Senior:innen und Unfallgefahren im Straßenverkehr ist ein Thema, das immer wieder und noch Aktualität hat. Ältere sind in hohem Maß sowohl Opfer als auch Verursacher von Unfällen im Straßenverkehr. Sie sind überproportional unter den Verkehrstoten vertreten, und in schlimmere Unfälle verwickelt als Jüngere. Was für die Verkehrssicherheit getan werden muss und schon wird, steht in diesem Beitrag.
Gehen erlaubt uns, in unseren Körpern und in der Welt zu sein, ohne von ihnen zu Geschäftigkeit genötigt zu werden. Es lässt uns frei denken, ohne dass wir uns gänzlich in unseren Gedanken verlieren.
Rebecca Solnit, in: Wanderslust. Eine Geschichte des Gehens. 2019
Vor allem ab dem 75. Lebensjahr zeigt sich eine besonders hohe Gefährdung, und zudem zeigt sich, dass bei Unfällen, die im Jahr 2021 mit Ü74-Jährigen stattfanden, die Ü74 zu drei Vierteln die Hauptschuld an den Unfällen trugen (Deutsche Verkehrswacht).
„In Berlin wurden 2021 insgesamt 12 582 Unfälle mit Personenschaden registriert, dabei wurden 40 Menschen getötet. Es waren 5 095 Fahrradfahrende und 1 840 Fußgängerinnen und Fußgänger an Straßenverkehrsunfällen mit Personenschaden beteiligt. Die meisten Unfälle mit Personenschaden gab es in Mitte (2 010),… .” (Amt für Statistik Berlin-Brandeburg) Insgesamt starben 40 Menschen in Berlin im Jahr 2021, in 202 waren es noch 50 tödlich verunglückte Personen. Unter den Todesopfern bildeten Fußgänger:innen mit 14 die größte Gruppe. Zudem starben unter anderem zehn Radfahrer:innen. (tagesspiegel.de)
Im Wedding und in Gesundbrunnen gibt es etliche Orte, die besonders hohe Unfallhäufigkeiten aufweisen: Osloer Straße /Prinzenallee und Louise-Schroeder-Platz. Auch an der A100, der am stärksten befahrenen Autobahn Deutschlands, genauer gesagt an ihrem Ende an der Beusselstraße – an der Grenze von Charlottenburg und Mitte – ist ein Unfallschwerpunkt. Aber auch die Müllerstraße Ecke Seestraße ist wegen der Schwerlastverkehrs und der mittigen Tram auf der Müllerstraße ein gefährlicher Verkehrsraum.
Neben der sicheren Nutzung der städtischen Verkehrswege und Plätze stellen sich auch weitere Fragen wie die nach den Aufenthaltsqualitäten im öffentlichen Raum.
Ich sprach mit Dr. Martin Rudnik von FUSS e.V. über die Situation der Senioren in unserem Stadtteil. FUSS e.V. ist eine Interessenvertretung zur Verbesserung der Situation von Fußgängern, ein Verein, der 1985 in Kassel gegründet wurde und mit seiner Bundeszentrale in der Weddinger Exerzierstraße sitzt.
Herr Dr. Rudnik, welche Aktivitäten ergreift FUSS e.V., um sich mit der Sicherheit der Senioren im Berliner Straßenverkehr zu befassen?
Wir gründeten im Herbst 2022 eine Regionalgruppe für den Bezirk Mitte. Weiterhin werden wir ab Februar 2023 in Kooperation mit der Seniorenvertretung Mitte Veranstaltungen zum Thema Senioren und Mobilität durchführen.
Wo sehen Sie die grundlegenden und speziellen Probleme der Gefährdung der Seniorinnen und Senioren im Straßenverkehr?
Der wichtigste Unterschied liegt in der gewissen Langsamkeit der Älteren. Während ein junger Mensch mit etwa 1,5 m pro Sekunde geht, sind es bei einem älteren Menschen nur etwa 0,8 m je Sekunde. Dieser Unterschied ist beim Überqueren der Straßen mit Ampelschaltung oft nicht vorgesehen. Daneben – was durchaus bekannt ist – lassen die Kräfte nach und die Aufmerksamkeit der älteren Menschen ist im Hinblick auf das Hören und Sehen oftmals eingeschränkt. Hupen und Martinshörner werden nicht oder spät wahrgenommen, ebenso ist auch die Reaktionsfähigkeit eingeschränkt. Die allgemeine Orientierung in schwierigen Situationen wie Abbiegen kann verlangsamt oder begrenzt sein.
