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Melancholischer Wedding:
Schön hässlich im November

24. November 2021
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Grau in grau – das typisch novem­bri­ge Wet­ter, das zu Ber­lin eben­so zur Jah­res­zeit gehört wie die lan­ge Dun­kel­heit. Wen jetzt noch kei­ne Win­ter­de­pres­si­on gepackt hat, der muss über ein uner­schüt­ter­lich son­ni­ges Gemüt ver­fü­gen. Und ja, wir im Wed­ding wis­sen am aller­bes­ten, dass grau­es Regen­wet­ter, mat­schi­ge Laub­ber­ge und schlecht gelaun­te Men­schen die meis­ten von uns nur höchs­tens noch zum Ver­krie­chen in die eige­nen vier Wän­de ani­mie­ren. Hier ein paar Gedan­ken zu die­sem Monat. 

Spa­zier­gang des Grau(en)s: Gera­de wer sich in Melan­cho­lie suh­len kann, wird in unse­rem Stadt­teil garan­tiert genug Inspi­ra­ti­on fin­den. Aber habt ihr schon ein­mal die Papier­stra­ße besucht? Vie­le wer­den die wohl erst ein­mal auf dem Stadt­plan suchen müs­sen. Die­se Mischung aus Gewer­be­ge­biet, win­ter­fest gemach­ten Klein­gär­ten und Miets­häu­sern mit Spiel­ca­si­nos hat alles, um einen so rich­tig run­ter­zu­zie­hen. Und wan­dert doch gleich wei­ter durch die Klein­gär­ten der Kolo­nie “Som­mer­glück” bis zur Kolo­nie­stra­ße, da sieht es erst recht gru­se­lig aus. Joa­chim Faust

Finanzamt Wedding

Häss­lich und ein­schüch­ternd: Ein Klotz, bei dem es mir jedes Mal die Zehen­nä­gel hoch­rollt und ich mir nie ganz sicher bin, ob er nicht doch imstan­de ist, blei­ben­de Schä­den an mei­ner Netz­haut zurück­zu­las­sen, ist das Finanz­amt Wed­ding in der Oslo­er Stra­ße. Ist man vom Anblick nicht spon­tan erblin­det und noch in der Lage sie zu tref­fen, möch­te man trotz­dem lobend auf die Archi­tek­ten­schul­ter klop­fen, denn immer­hin stim­men hier Form und Inhalt über­ein. Hier ist es gelun­gen, büro­kra­ti­scher Nüch­tern­heit und Käl­te ein Gesicht zu geben, das jedem vor­bei schlei­chen­den Pas­san­ten das Fürch­ten lehrt und ihn im Geis­te unwei­ger­lich noch­mals die Details sei­ner letz­ten Steu­er­erklä­rung durch­ge­hen lässt. In meh­re­ren Lagen wur­den Bän­der aus Glas im Wech­sel mit grau­em Beton lust­los über­ein­an­der geschich­tet. Wer sei­nen Blick trotz­dem die Fas­sa­de hin­auf­zwingt, der lang­weilt sich spä­tes­tens nach Eta­ge drei zu Tode. Ledig­lich ein blas­ses Blau an sei­ner Flan­ke ver­sucht dem Bau etwas Leben ein­zu­hau­chen. Ver­ge­bens. An den Rand gedrängt wird es vom Grau durch­drun­gen und domi­niert. Das Leben unter­liegt, die Büro­kra­tie wird sie­gen. Fazit: Wir sind ver­lo­ren. Den armen See­len, die im Schlund der Behör­de ver­schwin­den, möch­te man noch zuru­fen: „Lasst, die ihr ein­tre­tet, alle Hoff­nung fah­ren!“ Ingo Schar­mann, Text aus dem Jahr 2013

Das Park­haus im Novem­ber: In tris­ter 5‑Uhr-Dun­kel­heit schaue ich den Bäu­men beim all­jähr­li­chen Ster­ben zu. Fast kein Blatt mehr am Ast. Ich wate durch gelb­brau­ne Mat­sche. An der nächs­ten Kreu­zung war­tet schon ein rie­si­ger Blattsau­ger der BSR, um auch die letz­ten zer­tram­pel­ten Farb­mo­men­te aus dem Wed­din­ger Grau zu ent­fer­nen. Am ande­ren Ende der Lei­ne ver­sucht mein Hund Geruchs­nu­an­cen in zer­fled­der­tem Blatt­werk zu iden­ti­fi­zie­ren. Nach eini­gem Hin und Her ent­schei­det er, dass es bes­ser wäre, allen eine gepin­kel­te Nach­richt zu hin­ter­las­sen. Mit freund­li­chen Grü­ßen. In Zeit­lu­pe hum­pelnd läuft er neben mir her. Er ist im Herbst sei­nes Lebens ange­kom­men. Manch­mal ist es eben nur noch die kur­ze Run­de um das Park­haus. Wie pas­send er durch die halb­to­te Sze­ne­rie die­ser Novem­ber-Tris­tesse eiert. Ein Herbst im Herbst. Nie­mand weiß, wann sein Win­ter kommt. Und neben­an bil­det sich ganz neben­bei wie­der eine lan­ge Schlan­ge vor dem Test­zen­trum. Die­ser Herbst ist ein resi­gnier­tes Déjà-vu, ein müten­der Zustand.
Am Park­haus ange­kom­men, offen­bart sich mir des­sen lang­sam ver­wai­sen­de bru­ta­lis­ti­sche Rea­li­tät. Wie ein Mahn­mal einer unzer­stör­ba­ren Ver­gan­gen­heit fla­ckern die letz­ten Lich­ter aus die­sem Klotz. Obwohl hier fast kein Auto parkt, sind die Türen offen. Ein­mal war ich drin. Der Kon­sum fin­det ganz oben statt. Ein Schau­er läuft mir über den Rücken. Die Käl­te kann ich nicht mehr igno­rie­ren. Sie zieht sich durch. Wie absurd, dass man Häu­ser für Autos baut, aber kei­nen Platz für Men­schen hat. Wir sind im Herbst ange­kom­men und nie­mand weiß, wann unser Win­ter kommt. Ver­schwom­me­ne Gestal­ten ges­ti­ku­lie­ren im kal­ten Park­haus-Licht, wäh­rend die Bau­stel­le der BHT sur­re­al hell leuch­tet. Das Park­haus soll bald abge­ris­sen wer­den. Ein Kreis­lauf aus Beton. Wäh­rend ich die kur­ze Park­haus­run­de been­de, fra­ge ich mich wie oft ich die­sen Weg noch gehen wer­de. Ich fra­ge mich, wann der Win­ter kommt. Und neben­an ver­län­gert sich ganz neben­bei die Schlan­ge vor dem Test­zen­trum. Ina Rater­ink

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  1. Vor fünf­zig Jah­ren, als ich noch poli­tisch in einer Par­tei war, hat­ten wir uns schon über die­ses häss­li­che Mons­trum auf­ge­regt. Wir bemän­gel­ten, daß der Wed­ding nicht nur zuge­baut wer­den sol­le und es an zu wenig grün mangele.
    Es hieß damals, daß das Park­haus nicht abge­ris­sen wer­den kön­ne, da es mit “Bun­des­mit­teln” gebaut wur­de. Wir
    hat­ten näm­lich als Vor­schlag, daß auf der Flä­che ein “Erleb­nis­bad” zur Erho­lung gebaut wer­den sollte.

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