Designer-Babys, geklonte Schafe oder Gen-Food sind wahrscheinlich die ersten Dinge, die einem Menschen in den Sinn kommen, wenn er oder sie das Wort ‚Gentechnik‘ hört. Seit der Corona-Pandemie denken viele vielleicht aber auch an den bahnbrechenden mRNA-Impfstoff von Pfizer und BioNtech.Kleiner Exkurs: BioNtech steht für Bio and Technology, zu deutsch also Biotechnologie, genau die Technologie, mit welcher ich mich am Virchow-Klinikum im Wedding beschäftige.
Wer aus Köln kommt, kennt das dortige “Belgische Viertel” eher als Ausgehmeile. Nicht ganz so ausgeprägt ist das in Berlin: das nach belgischen Städten und Regionen benannte Weddinger Viertel besitzt eine schöne Altbausubstanz aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg und aus der Zwischenkriegszeit, ein paar schöne Kneipen und die Vagabund-Brauerei gibt es auch. Leider wirkt es an manchen Stellen aber etwas vernachlässigt. Eine Bürgerinitiative kümmert sich seit Jahren darum, den Kiez wieder nach vorne zu bringen und aus dem Schatten der benachbarten Viertel zu holen. Denn das Potenzial ist enorm: mit der Beuth-Hochschule, dem Wochenmarkt in der Genter Straße (mittwochs und samstags) und seiner schönen Bausubstanz hat der Brüsseler Kiez gute Chancen, ein äußerst attraktives Wohngebiet in zentraler Lage zu werden. Die Grünanlage auf dem Zeppelinplatz in der Mitte des Viertels wurde 2016/17 mit Fördergeldern radikal umgestaltet und aufgehübscht. Ein großer Spielplatz zieht viele große und kleine Weddinger an.
Wichtige wissenschaftliche und kulturelle Einrichtungen gehören aber auch zum Brüsseler Kiez: dort oder in unmittelbarer Nähe befinden sich nämlich das Deutsche Institut für Zuckerforschung mit dem Zucker-Museum (2012 geschlossen), das 1923 gegründete Anti-Kriegs-Museum, die Krankenhausstadt Campus Charité Virchow-Klinikum, das bundesweit bekannte Robert-Koch-Institut und das Institut für Gärungsgewerbe und Biotechnologie.
Robert Koch Institut an der Seestraße
Klar abgegrenztes Viertel mit Beuth-Hochschule
Vergleichsweise spät ist dieses Viertel bebaut worden. Eine erste Bauphase war die Zeit um das Jahr 1900, als die typischen Mietskasernen rund um die Brüsseler Straße hochgezogen worden. Die Kapernaumkirche, die ursprünglich an einem kleinen Platz stehen sollte, ist heute in die Ecke Antwerpener Straße des Boulevards Seestraße integriert. Mit ihrer Formensprache knüpft die 1902 fertiggestellte Kirche an romanische Sakralbauten im Rheinland an. Die Seestraße selbst ist Teil der Berliner Ringstraßen, die von Peter Joseph Lenné 1841 geplant wurden. Mit ihrem breiten Mittelstreifen, in dem auch die einzige im Westteil Berlins verkehrende Straßenbahnstrecke verläuft, ist sie eine der verkehrsreichsten und breitesten Straßen im Norden der Stadt. Der Abschnitt der Seestraße, der an den Brüsseler Kiez grenzt, erhält durch die geschlossene Bebauung aus der Kaiserzeit einen besonders großstädtischen Charakter.
In einer zweiten Bauphase wurde das Gebiet rund um den Zeppelinplatz bebaut. Mit dem heutigen Haus Beuth, 1909 von Ludwig Hoffmann erbaut, steht ein beeindruckendes Schulgebäude für den ältesten Teil der Technischen Fachhochschule, heute die Beuth-Hochschule mit immerhin 12.000 Studierenden.
Rund um diesen einen ganzen Block einnehmenden Gebäudekomplex sind in den 1920er Jahren zahlreiche Anlagen des sozialen Wohnungsbaus entstanden. Eine Wohnanlage der gleichen Wohnungsbaugesellschaft besteht aus vier sehr unterschiedlich gestalteten Blöcken. Dort lebt es sich, trotz der unmittelbaren Nähe einer Fachhochschule und umrahmt von wichtigen Hauptverkehrsstraßen, überraschend ruhig und grün. Das Brüsseler Viertel ist ein lebendiger und überschaubarer Kiez mitten in der Großstadt, in dem es sich ganz gut leben lässt. Insgesamt ist das Viertel “normal” geblieben – und das ist ja auch schon etwas.