Wer hat nicht schon einmal über die Ringbahn geflucht? Die chronisch überlastete S‑Bahn, die keinen Anfang und kein Ende hat und ungeübte Fahrgäste mit ihren zwei Linien (S 41 im Uhrzeigersinn, S 42 gegen den Uhrzeigersinn) herausfordert, ist aus dem Schnellbahnnetz Berlins nicht mehr wegzudenken. Im Juli 1871 wurde der erste Teil eröffnet. Doch war und ist sie etwas Besonderes. Wir erklären euch, warum.
Zunächst einmal ein paar Zahlen. 37 Kilometer ist sie lang, die einzige Eisenbahn-Ringlinie in einer deutschen Großstadt. Immerhin 17 ihrer 27 Stationen bieten Umsteigemöglichkeiten – zu allen anderen U- und S‑Bahnlinien. Als sie erbaut wurde, legte man sie weit vor den Toren der Stadt an. Nur am Wedding gab es entlang der Müllerstraße und rund um den Bahnhof Gesundbrunnen schon eine gewachsene Siedlung außerhalb des neuen Rings. Das ist bis heute so geblieben: Der Wedding ist der einzige größere dichtbesiedelte Bereich der Innenstadt, der zum überwiegenden Teil über den hundekopfförmigen Ring hinausragt.
Weitsichtig vor den Toren der Stadt gebaut
Warum wurde die Ringbahn überhaupt gebaut? Berlin verfügte seit der Anfangszeit der Eisenbahn über viele Kopfbahnhöfe privater Bahngesellschaften, die nur über eine innerstädtische Verbindungsstrecke miteinander verbunden waren. Mit der Ringbahn vor den Toren der Stadt wurde vor allem für den zunehmenden Güter- und Truppenverkehr aus der Stadt heraus verlagert. Bereits ab 1872 gab es auch Personenverkehr – erste Züge hielten, vom Lehrter Bahnhof kommend, mit Halten am Gesundbrunnen und weiteren Stationen wie Tempelhof, zum Potsdamer Bahnhof (in der Nähe des Potsdamer Platzes).
1877 wurde dann der weitsichtig geplante Ring zwischen Westend bis Moabit geschlossen – aus heutiger Sicht ein Glücksfall. Denn was die Ringbahn auszeichnet, ist die Verbindung der an die Innenstadt angrenzenden Stadtteile untereinander. Das erspart vielen Fahrgästen eine zeitraubende Umsteigefahrt zum Bahnhof Zoo, zum Alexanderplatz oder zur Friedrichstraße. Vom Wedding zum Westkreuz oder zum Ostkreuz, dank Ring geht das in kürzester Zeit.
Gebeutelt von Krieg und Teilung
Kurioserweise musste erst die Stadtbahn zwischen Ost- und Westkreuz fertiggestellt werden, damit die Ringbahn ihr Potenzial voll ausspielen konnte. Die Züge wechselten von der Stadtbahn kommend auf die Ringbahn und befuhren jeweils einen halben Ring (Nordring oder Südring). Erst ab 1944 wurde kriegsbedingt der „Vollringbetrieb“ ohne die Stichstrecke zum Potsdamer Bahnhof gefahren. Diesen Betrieb nehmen wir heute ganz selbstverständlich als Normalfall wahr.
Ansonsten war an der Geschichte der Ringbahn nur wenig normal. So praktisch und effizient wie sie, inzwischen mitten in der bebauten Stadt gelegen, millionenfach die Menschen beförderte, machte ihr die Teilung der Stadt besonders zu schaffen. 1961 war zwischen Gesundbrunnen und Schönhauser Allee Schluss. Der restliche Ring zwischen Gesundbrunnen und Sonnenallee war dann ab 1980 nicht mehr in Betrieb. Die bei der DDR-Reichsbahn angestellten Mitarbeiter der Westberliner S‑Bahn hatten gestreikt, und die DDR legte kurzerhand die Bahn still. Als die S‑Bahn im Westteil 1984 auf die BVG überging, wurde die Ringbahn nicht wieder in Betrieb genommen. Es sollte noch bis 2002 dauern, bis die „Strecke ohne Ende“ wieder am „Wedding Day“ den Vollringbetrieb startete: Erst die letzten Kilometer zwischen Westhafen, Wedding und Gesundbrunnen komplettierten die Ringbahn.
Alter Bahnhof ganz neu
Die Bahntrasse der Ringbahn, die den Ortsteil Wedding durchquert, wurde 1889–90 ausgebaut und im Bereich des Ringbahnhofs Wedding nach dem Vorbild der Stadtbahn auf einen Viadukt verlegt. Die aus gelben Backsteinen gemauerten Viaduktbögen sind größtenteils erhalten geblieben, während der 1890 eröffnete Bahnhof in den 1990er Jahren beseitigt wurde. Das Backsteingebäude an der Reinickendorfer Straße 111A entstand bei der Elektrifizierung der Bahnlinie 1928–29. Der Bahnhof Wedding wurde bis 2002 neu angelegt und um einige Meter näher an die U‑Bahn verschoben. Der Bahnhof selbst wurde modern – mit Schuppenverglasung und viel Sichtbeton – wieder aufgebaut. Das Umsteigen zur U‑Bahn-Linie 6 ist heute problemlos möglich. Wieso man die paar Meter zwischen Bahnhofsausgang und U‑Bahn-Eingang nicht überdacht hat, wissen allerdings nur die Götter. Ab Dezember 2022 soll hier auch die neue S‑Bahn zwischen Gesundbrunnen und Hauptbahnhof abzweigen.
Detaillierte Infos zur Ringbahn
Sehr hübsch zu dem Thema passt auch das Buch „Quer durch und ringsum Berlin. – Eine Fahrt auf der Berliner Stadt- und Ringbahn“ von Emil Dominik, wo er viele (damals noch) Dörfer längs der historischen Ringbahn beschreibt. Vom Gesundbrunnen findet sich darin auch ein Kupferstich, der das historische Brunnenhaus mit Nebengebäuden und Garten zeigt.
Wen es interessiert (bei VÖBB auch online): Dominik, Emil, and Hermann Lüders. Quer Durch Und Ringsum Berlin. Berlin: Verlag von Gebrüder Paetel, 1883.
Ja, ein schöner Bericht, es wundert mich immer woher Ihr die Informationen dazu findet?
Gruß Sven
Recherche, Recherche, Recherche…
Danke für die sehr informativen Artikel über die Geschichte des Wedding, aus den unterschiedlichsten Bereichen, die mich meistens sehr erfreuen. Mit geschichtlichen Infos gibt es eine bessere Zukunft für den Wedding, weiter so .
Schöne Grüße
E. Schmedemann