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Schleichende Missionierung

20. Januar 2013
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Gast­bei­trag von Robert Rescue

Kreuz der NazarethkircheLan­ge habe ich nichts mehr über die dubio­se Chris­ten­ge­mein­de geschrie­ben, die sich samt Café im Vor­der­haus der See­stra­ße nie­der­ge­las­sen hat. Das könn­te bedeu­ten, dass aus ihnen nichts gewor­den ist, dass sie das Laden­ge­schäft auf­ge­ge­ben haben, aber das Gegen­teil ist der Fall, die haben sich gemacht. Zwar ver­schen­ken sie kei­nen Rha­bar­ber­ku­chen mehr und spre­chen kei­ne Pas­san­ten an, um sie für ihren Glau­ben zu gewin­nen, dafür haben sie sich zum nach­mit­täg­li­chen Kiez-Café gewan­delt, dass mit dem, wie ich zuge­ben muss, gelun­ge­nen Wer­be­spruch „Cof­fee to pray“ wirbt. Auch der Name des Ladens, „Café Man­del­zweig“, hebt sich wohl­tu­end und fast schon poe­tisch von all den Inter­net-Buden und Spiel­ca­si­nos in der Umge­bung ab, die so Namen tra­gen wie „Rosa Café Nr. 3“, “Suns­hi­ne Café“, „Café Eif­fel“ oder „Gol­de­ner Drei­eck“. Tags­über ist dort auch recht viel Publi­kum, bevor das Café abends schließt oder der Got­tes­dienst beginnt. Ob die nach­mit­täg­li­chen Besu­cher was mit der Glau­bens­ge­mein­schaft zu tun haben, weiß ich nicht, aber es fällt auf, dass sie Stamm­gäs­te sind, die einen gepfleg­ten und enga­gier­ten Ein­druck machen. Das kann man vom neben­an gele­ge­nen „Café Stet­tin“ nicht behaup­ten. Die Per­so­nen, die dort rum­gam­meln, sind vom Glau­ben abge­fal­len und frö­nen dem Göt­zen­dienst in Form von Euro­s­port und Geldspielautomaten.

Einen beson­ders enga­gier­ten Ein­druck macht der Wirt des „Café Man­del­zweig“, wenn man ihn so nen­nen kann. Den gan­zen Tag ist er vor Ort und an Tagen, wo dort abends nichts statt­fin­det, sitzt er drin­nen an einem Tisch oder drau­ßen vor dem Laden, wäh­rend die Jalou­sien halb her­un­ter­ge­las­sen sind. Es wirkt so, als bewa­che er das Geschäft oder aber er hat eine so inni­ge Bezie­hung zu dem Ort auf­ge­baut, dass er ihn als Hei­mat betrach­tet. Auf jeden Fall wirkt er so, als habe er mit dem Job sei­ne Erfül­lung gefun­den. Ungläu­bi­ges Stau­nen dage­gen erfüllt mich und sicher­lich auch ande­re aus dem Haus und dem Kiez, wenn die Gemein­de am Mitt­woch­abend ihren Got­tes­dienst fei­ert. Wenn ich das Haus ver­las­se, blei­be ich immer am Laden ste­hen und schaue durch die Fens­ter. Der Laden ist rap­pel­voll, jun­ge wie alte Leu­te, die laut­hals von einer Lein­wand Lied­tex­te absin­gen, die ein älte­rer Herr, der mit einem Lap­top an einem der Fens­ter sit­zend, mit einem Bea­mer an die Lein­wand wirft. Es hat was von einer Karao­ke-Par­ty, einer fröh­li­chen Karao­ke-Par­ty. Sie ste­hen da, recken ent­rückt die Arme in die Luft oder umar­men sich und tanzen.

Manch­mal sehe ich auch zwei, drei von ihnen, die ihre Hän­de über dem Kopf von einem hal­ten, so als wür­den sie ihn hei­len wol­len. Anfangs habe ich mir die Nase am Fens­ter platt­ge­drückt und mich gefragt, ob die Dro­gen neh­men, bevor sie mit dem Beten anfan­gen. Inzwi­schen ste­he ich da und den­ke mir: „Was haben die, was ich nicht habe?“ Die Ant­wort dar­auf kann ich mir geben, wenn ich mei­ne Woh­nung betre­te. Eine nie­der­drü­cken­de Stil­le erwar­tet mich dort, kei­ne ande­re Men­schen­see­le außer mei­ner ver­lo­re­nen haust dort, kein Gebet, kein Tanz, kei­ne Ent­rü­ckung, kei­ne Hoff­nung. Jedes Mal, wenn ich mei­ne Woh­nung betre­te, ertap­pe ich mich bei dem Gedan­ken, hin­un­ter­ge­hen zu wol­len und zu fra­gen, ob ich mit­ma­chen kann. Doch ich las­se es dann immer blei­ben und wenn ich das nächs­te Mal Mitt­woch­abend mei­ne Woh­nung betre­te, wie­der­holt sich der Gedan­ke. Es ist ein Teu­fels­kreis. Sie wol­len uns im Haus mis­sio­nie­ren und grei­fen zu jedem Mit­tel, so glau­be ich es inzwischen.

