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Zum Beispiel Anna-Lindh-Schule :
Wenn Denkmalschutz nicht als Buhmann taugt

8. Mai 2023
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Dis­kus­si­ons­run­de in den Räu­men der Platt­form Nach­wuchs­ar­chi­tek­ten. Zunächst sind die Rede­bei­trä­ge einem Lied gefolgt, des­sen Melo­die jeder mit­sin­gen kann: Der Denk­mal­schutz berei­tet mehr Pro­ble­me als alles ande­re. Doch das Ende vom Lied war ein ganz ande­rer Refrain: Für Stop und wenig Go sor­gen sich wider­spre­chen­de Vor­schrif­ten. Ach ja, auch die offe­ne Wun­de Anna-Lindh-Grund­schu­le kam am Mitt­woch (3.5.) zur Spra­che. Außer­dem war die Ernst-Reu­ter-Schu­le ein The­ma und der leer­ste­hen­de Ex-Diesterweg-Standort.

Christoph Rauhut
Lan­des­kon­ser­va­tor Dr. Chris­toph Rau­hut (rechts) im Tisch­ge­spräch. Foto: And­rei Schnell

Vor­ne­weg die wich­tigs­te Nach­richt: Nach Ein­schät­zung von Lan­des­kon­ser­va­tor Dr. Chris­toph Rau­hut wird bald fest­ste­hen, ob die Anna-Lindh-Schu­le abge­ris­sen wer­den darf oder nicht. Beim Ja oder Nein hielt er sich bedeckt. “Ja, ich habe ein Gefühl”, wie der Senat ent­schei­den wird, “aber ich wer­de das hier nicht sagen”, erklär­te er bei einem Tisch­ge­spräch, zu den am 3. Mai die Platt­form Nach­wuchs­ar­chi­tek­ten ein­ge­la­den hatte.

Zum Hin­ter­grund. Nach­dem das Lan­des­denk­mal­amt, dem Dr. Chris­toph Rau­hut vor­steht, den Abriss ver­wei­gert hat, liegt die Fra­ge als soge­nann­ter Dis­sens bei der Senats­ver­wal­tung. Soweit der übli­che Ablauf des Ver­fah­rens. Auf­grund der Wie­der­ho­lungs­wahl habe es eine Ver­zö­ge­rung der Ent­schei­dung gege­ben, so der Lan­des­kon­ser­va­tor in der Naza­reth­kirch­stra­ße 39. Doch er kön­ne ver­ra­ten, dass der Senat, nach­dem er nun sei­ne Arbeit auf­ge­nom­men hat, bald etwas mit­tei­len wird.

Aber es ging nicht nur um die Anna-Lindh-Schu­le. Unter­ti­tel der Ver­an­stal­tung war: “Denk­mal­ge­schütz­te Schu­len ertüch­ti­gen – jetzt! gemein­sam!” Ein­ge­la­den war neben Ber­lins obers­tem Denk­mal­schüt­zer auch Nor­bert Illi­ges, Lei­ter der Steu­er­grup­pe für die Taskforce Schul­bau. Außer­dem saßen Jens Wad­le, Pro­ku­rist bei der Woh­nungs­bau­ge­sell­schaft Howo­ge und dort zustän­dig für Schul­bau, sowie Tho­mas Wil­ding am Tisch. Der Archi­tekt ist Gene­ral­pla­ner und arbei­tet im Büro kba.

40 Gäs­te füll­ten das Laden­lo­kal bis zum Anschlag. Die Exper­ten saßen nicht oben auf dem Podi­um, son­dern mit­ten­drin. Eine Art Küchen- oder Wohn­zim­mer­stim­mung kam auf, sodass die Dis­kus­si­on der vier über­gangs­los und auch ohne Anschubs des Mode­ra­tors Yas­ser Almaa­moun begann. Es ging um Brems­klöt­ze inner­halb der Ber­li­ner Schul­bau­of­fen­si­ve (BSO). Und schnell zeig­te sich, der Denk­mal­schutz ist nicht das ein­zi­ge und auch nicht das größ­te Hin­der­nis beim Bau­en und Sanie­ren, son­dern ledig­lich eines. Feh­len­de Koope­ra­ti­on unter­schied­li­cher Ver­wal­tun­gen ist eine min­des­tens genau­so star­ke Handbremse.

