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Queerer Barabend im Café Dujardin:
Poesie, Punk und schummeriger Glamour

14. März 2024

Als ich das Dujardin an diesem Dienstagabend (5.3.) gegen halb acht betrete, herrscht schon eine erwartungsvolle Atmosphäre. Ich bestelle mir ein Getränk am Tresen und beobachte die Gastgeberinnen Rosetta Pierre und Joseph Roth, wie sie elegant durch die warm beleuchteten Kneipenräume gleiten und Gäste begrüßen. Beide sind rot gekleidet: Pierre in Kostüm mit Hütchen, Roth in schimmerndem Abendkleid und High Heels. Ein Besuch beim queeren Barabend "Rosa Bonheur c.u.n.t." im Dujardin.

Rosetta Pierre, Barkeeper Polka Manu und Joseph Roth. Foto: Susann Schütz
Rosetta Pierre, Barkeeper Polka Manu und Joseph Roth. Foto: Susann Schütz

Plötzlich klatscht Pierre in die Hände und ruft „Fiat Lux!“, woraufhin einige Gäste wissend ihre Smartphones zücken und mit der Taschenlampenfunktion einen provisorischen Scheinwerfer schaffen, in dem nun Pierre und Roth mit den Zeilen: „Im Dujardin brennt noch Licht, doch alle Türen sind schon dicht. Hier ist die ganze Hautevolee, Karten gibt es nur schwarz beim Portier“, den Abend eröffnen. Auf der Gitarre begleitet von dem Barkeeper, der mir eben noch das Bier servierte.

Wir brauchen mehr queere Veranstaltungen im Wedding, dachten sich der Schauspieler Thomas Kellner und die Multimediakünstlerin und Performerin Josephin Hanke im Winter letzten Jahres (2023), als sie die Reihe „Rosa Bonheur c.u.n.t.“ ins Café Dujardin in der Uferstraße brachten. Kellner, der auch Teil der deutsch-französischen Kabarettgruppe Kollektiv Mahu ist, möchte mit dem salonartigen Abend im Café Dujardin einen Safe Space für die LGBTQI+-Community im Wedding schaffen und seiner Leidenschaft für Kabarett nachgehen. „Wir möchten, dass Leute an diesem Abend eine Gemeinschaft finden, die sie hier in der Ecke vielleicht noch nicht hatten und wollen mit unseren Darbietungen in den Dialog mit dem Publikum treten“, sagt Kellner, der mal als Rosetta Stone, mal als Rosetta Pierre mit französischem Akzent auftritt.

Rosetta Piere alias Thomas Kellner zitiert Gedichte von Mátyás Dunajcsik. Foto: Susann Schütz
Rosetta Pierre alias Thomas Kellner zitiert Gedichte von Mátyás Dunajcsik. Foto: Susann Schütz

„Der Wedding muss wieder rot werden“, verkündet Thomas Kellner mit dem Charme der Rosetta Pierre das Motto des Abends. „Es muss eine Umverteilung geben und wir müssen dem Rechtsrück etwas entgegensetzen!“. Woraufhin Joseph Roth (alias Josephin Hanke) in glänzend-roter Abendrobe und mit ernster Miene durch den Raum schreitet und singt „Die Mutter wird gesucht“ – eine Variation des 1935 von Hans Drach geschriebenen Arbeiterliedes „Der Vater wird gesucht“, in dem er konsequent den „Vater“ durch die „Mutter“ ersetzt. Die Gäste, die eben noch munter schwatzten, lauschen Roths A-cappella-Darbietung, voller Spannung und applaudieren begeistert.

Das Motto dieses Abends findet sich auch in einem späteren Programmpunkt wieder, als Rosetta Pierre das Publikum dazu auffordert, mit ihr zusammen einen bekannten deutschen „Schlager“ zu singen, denn ihre Stimme sei heute belegt und man benötige jede Stimme gegen den Rechtsrück. Sie stellt eine Boombox in die Mitte des Raumes auf, es erklingen die ersten Töne des Ärztesongs „Schrei nach Liebe“, ich spüre einen Ruck im Publikum und alle, auch ich, brüllen mit einer Stimme den Text des 1993 entstanden Anti-Neonazi-Stücks. Rosetta Pierre hüpft headbangend durch den Raum und zieht einen zirka 30-jährigen, dunkelgelockten Gast in die Mitte, der beim Singen den Eindruck erweckt, „Schrei nach Liebe“ sei die Hymne seiner Jugend gewesen. Und war sie das nicht für uns alle, denke ich, während ich von meinem bequemen Sofaplatz aus mitwippe und -trällere, das Smartphone in der Hand, um Licht auf die beiden in der Mitte zu werfen. So bin ich schon, ohne es zu merken, Teil der Performance geworden, fühle mich mit den anderen Menschen im Raum verbunden und genieße das Gefühl, Teil einer größeren Gemeinschaft zu sein, die Wünsche und Ideen teilt.

