Im Brunnenviertel ist aufgrund der großflächigen Sanierung der 1960er-Jahre nur noch wenig von der ursprünglichen Bebauung erhalten geblieben. Doch es gibt Ausnahmen: In der Hussitenstraße 4⁄5 kann man noch heute den Rest eines imposanten Mietshauskomplexes besichtigen.
Der altberliner Mietshauskomplex „Versöhnungs-Privatstraße“, mit der Eingangsfront an der Hussitenstraße, wurde vom Vaterländischen Bauverein e.G. gebaut. Die Bauarbeiten begannen 1903, ein Jahr nach der Gründung des Bauvereins. Bereits 1904 war die Anlage fertig gestellt. Die sechs miteinander verbundenen und begrünten Höfe wurden nach Entwürfen des Architekten und Dombaumeisters Ernst Schwartzkopff auf 7180 Quadratmeter Baufläche umgesetzt. Die heute nunmehr unter Denkmalschutz stehende Anlage spiegelte die bauhistorische Entwicklung vom Mittelalter bis zur Wilhelminischen Zeit wider.
Jedoch diente die architektonische Ausgestaltung nicht dem Selbstzweck. Vielmehr war es das Gebot der Stunde, lebensfreundlichere Wohnmöglichkeiten für die Berliner Bevölkerung zu realisieren. Das verdeutlicht sich unter anderem in der damals nicht selbstverständlichen Ausstattung der neu entstandenen Wohnungen an der Hussitenstraße: Küche, Innen-WC, Vorratskammer und Balkon.
In der Wohnanlage konnten auch ein Spielplatz, eine Bibliothek, ein Kindergarten, eine Badeanstalt und verschiedene Läden genutzt werden. Sogar ein Hospiz befand sich vor Ort. Insgesamt gab es 208 Ein- bis Dreizimmerwohnungen und 43 Einzelzimmer. Davon waren einige für alleinstehende Frauen vorgesehen.
Der Gebäudekomplex wurde während des Zweiten Weltkrieges in Teilen zerstört und anschließend vereinfacht wieder aufgebaut. Der Barockhof und der Moderne Hof wurden abgerissen, und von den anderen Höfen sind nur noch Fragmente erhalten. Unter anderem fehlen mehrere Ornamente und bildliche Darstellungen. Und obwohl man heute nur noch einen kleinen Ausschnitt des Gesamtbauwerkes besichtigen kann, bekommt man beim Spaziergang duch die Anlage eine Ahnung, um was für ein imposantes und reformatorisches Bauprojekt es sich damals gehandelt haben muss.
Die Höfe in der Hussitenstraße 4⁄5
• Hof I: Romanischer Hof (Berlin als Fischerdorf aus dem 12. Jahrhundert)
• Hof II: Altmärkischer Hof mit Hohenzollerngarten (Backsteingotik aus dem 14./15. Jahrhundert)
• Hof III: Altdeutscher/Nürnberger Hof mit Elisabethgarten (Fachwerk-kurfürstliche Residenzstadt aus dem 16. Jahrhundert)
• Hof IV: Renaissancehof (Residenzstadt aus dem 17. Jahrhundert)
• Hof V: Barockhof (königliche Residenzstadt)
• Hof VI: Moderner Hof mit Wilhelmsgarten (neuzeitliche Architektur – Kaiserstadt der Gründerjahre)
Den Text und die Fotos haben wir aus dem Kiezmagazin “brunnen”, Ausgabe Dezember 2015 übernommen. Autorin und Fotografin ist Sulamith Sallmann.
Herzlichen Dank für den Tip – jahrelang lief einer meiner Schulweg zum Rankegymnasium durch diese Höfe und es war schön, sie wieder zu entdecken.