“Gesellschaften gehen an Überkomplexität zugrunde”

Zu Beginn der Ver­an­stal­tung lau­te­te die unaus­ge­spro­che­ne Ver­ab­re­dung: Drei auf Einen. So sag­te Gene­ral­pla­ner Tho­mas Wil­ding: “Denk­mal­schutz ist kein Selbst­zweck”, Gebäu­de müss­ten auch funk­tio­nie­ren. Nor­bert Illi­ges von der Schul­bau­of­fen­si­ve sag­te: “Das Pro­blem ist Pri­mat des Denk­mal­schut­zes”. Und Jens Wad­le von der Howo­ge sag­te (diplo­ma­ti­scher): “Sanie­rung ist kom­ple­xer als Neubau”.

Doch als das kon­kre­te Wed­din­ger Bei­spiel Ernst-Reu­ter-Ober­schu­le bespro­chen wur­de, hör­ten sich die Wort­mel­dun­gen anders an. Jens Wad­le beklag­te, dass die ein­zel­nen Ver­wal­tun­gen stets nur ihre Linie sehen wür­den. “Es fehlt ihnen einen Ver­hand­lungs­man­dat”. Nor­bert Illi­ges sag­te: “Jede Fach­ver­wal­tung hat gute Grün­de für ihre Vor­ga­ben”, und füg­te phi­lo­so­phisch hin­zu: “Gesell­schaf­ten gehen an Über­kom­ple­xi­tät zugrun­de.” Und Gene­ral­pla­ner Tho­mas Wil­ding sprach in sei­nem Vor­trag zur Sanie­rung der Ernst-Reu­ter-Schu­le über vie­le Din­gen, bloß nicht vom Denk­mal­schutz. Im Wesent­li­chen ent­hielt sein Bericht zum Umbau der Ernst-Reu­ter nur einen Satz zu die­sem The­ma: “Haus A bis D sind denk­mal­ge­schützt” und blei­ben unver­än­dert ste­hen. Das Bewah­ren alter Sub­stanz steht neu­en Ergän­zungs­bau­ten und einer Turn­hal­le offen­bar nicht im Wege. Und die bestehen­den, nicht-denk­mal­ge­schütz­ten Häu­ser will der Pla­ner eben­falls erhal­ten. Auch wenn er Licht­hö­fe hin­ein­schnei­den will. Doch weit fort­ge­schrit­ten sind die Beschlüs­se über das Wie der Sanie­rung in der Stral­sun­der Stra­ße noch nicht. Ledig­lich eine Mach­bar­keits­stu­die, die drei Vari­an­ten der Sanie­rung bewer­tet, liegt vor. Kurz gesagt: Obwohl seit Jah­ren fest­steht, dass die Ernst-Reu­ter-Schu­le ein “Scha­dens­fall” ist – wie es in den Unter­la­gen der Schul­bau­of­fen­si­ve heißt – steht die Ver­wal­tung mehr oder weni­ger erst am Anfang.

Es sei scha­de, dass bei der Anna-Lindh-Schu­le die Dis­kus­si­on jetzt zuge­spitzt wer­de auf die Fra­ge, Denk­mal­schutz und Erhalt des Hau­ses Ja oder Nein, mein­te Lan­des­kon­ser­va­tor Dr. Chris­toph Rau­hut. Man müs­se sehen, dass die Stadt­ge­sell­schaft auch ohne Denk­mal­schutz vor dem Pro­blem stün­de, ob die Anna-Lindh-Schu­le für viel Geld abge­ris­sen (und neu gebaut) wird oder saniert wird. “Die Anna-Lindh-Schu­le ist ein Bei­spiel dafür, wie wir uns als Stadt­ge­sell­schaft alle gemein­sam in eine miss­li­che Lage gebracht haben”. Die Gut­ach­ten sei­en gewis­ser­ma­ßen “zu ehr­lich”, da in ihnen ste­he, der Schim­mel sei durch unter­las­se­ne Instand­hal­tung verursacht.

