„Ich wäre sehr froh, wenn ich hier nicht gleich zerfleischt würde‟, schreibt die Facebook-Nutzerin Rassina Berlin in einer großen Wedding-Gruppe. Ihre Furcht vor einem Wutanfall der Mitbürger ist nicht unbegründet, denn Rassina Berlin füttert den Taubenschwarm am Gesundbrunnen – und sucht Helfer. Was sagen Experten dazu? Ist artgerechte Fütterung durch Nachbarn sinnvoll?
Derk Ehlert ist Wildtierexperte. Er klärt auf, dass Tauben keine echten Wildtiere sind, sondern sich aus ausgesetzten Brieftauben entwickelt haben. Die ursprüngliche wilde Felsentaube ist schon seit der Antike domestiziert worden. Man könnte die Erklärung so verstehen, dass Stadttauben wie streunende Hunde anzusehen sind. Als Wildtierexperte nimmt Derk Ehlert nicht einzelne Individuen in den Blick, sondern die gesamte Art Columba livia domestica. „Die Arterhaltung der verwilderten Stadttaube in keinster Weise abhängig von gezielter Fütterung durch den Menschen‟, sagt der Experte. Das sei aus „wildtierbiologischer Sicht nicht nötig‟. Könnten Falken oder Habichte als natürliche Feinde für eine ökologische Regulierung sorgen? „In Berlin gibt es rund 120 Habichtfamilien, die schaffen es nicht, den Taubenbestand zu reduzieren‟.
Kathrin Herrmann ist Berlins oberste Tierschutzbeauftragte. Sie sagt: “Das Füttern von Stadttauben ist in der Regel zur Linderung der häufigen Mangelernährung der Tiere hilfreich”. Grund: Denn “als sogenannte Hartkörnerfresser finden sie im urbanen Raum kaum entsprechende Nahrung”. Einschränkung ist: Es sollte “nur artgerechtes Futter angeboten werden”. Dies zudem in Mengen, die die entsprechenden Schwärme in kürzester Zeit aufnehmen. Liegenbleibendes Futter verdirbt, verunreinigt das zumeist öffentliche Straßenland und zieht Ratten und Mäuse an. Kritik übt sie an Hochzeitstauben: Schwärme in der Stadt genießen “einen ständigen Zuzug von entflogenen/verirrten/freigelassenen Zucht-/Brief-/Hochzeitstauben”. Manche Menschen denken, Tauben in Schwärmen seien gewissermaßen zu viel und ein Problem. Kathrin Herrman sagt: “Die Stadttaube lebt in Schwärmen. Eine feste Zahl, ab wann es ‘problematisch’ für einen Schwarm wird, gibt es nicht.” Was viele ebenfalls nicht wissen: “Stadttauben unterliegen als Nachkömmlinge von in Menschenhand gehaltenen Tieren (Brief‑, Mast- oder Zuchttauben) einem angezüchteten Brutzwang. Das bedeutet, sie brüten unabhängig vom vorhandenen Nahrungsangebot.”
Auf Wikipedia ist kurz und bündig zu lesen: „Nachweislich wirksam zur Beschränkung der Stadttaubenpopulation bei gleichzeitiger Verbesserung des Gesundheitszustandes ist ausschließlich die Verringerung des Futterangebotes (Fütterverbot)‟. Für Tierschützer eine grausame Vorstellung. Dennoch schreibt selbst die Aktion RespektTaube fettgedruckt: „Bitte nicht unkontrolliert füttern.‟
Den Hashtag #RespektTaube hat der Tierschutzbund für seine Taubenschutz-Kampagne geschaffen. Er wirbt für Taubenhäuser und Taubentürme an Brennpunkten. Die Idee ist, Tauben anzulocken, damit gezielt Eier gegen Attrappen ausgetauscht werden können. Dieses Vorgehen wird Augsburger Modell genannt. Wie erfolgreich das Modell ist, ist offenbar umstritten.
Verboten ist das Füttern von Tauben in Berlin anders als in anderen Großstädten nicht. Gefährlich sind Tauben nicht, sie übertragen nicht mehr Krankheiten als Singvögel.
Der Text stammt aus der Weddinger Allgemeinen Zeitung, der gedruckten Zeitung für den Wedding. Geschrieben wurde er von Andrei Schnell. Wir danken dem RAZ-Verlag.
@Jupp Schmitz: Sie müssen hier unterscheiden zwischen Leuten, die aus Tierschutzgründen füttern und denjenigen, die nur ihre Abfälle loswerden wollen und ohne Hirn und Verstand Brot irgendwo abladen. Dieses Futter macht krank, das artgerechte Futter nicht. Warum man sich kümmern muss und die Tiere nicht einfach sich selbst überlassen kann, steht in meinem obigen Kommentar.
Leider bin ich bislang nur in den zweifelhaften Genuss gekommen, Leute anzusprechen, die absolut verständnislos auf meine Argumente reagierten.
