Meinung Ist das jetzt unnötiges Zungenbrecherdeutsch oder notwendiger Respekt? Einige Politiker in unserem Bezirk wollen nur noch über Drucksachen diskutieren, die in gegenderter Sprache verfasst sind. Damit soll „die Wertschätzung der Geschlechter auch durch die BVV (Bezirksverordnetenversammlung) vollzogen werden”, heißt es im zugehörigen Antrag vom 7. Februar. Stern*chen oder Binnen‑I? Meine Damen und Herren, hier kommen zehn Gedanken über das Gendern:
- Das Stern*chen und das große I in der Wortmitte verwirren die, die zumeist im Wedding in Volkshochschulkursen mühsam Deutsch lernen wollen. Ist die deutsche Sprache nicht schon schwer genug? Und geht es nichts zuallererst ums Verstandenwerden?
- Das Sternchen kennzeichnet laut gültigem Duden etwas, das in die Fußnote abgeschoben wird. Beim Sternchen denkt man doch an Mobilfunkverträge. Frauen (und alle anderen) sollten sich nicht auf diese Weise wegschieben und abwerten lassen.
- Das Binnen‑I kann doch kein Mensch aussprechen. Angeblich lässt man eine Pause vor dem I. Da wird eine neue, politisch korrekte Beamtensprache geschaffen. Hieß es nicht vor kurzem noch, eine bürgernahe Sprache sei nötig?
- So schwer ist es ja nicht, ab und zu “Weddingerinnen und Weddinger” zu sagen. Und so viel länger ist es auch nicht. In Reden fällt die Doppelanrede auch gar nicht mehr auf. Nur das ellenlange “Gesundbrunnerinnen” sollte nicht verlangt werden.
- Dann darf aber nicht gedankenlos gegendert werden. Nicht dass es plötzlich reflexartig heißt: Die Fußballer*Innen des BFC Rehberge gewannen am 26. März gegen den 1. FC Schöneberg 4:0. (Wer stand da wohl auf dem Feld?)
- Da soll doch mit Sprache manipuliert werden. So wie das Wort Auslandseinsatz nach Jugendaustausch klingen soll. Es ist zwar schön, beim Wort Bäckerin an eine Frau zu denken. Besser wäre es, beim Wort Bäcker an eine Frau zu denken, die den gleichen Lohn wie der Kollege bekommt. (Könnte sie es sich aussuchen, würde sie die Gehaltserhöhung dem Sternchen wohl vorziehen.)
- Wer auf Zwang setzt, vertraut nicht auf die Kraft von Vorbildern. “Ich wohne im Wedding” hat sich von allein und ganz ohne Amtsbeschluss (gegen “Ich wohne in Wedding”) durchgesetzt. Einfach, weil alle so reden.
- Und das alles nur, weil es beim Pauken der Grammatik in der 1. Klasse hieß: „Der Mann, die Frau, das Kind‟ und nicht „der Mensch, die Person, das Wesen‟.
- Ob nun Mieter, MieterInnen oder Mieter*innen – die Mieten steigen sowieso! Und dann tschüß Wedding. Auf nach Marzahn oder Spandau. Wahr ist: Gendern hilft gegen drohende Verdrängung gar nicht. Hier im Wedding sind echt wichtigere dicke Bretter zu bohren!
- In der türkischen Sprache gibt es übrigens keine Geschlechter, nicht mal Artikel. Sind Weddinger, die mit der türkischen Sprache aufgewachsen sind, dadurch automatisch wertschätzender gegenüber Frauen, Homosexuellen, Transgender-Menschen und allen anderen sozialen Geschlechtern?
Da wo Sprache ein Instrument der Herrschenden ist, sollten wir vorsichtig sein. Das Endlager für Atommüll hat man uns in meiner Jugend als “Entsorgungspark” verkaufen wollen. Und wenn ich das Wort “Leistungsträger” im Wirtschaftsteil lese, wird mir immer übel, weil damit nicht die Krankenschwester und der Fliesenleger gemeint sind.
Sprache ist aber in erster Linie ein Instrument der Verständigung. Daher muss sie einfach und für alle verständlich sein. Eine Formulierung in der Schriftsprache muss auch als gesprochenes Wort funktionieren. Wie lese ich das Sternchen oder die Binnenversalie? Da nehme ich mir im Zweifelsfall doch lieber Zeit und schreibe z.B. “Leserinnen und Leser”.
