Funktionaler Zweckbau an der Schulstraße
Auf dem hinteren Leopoldplatz, an der Ecke Schul-/Maxstraße, steht ein Flachbau aus den Siebzigerjahren, der heute als Seniorenfreizeitstätte genutzt wird. Wer am Wochenende vorbeikommt, sieht und hört, dass hier auch fröhlich Familienfeste gefeiert werden. Zum Oktober soll es allerdings ruhiger werden, denn der Vertrag ist gekündigt. Das Gebäude soll asbestbelastet sein und abgerissen werden. Die Stadtteilvertretung Müllerstraße und Runder Tisch Leopoldplatz haben sich damit befasst.
Bisher ist die Finanzierung der Beseitigung des wenig schönen Zweckbaues allerdings unklar. Sollte er abgerissen werden, so verändert sich an dieser Stelle der mit Mitteln des QM Pankstraße erst vor einigen Jahren umgestaltete Leopoldplatz. Hier erhält der Platz durch den schützenden Betonbau etwas Ruhe und Aufenthaltsqualität, vor allem angesichts des tosenden Verkehrs der Schulstraße.
Standort wegweisender pädagogischer Einrichtungen
Ein Blick zurück an diesen geschichtsträchtigen Ort verändert den Blickwinkel. Denn das, was wir hier heute Leopoldplatz nennen. war eigentlich kein Platz, es war der Standort einer durchaus besonderen Schule, die im Krieg zerstört, nach 1945 aber nicht wieder aufgebaut wurde. In dieser nach der Reformpädagogik von Wilhelm Paulsen eingerichtet „Lebensgemeinschaftsschule“ erfolgte der Unterricht nach dem Wunsch der Schüler. Auf dem Teil des Platzes gab es auch einen von Clara Grunwald eingerichteten Montessori-Kindergarten. Frau Grunwald, die selbst Jüdin war, ermöglichte ab 1933 vielen Juden die Ausreise oder den Weg in den Untergrund und wurde 1943 in einem Konzentrationslager ermordet. Eberhard Elfert hat im Frühjahr 2012 mit seiner aus den Mitteln des QM Pankstraße finanzierten Weddinger Schaufenster-Ausstellung auf viele solcher historisch interessanten Details hingewiesen.
Der Funktionsbau war einst die Passierscheinstelle
Und auch die unscheinbare Betonkiste, die nun auf der Abrissliste steht, ist mehr als ein einfacher Zweckbau, es ist ein Stück Zeitgeschichte. Den Menschen, die hier lange leben, ist das Gebäude eher als eine von fünf Passierscheinstellen der DDR bekannt. Hier bekamen die Westberliner zu Mauerzeiten – von DDR-Grenzern bearbeitet – ihren „Passierschein“, der zum Besuch von Ost- Berlin berechtigte. Diejenigen hingegen, die in West-Berlin lebten, aber in „Westdeutschland“ gemeldet waren, hatten es einfacher. Bürger der BRD brauchten zur „Einreise in die DDR“ nur ihren Reisepass, und natürlich 25,- DM für den sogenannten Zwangsumtausch. Eine schlichte Gedenktafel weist am Gebäude auf diese Geschichte hin.
Angesichts dieser historischen Fakten stellt sich also die Frage: sollte das Bauwerk als „Denkmal“ erhalten bleiben, ja oder nein?
[…] ersucht wird zu prüfen, ob auf dem Grundstück der ehemaligen Passierscheinstelle (zuletzt als Seniorentagesstätte genutzt) ein „Bürgergarten“ eingerichtet werden […]
Hallo Frau Komander, vielen Dank für die wie immer fundierten Hinweise. Es ging in der Tat eher um den – vermeintlich geschichtslosen – Standort und nicht um die Gebäude selbst, die sicherlich nicht für die Ewigkeit gedacht waren. Die Frage ist doch oft, wie man Geschichte erlebbar macht, wenn die eigentlichen Gebäude fehlen…
Hallo Herr Faust,
die Baracken der weltlichen Schule oder Sammelschule, in denen auch der Kindergarten von Clara Grunwald eingerichtet wurde, haben mit der ehemaligen Passierscheinstelle und ihrem Standort nichts tun. Oder habe ich Ihren Artikel falsch verstanden?
Es standen zehn Schulpavillons und eine Turnhalle als Notunterkünfte seit 1904 zwischen Malplaquet‑, Nazarethkirch‑, Max- und Schulstraße. Das waren transportable Bauten in Holzfachwerkbau. Lieber wäre den Organisatoren ein weiteres festes Schulgebäude gewesen.
Darin besteht ein Zusammenhang mit der Passierscheinbaracke: Sind beide bloß als temporäre Bauten gedacht gewesen.
Schöne Grüße
Gerhild Komander
Geschichtsträchtigkeit des Gebäudes hin und her: Was ist mit den Menschen? Was wird mit den Senioren? Wo können sie sich zukünftig treffen?
Ich habe dazu gesten mit dem Sozialstadtrat in Mitte gesprochen: Herr von Dassel ist dringend auf der Suche nach einem Ausweichquartier: die Freizeitstätte soll möglichst in die Nähe umziehen. Mein Tipp an ihn war das ehemalige Alabama in der Genther Str. 65 (hieß zuletzt Roadhouse und steht offenbar leer und müsste groß genug sein). Wer noch einen anderen Vorschlag hat kann sich gerne an v.Dassel wenden, der ist wirklich dankbar für jeden Tip!
Christof
Natürlich sollte man das Bauwerk erhalten: Es gibt nicht mehr allzuviel Orte, an denen sich authentisch die Geschichte des Kalten Krieges in Berlin präsentiert. Viele Millionen Touristen kommen aber auch deshalb in die Stadt und suchen danach…
Mein Vorschlag: Hier könnte eine Außenstelle der Gendenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße entstehen, in der die komplizierte Geschichte des Besuchsverkehrs in der Mauerstadt aufgearbeitet wird.
Abriss wäre die blödeste Lösung!