Diskussionsrunde in den Räumen der Plattform Nachwuchsarchitekten. Zunächst sind die Redebeiträge einem Lied gefolgt, dessen Melodie jeder mitsingen kann: Der Denkmalschutz bereitet mehr Probleme als alles andere. Doch das Ende vom Lied war ein ganz anderer Refrain: Für Stop und wenig Go sorgen sich widersprechende Vorschriften. Ach ja, auch die offene Wunde Anna-Lindh-Grundschule kam am Mittwoch (3.5.) zur Sprache. Außerdem war die Ernst-Reuter-Schule ein Thema und der leerstehende Ex-Diesterweg-Standort.
Vorneweg die wichtigste Nachricht: Nach Einschätzung von Landeskonservator Dr. Christoph Rauhut wird bald feststehen, ob die Anna-Lindh-Schule abgerissen werden darf oder nicht. Beim Ja oder Nein hielt er sich bedeckt. “Ja, ich habe ein Gefühl”, wie der Senat entscheiden wird, “aber ich werde das hier nicht sagen”, erklärte er bei einem Tischgespräch, zu den am 3. Mai die Plattform Nachwuchsarchitekten eingeladen hatte.
Zum Hintergrund. Nachdem das Landesdenkmalamt, dem Dr. Christoph Rauhut vorsteht, den Abriss verweigert hat, liegt die Frage als sogenannter Dissens bei der Senatsverwaltung. Soweit der übliche Ablauf des Verfahrens. Aufgrund der Wiederholungswahl habe es eine Verzögerung der Entscheidung gegeben, so der Landeskonservator in der Nazarethkirchstraße 39. Doch er könne verraten, dass der Senat, nachdem er nun seine Arbeit aufgenommen hat, bald etwas mitteilen wird.
Aber es ging nicht nur um die Anna-Lindh-Schule. Untertitel der Veranstaltung war: “Denkmalgeschützte Schulen ertüchtigen – jetzt! gemeinsam!” Eingeladen war neben Berlins oberstem Denkmalschützer auch Norbert Illiges, Leiter der Steuergruppe für die Taskforce Schulbau. Außerdem saßen Jens Wadle, Prokurist bei der Wohnungsbaugesellschaft Howoge und dort zuständig für Schulbau, sowie Thomas Wilding am Tisch. Der Architekt ist Generalplaner und arbeitet im Büro kba.
40 Gäste füllten das Ladenlokal bis zum Anschlag. Die Experten saßen nicht oben auf dem Podium, sondern mittendrin. Eine Art Küchen- oder Wohnzimmerstimmung kam auf, sodass die Diskussion der vier übergangslos und auch ohne Anschubs des Moderators Yasser Almaamoun begann. Es ging um Bremsklötze innerhalb der Berliner Schulbauoffensive (BSO). Und schnell zeigte sich, der Denkmalschutz ist nicht das einzige und auch nicht das größte Hindernis beim Bauen und Sanieren, sondern lediglich eines. Fehlende Kooperation unterschiedlicher Verwaltungen ist eine mindestens genauso starke Handbremse.
“Gesellschaften gehen an Überkomplexität zugrunde”
Zu Beginn der Veranstaltung lautete die unausgesprochene Verabredung: Drei auf Einen. So sagte Generalplaner Thomas Wilding: “Denkmalschutz ist kein Selbstzweck”, Gebäude müssten auch funktionieren. Norbert Illiges von der Schulbauoffensive sagte: “Das Problem ist Primat des Denkmalschutzes”. Und Jens Wadle von der Howoge sagte (diplomatischer): “Sanierung ist komplexer als Neubau”.
Doch als das konkrete Weddinger Beispiel Ernst-Reuter-Oberschule besprochen wurde, hörten sich die Wortmeldungen anders an. Jens Wadle beklagte, dass die einzelnen Verwaltungen stets nur ihre Linie sehen würden. “Es fehlt ihnen einen Verhandlungsmandat”. Norbert Illiges sagte: “Jede Fachverwaltung hat gute Gründe für ihre Vorgaben”, und fügte philosophisch hinzu: “Gesellschaften gehen an Überkomplexität zugrunde.” Und Generalplaner Thomas Wilding sprach in seinem Vortrag zur Sanierung der Ernst-Reuter-Schule über viele Dingen, bloß nicht vom Denkmalschutz. Im Wesentlichen enthielt sein Bericht zum Umbau der Ernst-Reuter nur einen Satz zu diesem Thema: “Haus A bis D sind denkmalgeschützt” und bleiben unverändert stehen. Das Bewahren alter Substanz steht neuen Ergänzungsbauten und einer Turnhalle offenbar nicht im Wege. Und die bestehenden, nicht-denkmalgeschützten Häuser will der Planer ebenfalls erhalten. Auch wenn er Lichthöfe hineinschneiden will. Doch weit fortgeschritten sind die Beschlüsse über das Wie der Sanierung in der Stralsunder Straße noch nicht. Lediglich eine Machbarkeitsstudie, die drei Varianten der Sanierung bewertet, liegt vor. Kurz gesagt: Obwohl seit Jahren feststeht, dass die Ernst-Reuter-Schule ein “Schadensfall” ist – wie es in den Unterlagen der Schulbauoffensive heißt – steht die Verwaltung mehr oder weniger erst am Anfang.