Vor kur­zem traf ich Tarik, der vor den Chris­ten dort gut indisch gekocht hat­te, im Haus­flur wie­der. Eines Tages hat­te er den Laden zuge­macht und war unter merk­wür­di­gen Umstän­den in den Prenz­lau­er Berg ver­schwun­den. Nun aber ver­kün­de­te er mir, dass er künf­tig von Don­ners­tag bis Sams­tag dort wie­der kochen wer­de. Das erfüll­te mich mit Freu­de, aber ein gewis­ses Miss­trau­en blieb. Mach­ten die Chris­ten mit Tarik jetzt gemein­sa­me Sache? Um sei­ne Koch­küns­te genie­ßen zu kön­nen, muss­te man den Chris­ten­la­den betre­ten. Wür­de man dann über­haupt wie­der raus­kom­men? Reich­te es auch, das Essen tele­fo­nisch zu bestel­len und dann eilig abzu­ho­len oder konn­te man mit ihm, der alten Zei­ten wegen, ver­ein­ba­ren, dass er einem das Essen hoch­brach­te? Auf jeden Fall ver­mu­te­te ich da eine List der Chris­ten­ge­mein­de. Tarik war frü­her ein wesent­li­cher Teil unse­rer Lebens­qua­li­tät gewe­sen und seit er weg ist, ernäh­ren wir uns von Piz­za-Max oder von Cur­ry­wurst von der Mit­tel­pro­me­na­de und die­se Spei­sen schla­gen irgend­wann aufs Gemüt.

TurmspitzeVor ein paar Tagen habe ich mal wie­der Inter­net­re­cher­che betrie­ben. Die Web­site des christ­lich gemein­nüt­zi­gen Ver­eins „Neu­es Leben in Chris­tus“ hat­te ich schon vor zwei Jah­ren gespei­chert, aber dort hat­te sich, ver­meint­lich, lan­ge nichts getan. Eine wei­ße Sei­te mit einem „Herz­li­chen will­kom­men auf der Web­site“, dar­un­ter drei bun­te Gra­fi­ken, ein Bibel­zi­tat und dann die Adress­da­ten. Erst jetzt habe ich gemerkt, dass der Satz „Wir freu­en uns auf ihren Besuch!“ ver­linkt ist und dann zur eigent­li­chen Start­sei­te führt. Beson­ders benut­zer­freund­lich ist das nicht und ver­mut­lich steckt dahin­ter auch eine Absicht. Nur wer eine rei­ne See­le hat und Gott in sein Herz ein­lässt, kommt dahin­ter oder jemand wie ich, der wahl­los auf einer Web­site rumklickt.

Im Menü „Events“ lese ich im dort ver­link­ten Goog­le-Kalen­der, dass sie diens­tags um 15:30 Uhr ihrem mis­sio­na­ri­schen Eifer in Form des „LEO-Out­reach“ nach­ge­hen. Die Beschrei­bung des Events liest sich so: „Street­work am Leo­pold­platz. Ein Team von 2–6 Leu­ten geht für ca. 2 Stun­den mit Kaf­fee & Kuchen zur Dro­gen­sze­ne am Leo und bringt ein Stück Wär­me, Lie­be und die gute Nach­richt in Tat und Wort zu den Dro­gen­ab­hän­gi­gen.“ Aha. Die Chris­ten­ge­mein­de weiß hof­fent­lich, dass sie sich da ein har­tes Pflas­ter aus­ge­sucht hat. Ja, wis­sen sie, denn eine Stun­de vor­her tref­fen sie sich zum vor­be­rei­ten­den Gebet im Laden. Der Ter­min steht für die nächs­ten Mona­te im Kalen­der und lässt sich zurück­ver­fol­gen bis zum Mai 2010. Karl der Gro­ße brauch­te etwa 32 Jah­re, um die heid­ni­schen Sach­sen zu mis­sio­nie­ren und es ist gut mög­lich, dass die Chris­ten­ge­mein­de eben­so lan­ge brau­chen wird, bis sie den Leo­pold­platz genom­men hat. Dass sie ihre mis­sio­na­ri­sche Arbeit nur mit viel Kraft über­ste­hen kön­nen, beweist auch der Event „Glau­bens­tank­stel­le“, der jeden 4. Sams­tag von 11- 18 Uhr statt­fin­det. Dort wird, unter­bro­chen von zwei Kaf­fee­pau­sen und einem Mit­tag­essen, gebe­tet, was das Zeug hält und das bei uns im Haus. Aber ich soll­te das nicht kri­ti­sie­ren, denn schließ­lich stö­ren sie nie­man­den damit.

Dem­nächst will ich mal bei Tarik vor­bei­schau­en. Die letz­ten Wochen habe ich immer mal geschaut, habe aber kei­nen von den Chris­ten sehen kön­nen. Wahr­schein­lich betei­ligt er sich an den Miet­kos­ten und will dafür kei­nen von denen da haben, wenn er kocht. Viel­leicht gehe ich auch mal mitt­wochs run­ter und rei­he mich ein in den Rei­gen der Beten­den. Das Leben im Wed­ding ist hart und ein wenig Ent­rü­ckung könn­te mir gut tun.

Unser Gast­au­tor Robert Res­cue ist Mit­glied der Wed­din­ger Lese­büh­ne Die Brau­se­boys. Sei­ne neu­es­te Geschich­ten­samm­lung mit dem Titel „Eimer­du­schen – Ein Opfer packt aus“ ist im Jahr 2012 erschie­nen. Infos: http://www.periplaneta.com

Gastautor

Als offene Plattform veröffentlichen wir gerne auch Texte, die Gastautorinnen und -autoren für uns verfasst haben.

1 Comment Leave a Reply

  1. Tol­ler Bei­trag! Dan­ke. Sel­ten, dass Berich­te über Chris­ten und Kir­chen es schaf­fen, die­se Men­schen nicht vom ers­ten Wort an in Schub­la­den zu ste­cken. DAS ist mein Wed­ding, in dem die kul­tu­rel­le Viel­falt tat­säch­lich nicht nur ein geflü­gel­tes Wort zu sein scheint, son­dern Realität! 🙂

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