Und während ich gerade noch ein bisschen vor mich hin schwelge, sehe ich vor mir auf dem Parkett schon im schwarzen Kimono divenhaft drapiert die Sängerin und Schauspielerin Nolundi Tschudi liegen, die in einen Dialog mit einer außerirdischen Existenz getreten ist und dieser auf ihrer singenden Säge ein Ständchen darbringt.

„Die Ideen und Themen für unsere Performances entstehen meist spontan und speisen sich daraus, was uns privat oder beruflich in den Tagen vor dem Barabend beschäftigt, aber auch aus dem, was wir alle täglich in den Nachrichten hören“, erzählt mir Künstlerin und Performerin Josephin Hanke in einer kurzen Pause an der Bar. Im Hintergrund läuft Tina Turner mit „What‘s Love Got to Do with It“ vom Plattenspieler, Biere und Longdrinks werden über den Tresen geschoben, einige tanzen. Hanke reize auch die Möglichkeit, in verschiedene Rollen zu schlüpfen, mal die glamouröse Dragqueen Lara Boom, mal – wie an diesem Abend – Dr. Sommer aus der Jugendzeitschrift Bravo zu sein und fiktive Leser:innenbriefe mit Datingproblemen zu beantworten.

Nolundi Tschudi im Dialog mit Ausserirdischen. Foto: Susann Schütz
Nolundi Tschudi im Dialog mit Außerirdischen. Foto: Susann Schütz

„Wir probieren jedes Mal was Neues, aber wir haben auch wiederkehrende Programmpunkte“, sagt Thomas Kellner. Dazu gehören ein Gedichtvortrag und das „Herzstück“, das Rosetta Stone und Joseph Roth (alias Kellner und Hanke) gegen 23 Uhr einläuten. Der Kurzdialog von Heiner Müller wird bei jedem Rosa-Bonheur-Abend von den Gastgeber:innen und von den Gästen gespielt. Die beiden, die sich freiwillig melden, fallen den Veranstalter:innen nach ihrer Darbietung dankbar und wie im Rausch in die Arme. „Das ist jedes Mal so“, sagt Thomas Kellner. „Man muss die quälenden Minuten aushalten, bis sich jemand freiwillig meldet, aber dann sind die Leute immer froh, sich getraut und einen schönen Moment mitgestaltet zu haben.“

Der Abend, der nach der Künstlerin Rosa Bonheur – die im 19. Jahrhundert in Paris emanzipiert lesbisch lebte – benannt ist, schließt, wie er begann, mit dem Lied, das mittlerweile als die Hymne des 14-tägig dienstags stattfindenden Barabends „Rosa Bonheur c.u.n.t.“ gilt: Mit einer umgedichteten Version des 1950er Jahre Stückes „Piccadilly Tango“ beziehungsweise „Dujardin Tango“ „Im Dujardin brennt noch Licht …“.

Wer die mitreißende Atmosphäre dieses Barabends im Dujardin erleben möchte, kann dies noch an den folgenden Dienstagen: 19. März, 2. April, 16. April und 30. April. Das Programm beginnt um 19 Uhr in der Uferstraße 12.

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Susann Schütz

Susann wurde Anfang der 1980er Jahre im (Ost-)Harz geboren. Sie kam nach ein paar Jahren in Kiel, Hamburg, Paris im Jahr 2008 nach Berlin und lebt seit 2016 im Wedding. Sie arbeitet fürs Radio, geht gern im Wedding und überall in Berlin spazieren, immer auf der Suche nach den Spuren der jüngeren und älteren Vergangenheit. Im Wedding fühlt Susann sich wohl, obwohl sie ihn auch manchmal satt hat. Sie sagt sich aber, so ist das eben mit den Orten, die wir zu Hause nennen.

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