Es sei schade, dass bei der Anna-Lindh-Schule die Diskussion jetzt zugespitzt werde auf die Frage, Denkmalschutz und Erhalt des Hauses Ja oder Nein, meinte Landeskonservator Dr. Christoph Rauhut. Man müsse sehen, dass die Stadtgesellschaft auch ohne Denkmalschutz vor dem Problem stünde, ob die Anna-Lindh-Schule für viel Geld abgerissen (und neu gebaut) wird oder saniert wird. “Die Anna-Lindh-Schule ist ein Beispiel dafür, wie wir uns als Stadtgesellschaft alle gemeinsam in eine missliche Lage gebracht haben”. Die Gutachten seien gewissermaßen “zu ehrlich”, da in ihnen stehe, der Schimmel sei durch unterlassene Instandhaltung verursacht.
Beispiel früheres Gebäude des Diesterweg-Gymnasiums
Und noch eine dritte Weddinger Schule war Thema des abendlichen Gesprächs unter Fachleuten: das orangefarbene Schulhaus, das bis 2011 das Diesterweg-Gymnasium beherbergte. Die Studentinnen Anna Okon und Maxi Anja Gross stelten eine Idee vor, wie sich ressourcensparend sanieren ließe. Statt des aktuellen Planes einer Zwischenlösung mit Containerdorf schlugen sie vor, gleich richtig zu bauen. Derzeit wird unter dem Stichwort Drehscheibe überlegt, auf dem Schulhof in der Putbusser Straße einen temporären Ausweichstandort zu errichten. Den sollen die Schüler der Ernst-Reuter-Oberschule nutzen, solange sich in ihren jeweiligen Gebäuden in der Stralsunder Straße Bauarbeiter betätigen.
Der Vorschlag, das langsam verfallende Schulgelände im Brunnenviertel mit einem soliden Ergänzungsbau zu beleben, klingt logisch und vernünftig. Es ließen sich Kosten sparen und Provisorien würden vermieden. Dennoch dürften langjährige Beobachter der mit sich selbst im Zwist liegenden Verwaltung während des Vortrags der Studentinnen traurig gelächelt haben. Denn dass es den Verantwortlichen gelingt, diesen Vorschlag umzusetzen, das dürften sehr wahrscheinlich festgelegte Abläufe und Verfahrenszwänge verhindern. Und wieder einmal ist es nicht der Denkmalschutz allein, der Berlingeschwindigkeit zu etwas anderem als Deutschlandgeschwindigkeit macht.
“Die Anna-Lindh-Schule ist ein Beispiel dafür, wie wir uns als Stadtgesellschaft alle gemeinsam in eine missliche Lage gebracht haben”
–> Ein ganz klares und entschiedenes NEIN! Die komplette Schulgemeinschaft (Elternvertreter, Schulleitung, LehrerInnen, Förderverein) weisen seit weit über 10 Jahren regelmäßig und laut auf den maroden Zustand der Schule und auch auf den Schimmel hin. Versagt hat hier die Verwaltung, nicht die Bürger.
Dass in dem Satz die Gegenüberstellung Bürger und Verwaltung steckt, ist mir bis eben nicht aufgefallen. Im Zusammenhang der Diskussion während der Veranstaltung habe ich die Abwehr des Angriffs bemerkt, der Denkmalschutz allein habe die Probleme bereitet. In dieser Verteidigung wollte Dr. Christoph Rauhut erkennbar eine weiche, diplomatische Formulierung finden, bei der er keine Namen nennen muss. Die Betonung beim Sprechen lag auf dem Wort “gemeinsam”. Er wollte den Gegenangriff mittels einer Suche nach Schuldigen starten. So habe ich es an dem Abend wahrgenommen.