Wo treffen sich die Alten und Älteren unter uns? Welche Orte brauchen sie und was wird angeboten? Gibt es auch Angebote für Hochbetagte? Wie können SeniorInnen ihre Erfahrungen in ihre lokale Welt einbringen? Was bietet Vernetzung im Stadtteil auch im Alter? Fragen wie diese beschäftigen viele SeniorInnen und sie finden heute dazu auch Orte und Lösungen, oft in ihrer Wohnnähe.
Der gemeinnützige Verein „Selbst-Hilfe im Vor-Ruhestand e.V.“ ist tätig in drei Begegnungsstätten des Bezirks Mitte. Die Mitglieder waren um 1990 schon zur Seniorenarbeit aktiv und gründeten den Verein Ende des Jahres 1991. Der Verein, gemeinnützig, unabhängig und im Paritäter vertreten, hat heute etwa 25 Mitglieder aus Berufen und Bereichen, die dieser Aufgabe zugewandt sind und etwa 600 aktive Menschen, die in den Stadtteilen aktiv mitmachen. Auch Dorothea Reinhardt, ausgebildete Sozialpädagogin und die heutige Geschäftsführerin, gehört zu den heute noch lebenden Gründungsmitgliedern. Sie gibt in diesem Interview einen Einblick in die lebendige Seniorenarbeit im Norden von Berlin-Mitte des Vereins Selbsthilfe im Ruhestand.
Frau Reinhardt, wie und wann kam es zur Gründung des Vereins Selbsthilfe im Vor-Ruhestand e.V.?
Wir waren schon vor dem Mauerfall aktiv in der Seniorenarbeit. Damals hatten wir zum Ziel, die Motivation zur lokalen Selbsthilfe vor Ort zu aktivieren. Anfangs stand ein Seniorenprojekt der Stiftung Hilfswerk zur Verfügung, das die Nutzung der bestehenden Nachbarschaftseirichtungen vorsah. Das Modell zur aktiven Ansprache der SeniorInnen kam aus dem Ruhrpott, wo Bergleute früh in Altersrente gingen und Orientierungen für diesen Übergang benötigten. In Berlin haben wir in Kooperation mit neun Bezirksämtern eine Vielzahl von Informationsveranstaltungen, vornehmlich in Wohnquartieren mit einem hohen Anteil an älteren Menschen, durchgeführt. Menschen im Übergang zum Rentenalter wurden dazu persönlich eingeladen.
Was war ab dem Jahr 1991 so typisch für Berlin in Ost und West?
Ab dem Jahr 1992 und noch vor der Fusion der Bezirke (2001) haben wir dann stadtteilbezogen in neun Berliner Bezirken erste aktive Gruppen gegründet. Diese hatten guten Zulauf, auch weil damals Arbeitslosigkeit Im Alter auch in Ost-Berlin einsetzte. Es gab damals diese deutlichen Unterschiede in den Ost- und Westbiografien der Älteren. Anhand biografischer Kriterien und individueller Stärken wurden die älteren BürgerInnen aktiviert im Stadtteil mitzumachen. Wer wo mitwirkte, wurde nach den Stärken, Schwächen und Fähigkeiten der InteressentInnen bestimmt. Und MitarbeiterInnen, die über Fördermittel dabei waren, moderierten diese Gruppen. Damit war ein Stück Pionierarbeit für die Selbsthilfe der Seniorenschaft geschafft.
Wie stark war der Ost-West-Bezug unter den Senioren ausgeprägt?
Anfangs war der Beratungsbedarf im Hinblick auf die den ostdeutschen Erwerbsbiografien fremde Arbeitslosigkeit, gar im fortgeschrittenen Alter, noch sehr hoch. Und schon vor der Bezirksfusion wurde eine Verzahnung über den Ost-West-Austausch der Vereinsaktiven schon gelebt.
Die Gruppen waren also aufgebaut, was waren dann die einzelnen Ziele?
Wir hatten bald etwa 35 Gruppen in vielen Kiezen, An den drei Standorten in Berlin-Mitte, also Otawitreff (früher Haus Mettmann), Haus Bottrop und Grüntaler Straße, trafen sich acht Gruppen. Eine der guten Regeln bestand darin, dass sich alle etwa sechs Wochen die Gruppenvertreter zur Vernetzung gemeinsam trafen. Ein Teil der Arbeit war die Integration von Jung und Alt. Immerhin gibt es in diesem Zusammenhang vor allem im Stadtteil Wedding eine besondere Asymmetrie, denn etwa drei Viertel der älteren BewohnerInnen sind Deutsch, wohingegen etwa drei Viertel der Kinder und Jugendlichen Migrationshintergrund haben. Hier kann persönliches Kennenlernen sprachlich und sozial weiterhelfen.