Plattform Nachwuchsarchitekten
Denk­mal­schutz war The­ma bei der Platt­form Nach­wuchs­ar­chi­tek­ten. Foto: And­rei Schnell

Beispiel früheres Gebäude des Diesterweg-Gymnasiums

Und noch eine drit­te Wed­din­ger Schu­le war The­ma des abend­li­chen Gesprächs unter Fach­leu­ten: das oran­ge­far­be­ne Schul­haus, das bis 2011 das Dies­ter­weg-Gym­na­si­um beher­berg­te. Die Stu­den­tin­nen Anna Okon und Maxi Anja Gross stel­ten eine Idee vor, wie sich res­sour­cen­spa­rend sanie­ren lie­ße. Statt des aktu­el­len Pla­nes einer Zwi­schen­lö­sung mit Con­tai­ner­dorf schlu­gen sie vor, gleich rich­tig zu bau­en. Der­zeit wird unter dem Stich­wort Dreh­schei­be über­legt, auf dem Schul­hof in der Put­bus­ser Stra­ße einen tem­po­rä­ren Aus­weich­stand­ort zu errich­ten. Den sol­len die Schü­ler der Ernst-Reu­ter-Ober­schu­le nut­zen, solan­ge sich in ihren jewei­li­gen Gebäu­den in der Stral­sun­der Stra­ße Bau­ar­bei­ter betätigen.

Der Vor­schlag, das lang­sam ver­fal­len­de Schul­ge­län­de im Brun­nen­vier­tel mit einem soli­den Ergän­zungs­bau zu bele­ben, klingt logisch und ver­nünf­tig. Es lie­ßen sich Kos­ten spa­ren und Pro­vi­so­ri­en wür­den ver­mie­den. Den­noch dürf­ten lang­jäh­ri­ge Beob­ach­ter der mit sich selbst im Zwist lie­gen­den Ver­wal­tung wäh­rend des Vor­trags der Stu­den­tin­nen trau­rig gelä­chelt haben. Denn dass es den Ver­ant­wort­li­chen gelingt, die­sen Vor­schlag umzu­set­zen, das dürf­ten sehr wahr­schein­lich fest­ge­leg­te Abläu­fe und Ver­fah­rens­zwän­ge ver­hin­dern. Und wie­der ein­mal ist es nicht der Denk­mal­schutz allein, der Ber­lin­ge­schwin­dig­keit zu etwas ande­rem als Deutsch­land­ge­schwin­dig­keit macht.

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

2 Comments Leave a Reply

  1. “Die Anna-Lindh-Schu­le ist ein Bei­spiel dafür, wie wir uns als Stadt­ge­sell­schaft alle gemein­sam in eine miss­li­che Lage gebracht haben”
    –> Ein ganz kla­res und ent­schie­de­nes NEIN! Die kom­plet­te Schul­ge­mein­schaft (Eltern­ver­tre­ter, Schul­lei­tung, Leh­re­rIn­nen, För­der­ver­ein) wei­sen seit weit über 10 Jah­ren regel­mä­ßig und laut auf den maro­den Zustand der Schu­le und auch auf den Schim­mel hin. Ver­sagt hat hier die Ver­wal­tung, nicht die Bürger.

    • Dass in dem Satz die Gegen­über­stel­lung Bür­ger und Ver­wal­tung steckt, ist mir bis eben nicht auf­ge­fal­len. Im Zusam­men­hang der Dis­kus­si­on wäh­rend der Ver­an­stal­tung habe ich die Abwehr des Angriffs bemerkt, der Denk­mal­schutz allein habe die Pro­ble­me berei­tet. In die­ser Ver­tei­di­gung woll­te Dr. Chris­toph Rau­hut erkenn­bar eine wei­che, diplo­ma­ti­sche For­mu­lie­rung fin­den, bei der er kei­ne Namen nen­nen muss. Die Beto­nung beim Spre­chen lag auf dem Wort “gemein­sam”. Er woll­te den Gegen­an­griff mit­tels einer Suche nach Schul­di­gen star­ten. So habe ich es an dem Abend wahrgenommen.

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