Man muss auch anführen, dass Ü60-Verkehrsteilnehmer als Fußgängerinnen und vor allem als Fahrzeugführer auch Unfälle verursachen.
Herr Dr. Rudnik, was kann man gegen Störungen auf den Wegen für Fußgänger tun, wenn heute die Gehwege so übernutzt sind durch Stadtmöbel, Müllcontainer, Skater und schnelle Fahrzeuge wie Scooter und Rollstühle und Rollatoren?
Es gibt nun “Ordnungsamt-Online”, eine App. die dafür vorgesehen ist, die Stolperfreiheit auf den Gehwegen zu verbessern. Und schließlich dürfen seit 1. September 2022 die Scooter der mittlerweile vielen Anbieter nur dort abgestellt werden, wo es dafür vorgesehen ist. Und die Anbieter zahlen dafür quadratmeterweise, für jeden Scooter 3 € pro qm und für Motorroller 4 € je qm – pro Monat. Und diese Gebühren sind nur innerhalb des S‑Bahnrings fällig. In den Wohnstraßen der Stadtteile außerhalb der City wird also keine Gebühr für falsch abgestelle Fahrzeuge erhoben. Im Februar werden wir dazu eine Veranstaltung anbieten. Auch komfortable und gut platzierte Sitzbänke sind wichtig für Ältere.
Wie sehen Sie die Sicherheit an den Kreuzungen?
Die Probleme sind gravierend. Es gibt viele Abbiegerunfälle. In Zusammenarbeit mit dem Mobilitätsrat hat man nun die Übersichtlichkeit an Kreuzungen wesentlich verbessert. Im Sprengelkiez gibt es bereits vorbildlich ausgerüstete Kreuzungen. Beispielsweise an Sprengelstraße Ecke Tegeler Straße.
Man hat an allen Ecken der sich kreuzenden Straßen Radbügel zum Parken für Räder und Abstellanlagen aufgebaut, so dass hier mehr Sichtfreiheit über die gesamte Kreuzung entsteht. Hier können weder Lieferverkehr noch anderen parkenden Autos den Blick auf die Gesamtsituation vor dem Queren der Fahrbahn behindern.
Wie stehen Sie zum Konzept der 15 Minuten-Stadt, das auch für Seniorinnen und Senioren günstig ist?
Das Konzept kommt aus Paris und wurde dort 2016 erstmals diskutiert und von der dortigen Bürgermeisterin für ihre Wiederwahl vertreten. Es geht um die einfache und klimafreundliche Idee, fußläufig alles Nötige in 15 Minuten erreichen zu können. FUSS e.V. vertritt das in Anbetracht seiner anderen Prioritäten nicht ausdrücklich, aber ich denke, Berlin hat in dieser Hinsicht schon viel erreicht.
Herr Dr. Rudnik, was kann man noch für die Sicherheit der Älteren im Straßenverkehr tun?
Manche Stadtstraßen sind sehr lang und die Ampelanlagen liegen für Fußgänger oft weit auseinander. Man sollte in engeren Abständen Querungen vorsehen, die sicher und übersichtlich sind. Dabei kommt es vor allem auf eine ausreichende Breite der Mittelbereiche an.
Links
FUSS e.V. www.senioren-sicher-mobil.de
https://www.berlin.de/ordnungsamt-online/mobile-app
Die AG Mobilität bei der Seniorenvertretung Mitte (Koordinatorin Fr. D. Schawaller)
Mail: [email protected]
ADFC – Interessenvertretung der Radfahrenden weltweit
https://www.adfc.de/artikel/konflikte-auf-gehwegen-und-in-fussgaengerzonen
https://www.vcd.org/startseite
Charta »Intelligente Mobilität im Wohnquartier«
https://www.berlin.de/polizei/aufgaben/verkehrssicherheit/verkehrsunfallstatistik/