Das größte war, als ich eine ältliche Dame auf die Fütterung ansprach: „Ja, aber dann muss ICH das Brot ja wegschmeißen!“
I.Ü. finde ich nicht, dass man sich kümmern MUSS! Wenn man die Tiere sich selbst überlässt, wird es sich schon einrenken, aber natürlich nicht, wenn an jeder Ecke Futter rumliegt!
Der Punkt ist, dass Derk Ehlert Wildtierexperte ist. Die Stadttauben sind jedoch keine Wildtiere, wie er ja sogar selbst erwähnt. Bei der Fütterung mit Körnerfutter, die einige Privatpersonen leisten, geht es dementsprechend nicht um Artenschutz, sondern um die Versorgung von Tieren, die wir Menschen in ihrer jetzigen Charakteristik gezüchtet und in die Städte gebracht haben. Deshalb tragen wir Menschen auch Verantwortung für diese Tiere. Sie sind praktisch das deutsche Pendant zu Straßenhunden in anderen Ländern Europas. Die Leute, die die Fütterung übernehmen, sind auch nicht alle verhuschte ältere Damen, sondern kümmern sich auch um kranke und verletzte Tiere und tauschen Eier, wo die Nester erreichbar sind.
Der Artikel ist recht oberflächlich und es kommt z. B. keiner der Stadttaubenvereine zu Wort. Diese setzen sich seit Jahren für eine Umsetzung des Augsburger Modells ein. Standorte hierfür sind rar und von Seiten der Stadt passiert da nicht viel. Dabei bringt die Errichtung von mehreren Taubenschlägen sogar für Taubenfeinde Vorteile: 1. die Tiere lungern weniger auf Plätzen rum, weil die Futtersuche überflüssig wird. 2. Der Kot verbleibt größtenteils im Schlag und kann dort leicht entfernt werden, da die Tauben sich hauptsächlich dort aufhalten. 3. Die Konsistenz des Kots ist fester und somit weniger eklig, da eine artgerechte Ernährung erfolgt. 4. Nachwuchs kann durch das Tauschen der Eier gegen Attrappen reduziert werden.
Taubenschläge in angemessener Anzahl würden auch Futteraktionen von Privatpersonen praktisch obsolet machen. Die Brieftaubenzüchtervereine könnte man hier doch mal zur Kasse bitten. Schließlich sorgen sie stets für Nachschub an Tauben in diversen Städten.
Wer jemals Tauben in seiner unmittelbaren Nachbarschaft (Balkon, Dachstuhl etc.) hatte, wird vermutlich ebenso wie ich anders darüber denken!
1. Tauben sind sehr standortreu und man muss schon einiges an Energie aufbringen, um sie final zu vertreiben;
2. Tauben sind sehr lernfähig und merken schnell, dass ihnen von Windspielen; Plastikraben etc. KEINE Gefahr droht;
3. Tauben sind laut und “schnakseln” dauernd; letzteres führt zu einer Überpopulation, da die üblichen Freßfeinde (Habichte …) fehlen;
4. Die (zumeist von älteren, alleinstehenden Damen) angerichteten Fütterungsorgien führen dazu, dass neben den Tauben, die regelrecht überfüttert werden, durch liegengebliebene Futterreste anderes Viehzeug (Ratten usw.) angezogen werden.
Final: Es gibt KEINEN Grund, in einer Stadt Tauben zu goutieren!
Wir beobachten den Streit zwischen denen, die Tauben füttern und so ihre Tierliebe ausleben und denen, die das ablehnen und Tauben für lästig halten, schon länger – zum Beispiel auf der Pinnwand, aber nicht nur. Wir waren einfach mal neugierig, was der Naturschutz dazu sagt und haben die Verantwortlichen gefragt. Derk Ehlert ist ja eigentlich ein guter Gesprächspartner und ein Experte für Wildtierfragen. Leider rückte er für unseren Geschmack nicht so richtig raus mit der Sprache, ob man Tauben nun auf keinen Fall oder doch füttern sollte. Wir hatten das anders erwartet und nehmen einfach mal zur Kenntnis, dass es da offenbar kein eindeutiges Richtig oder Falsch gibt. Es bleibt bei verschiedenen Sichtweisen.
“Wir beobachten den Streit zwischen denen, die Tauben füttern und so ihre Tierliebe ausleben und denen, …”
Es gibt zuweilen diverse krankhafte, übersteigerte Formen der Tierliebe. Und die Taubenfütterung gehört eindeutig dazu, da man den Tieren (und den übrigen Menschen) damit keinen Gefallen tut! Ähnlich wie bei den Enten-Fütterungorgien am Möwensee führt dies nur zu Massenverdreckung und kranken Tieren. Schade nur, dass dies in Berlin – im Ggs. zu vielen anderen Städten – nicht strafbewehrt ist!