einzige weiße Haus in der oberen Togostraße
Unsa­niert, saniert: das ein­zi­ge wei­ße Haus in der obe­ren Togostraße

Bau­haus-Archi­tek­tur ist das nicht – dafür sind die Gebäu­de­for­men noch zu viel­ge­stal­tig. Der his­to­ri­sche Putz ist von einem beige-grau­en Rauh­putz ersetzt: “Nur ein Gebäu­de hat wie­der den glat­ten Putz”, erklärt Koman­der – wenn auch die Far­ben nicht his­to­risch exakt sind. Revo­lu­tio­när war die Archi­tek­tur damals auf jeden Fall – und aus poli­ti­schen Grün­den sogar von den Kom­mu­nis­ten geschmäht. Denn hier wohn­te die klas­si­sche SPD-Wäh­ler­schaft, das “Steh­kra­gen­pro­le­ta­ri­at”. Groß­zü­gi­ge Grün­flä­chen zwi­schen den in Zei­len­bau­wei­se errich­te­ten Mehr­fa­mi­li­en­häu­sern boten weit­aus bes­se­re Wohn­be­din­gun­gen als die Miets­ka­ser­nen der Innen­stadt. Den Nazis waren die als häss­lich emp­fun­de­nen Flach­bau­ten ein Dorn im Auge – sie über­bau­ten die Togo­stra­ße mit einem den Blick ver­sper­ren­den Gebäu­de­rie­gel und benann­ten die Sied­lung kur­zer­hand in “Ein­tracht” um. Aus hoch­flie­gen­den Plä­nen für ein Sport­ge­län­de zwi­schen Togo- und Mül­lerstra­ße wur­de nichts: dort wur­den recht ein­falls­lo­se Gebäu­de mit Sat­tel­dach hoch­ge­zo­gen und im Zwi­schen­raum eine Dau­er­klein­gar­ten­ko­lo­nie – namens “Togo” angelegt

Wenn Jose­phi­ne Apra­ku Besu­cher­grup­pen durch das Vier­tel führt, bleibt sie an den drei Stra­ßen Peter­s­al­lee, Nach­ti­gal­platz und Lüde­ritz­stra­ße ste­hen. Die­se drei Stra­ßen­na­men fal­len aus dem Ras­ter:  sonst sind die Stra­ßen im Vier­tel , begin­nend ab 1899 bis 1958, nach afri­ka­ni­schen Orten oder Län­dern benannt. “Carl Peters haben erst die Natio­nal­so­zia­lis­ten mit der Stra­ße ein Denk­mal gesetzt”, sagt Apra­ku. Der unter­neh­mungs­lus­ti­ge Afri­ka­for­scher hin­ter­ließ im schwar­zen Kon­ti­nent eine blu­ti­ge Spur des Schre­ckens. 1986 schei­ter­te der Plan, die Stra­ße umzu­be­nen­nen: “Statt des­sen wur­de sie umge­wid­met, was ein gro­ßer Unter­schied ist”, erklärt die dun­kel­häu­ti­ge Stadt­füh­re­rin. Nun heißt die Peter­s­al­lee – halb­her­zig ‑nach Hans Peters, einem CDU-Stadtverordneten.

Josephine Apraku an der Windhuker Straße
Jose­phi­ne Apra­ku an der Wind­huk­er Straße

Adolf Lüde­ritz hat eine län­ge­re Stra­ße im Wed­ding. Auch er gehört wie Gus­tav Nach­ti­gal zu den Deut­schen, die auf trick­rei­che und unter­neh­mungs­lus­ti­ge Art gro­ße Gebie­te unter den “Schutz” des Deut­schen Kai­ser­rei­ches stell­ten. Kein Ruh­mes­blatt für ein Vier­tel, dass Stra­ßen nach skru­pel­lo­sen Unter­neh­mern wie ihm benannt sind.

Die Besu­cher­grup­pe staunt nicht schlecht – selbst Anwoh­ner und Ken­ner des Vier­tels sind über­rascht, wie vie­le Geschich­ten hin­ter den grau­en Fas­sa­den ihres Vier­tels ste­cken. Für den Bezirks­bür­ger­meis­ter Dr. Chris­ti­an Han­ke ist das Vier­tel der idea­le Ort, um an die deut­sche Kolo­ni­al­ge­schich­te zu erin­nern. Er sieht die Chan­ce, hier einen Lern- und Gedenk­ort zu errich­ten. Das gan­ze Vier­tel steht in ein­ma­li­ger Wei­se für die deut­sche Kolo­ni­al­ge­schich­te. Nur die drei Stra­ßen­na­men, mit denen die “Afri­ka­for­scher” geehrt wer­den – mit denen kön­nen der Bür­ger­meis­ter, afri­ka­ni­sche Initia­ti­ven und auch man­che Anwoh­ner nicht leben.

Ein Vier­tel, das vie­le Geschich­ten erzählt: über Afri­ka, die deut­schen Kolo­nien, aber auch über die demo­kra­ti­sche Archi­tek­tur der Zwi­schen­kriegs­zeit: das Afri­ka­ni­sche Vier­tel wird hof­fent­lich noch für man­che Stadt­füh­rung ein The­ma sein.

Mehr über die Kolo­ni­al­ge­schich­te gibt es hier.

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

3 Comments Leave a Reply

  1. […] Hier erfah­ren Sie mehr über eine Stadt­füh­rung von Frau Dr. Koman­der durch das Afri­ka­ni­sche Viertel. […]

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