Ich glaube, die pragmatischen Menschen im Wedding haben wenig Verständnis für diese abgehobenen akademischen Debatten um irgendeine Beschlussvorlage in der BVV. Schaut einfach dem Volk aufs Maul und lernt die Sprache auf der Straße.
****??? Gibt es schon eine Aussprache mit Sternchen ??
Ich glaube, man spricht vom Gender-Gap. Der Regierende Bürgermeister hat mal vermutet, man lässt da einfach eine Lücke. Liebe Berliner (Pause, stummes *) innen!
ja, das Thema sorgt immer wieder für Aufregung. Wieso eigentlich? Klar, wir können streiten über Sternchen, große “I“s, deren Bedeutung und was dadurch alles komplizierter wird. Aber das Thema bleibt doch, dass die Aufmerksamkeit dadurch erhalten wird, der Gedanke in die Richtung von Gleichstellung und Gleichwertigkeit gerichtet wird.
Sprache ist (auch) Herrschaftsinstrument. Und schafft Wirklichkeit. Grenzt ab/aus, schließt auch ein. Und gerade dann, wenn sie eckiger wird, dann verursacht das ein Nachdenken bei den Lesenden. Da spricht auch nichts dagegen, dass es Sprachen ohne geschlechtliche Formen gibt. Oder Menschen, die noch nicht so gut deutsch sprechen/lesen können. Und erst recht nicht, dass Frauen und Männer unterschiedlich bezahlt werden bei gleicher Tätigkeit und Eignung.
Viele kleine Schritte sind notwendig, um die bestehenden Bilder zu hinterfragen, um zum kritischen Nachdenken anzuregen – geschlechtergerechte oder ‑neutrale Sprache ist einer davon und es ist gut, wenn Behörden und deren Organisationen damit anfangen. Und natürlich bleibt der männliche Fussballer ein Fussballer – sowie wie bei Turbine Potsdam eben Fussballerinnen spielen. Differenzierung lässt sich lernen und üben – um nicht viel mehr geht es dabei.
Das Thema ist sicher nicht unwichtig und zu hinterfragen, was man den ganzen Tag so sagt und schreibt, ist immer gut. Ich finde es nur schlimm, wenn ein solches Thema institutionalisiert wird. Das ruft bei mir so eine Art Gegenreaktion hervor.
Ich glaube nicht, dass bei uns die Mehrheit den ganzen Tag ausgrenzende Gedanken denkt. Aber sprachlich umerzogen werden möchte man doch trotzdem nicht, oder? Wenn es als Anregung gedacht wäre, über Gleichberechtigung und Toleranz nachzudenken, fände ich das gut.
Gibt es nicht Priritäten in unserem Alltagsleben, wie zum Beispiel gleiche Bezahlung für den Mann und die Frau?
Da liebe ich doch Ms. Pankhurst, die auf die Straße gegangen ist, um für das Wahlrecht der Frauen zu kämpfen.
Mit der ” Institutionsnalisierung ” des Themas vergißt man/frau die etwas wichtigeren Themen des Alltags.
Wir sollten doch Prioritäten setzen!!
Aber den Begriff kennt man/frau wohl nicht mehr.
Und ganz nebenbei:
Was mache ich eigentlich mit den femininen Substantiven in der deutschen Sprache:
z.B. : Die Person
???
Die Wirklichkeit des Lebens sieht allerdings anders aus 🙂
“Sprache ist (auch) Herrschaftsinstrument.” – Zunächst einmal ist gerade Sprache nicht Herrschaftsinstrument. Gerade Sprache ist der wahre Ort der Freiheit. Das sollte man nie vergessen trotz aller einleuchtend klingenden Theorien. Mit Sprache können Gedanken ausgedrückt werden. Und natürlich nutzt sie jeder für seine Ziele, will mit ihr andere überzeugen. Nur ginge das öffentliche, gemeinsame Ringen um den richtigen Gedanken verloren, wenn eine staatlich verordnete Sprache geschaffen wird. Erst dann wird Sprache zum Herrschaftsinstrument. Die Leute legen sich eine offizielle und eine private Redeweise zu. Erst dann haben die Wörter die Herrschaft erlangt und der Austausch der Gedanken ist unterdrückt.