Wie steht es um die Projektfinanzierung, die Ehrenamtlichen (EA) und die MitarbeiterInnen?
Projekte werden meist nur bis zu zwei Jahre gefördert, so dass wir auf die Abstimmung der Laufzeiten der Förderprojekte und die Zeiten der Mitwirkung achten. Viele Projekte konnten wir wegen des Einsatzes unserer EA weiterlaufen lassen.
Die Coronazeit hatte sicherlich auch Auswirkungen auf das Vereinsleben. Was passierte mit den SeniorInnen?
Der Einschnitt der Lockdowns war sehr krass für die alten Menschen. Die Ängste waren schlimm und einschüchternd. Gerade die vitalsten Beschäftigungen wie Sport, Gymnastik und Spiel fielen leider aus. Wir haben über telefonische Kontakte versucht, die Gruppen und den Zusammenhalt zu fördern, und auch kleine Services wie Einkaufsdienste untereinander und füreinander zu organisieren. Oft haben wir nicht für Gruppen, was untersagt war, aber für Einzelne „Eine Tasse Kaffee mit Gespräch“ anbieten können, um die Vereinzelung abzufedern. Bei den langjährigen Mitgliedern und den aktiven Senioren gab es etliche Todesfälle zu beklagen. Und viele der Alten, die nach dem Shutdown wiederkamen, kamen aber leider mit Gebrechen und Einschränkungen zurück. Man kann sagen, dass die mobilen Fähigkeiten der Alten stark gelitten hatten.
Kann der Verein neue Ehrenamtliche gewinnen? Wie geht das am besten?
Für die Moderationen der Gruppen gewinnen wir oft MitarbeiterInnen aus den Gruppen selbst. An allen Standorten wirken die EA mit. Ein Teil der Aktiven wächst in die Gruppen hinein, so dass damit auch eine Verschiebung zu höheren Altersgruppen einhergeht. Wir haben – vor allem auch im Haus Bottrop – einen besonderen Augenmerk auf die Hochaltrigen. Viele machen sogar bis zum 80. noch mit und steigen erst dann aus. Auch im Otawitreff gibt es für diese Altersgruppe zum Beispiel das BINGO-Angebot. Und auch im Treff an der Grüntaler Straße bieten wir zu Smartphones und Tablets Veranstaltungen an, um die Alten fit im Umgang damit zu machen, um im höheren Alter nicht nur mobil, sondern auch kommunikativ zu sein. Ein Großteil unserer Öffentlichkeitsarbeit wurde durch Flyer, unsere Webseite und Stadtteil- und Straßenfeste oder Sozialmärkte bzw. unsere eigenen Sommerfeste wie im Garten des Otawitreff getragen. Aber der direkte Kontakt ist immer noch der beste Garant für die Mitwirkung und Teilnahme. Lebendige Orte selbst sind als Treffpunkte also auch ein guter Ausgangspunkt für die stetigen Angebote für SeniorInnen.
Zum Abschluss bitte noch ein Wort zur Finanzierung durch das Bezirksamt Mitte.
Wir hatten ab dem Jahr 2005 Arbeitsförderungen über das Jobcenter, was 10 Jahre lang recht gut funktionierte. Ab 2019 mussten wir starken Druck beim Bezirksamt machen, um eine Finanzierung durchzusetzen und haben dabei auch die Schließung angedroht, wenn keine Förderung kommen sollte. Nun schätzen wir uns glücklich, dass wir – neben anderen Standorten wie Torstraße und Spandauer Straße – ab dem Haushaltsjahr 2020 im Haushaltsplan Mitte vorgesehen sind. Wir bekommen eine Grundfinanzierung für Personal und die Arbeitsförderung, daneben haben wir kleine kostendeckende Beiträge zur Selbstfinanzierung der laufenden Kosten.
Frau Reinhardt, geben Sie bitte noch ein knappes Statement zur Zukunft der Seniorenarbeit in Mitte.
Wir freuen uns, all dies erreicht zu haben, und daher soll alles so bleiben: Das heißt, dass wir uns den Erhalt aller Begegnungsstätten wünschen und dabei die finanzielle Unterstüzung des Bezirks voraussetzen. Persönlich für mich steht die Berentung zum Ende dieses Jahres 2022 an. Derzeit suche ich eine Nachfolge für die aktive selbständige Geschäftsführung der drei Standorte, eine engagierte Kraft, die ich in diesem Jahr noch einarbeiten möchte.
Vielen Dank an Sie, Frau Reinhardt, für diesen konkreten, Mut machenden Einblick in die städtische Seniorenarbeit in unserem Bezirk. Ich wünsche Ihnen alles Gute!
Die Fragen stellte Renate Straetling, die auch die Fotos angefertigt hat.