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Im Weddinger Straßenbild:
Rolf ist wieder da!

22. Dezember 2022
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War er schon da, als ich kam? Oder kam er, als ich schon da war? Wann ist er gegan­gen? War­um bin ich geblie­ben? Sei­ne Wege waren die glei­chen, die ich ging, sein Vier­tel war mein Vier­tel. Er kann­te jede Ecke und ich folg­te sei­nen Spu­ren. Immer wie­der konn­te ich etwas Neu­es von ihm ent­de­cken: In der U‑Bahn, an einem Ver­kehrs­schild, auf einem Ampel­mast. Rolf war da und doch weg, nah aber doch unfassbar. 

Spiel­te er ein Spiel mit mir, oder woll­te er mich zum Wahn­sinn trei­ben? Es war wie Hase und Igel. Kaum lief ich nachts durch die Stra­ßen des Wed­ding, schon konn­te ich am nächs­ten Tag dort fri­sche Tags fin­den. Ver­folg­te er mich heim­lich, oder war er mir immer einen Schritt vor­aus? War­um ver­wen­de­te er mei­nen Namen? War es auch sei­ner, oder hat­te er sich die vier Buch­sta­ben als „Tag“ zuge­legt, um mich zu ver­höh­nen? Ich dach­te, ich wür­de es nie erfah­ren, denn irgend­wann war Rolf weg. Es muss vor fünf Jah­ren gewe­sen sein, als ich sei­nen letz­ten Tag fand. Um die glei­che Zeit, als ich mir eine neue Woh­nung suchen muss­te. Kei­ne Tags mehr, kei­ne Über­ra­schun­gen. Es war, als wäre ein Teil von mir ver­schwun­den. Aber viel­leicht hat­te Rolf auch ein­fach das Spiel satt.

Es war ja von Anfang an eine blö­de Idee. Wer heißt denn heu­te noch Rolf? Emil, Emma und Paul sind wie­der en vogue. Aber Rolf? Schon der Pfar­rer, der mich tauf­te, wei­ger­te sich, die­se Zumu­tung von einem Namen in das Kir­chen­buch ein­zu­tra­gen. Dort steht „Rudolf“, die ursprüng­li­che Ver­si­on, weil es bei den Katho­li­ken kei­nen hei­li­gen Rolf gibt. Eher im Gegen­teil. Rolf Hoch­huth zum Bei­spiel, der sei­nen „Stell­ver­tre­ter“, das Dra­ma, in dem er die Nazi-Kol­la­bo­ra­ti­on des Paps­tes anpran­gert, im Jahr mei­ner Geburt als Manu­skript vor­leg­te. Viel­leicht durf­te der Name des­halb nicht in ein katho­li­sches Kir­chen­buch. Hat­te der hei­li­ge Stuhl Wind davon bekom­men? Gab es ein gehei­mes katho­li­sches Rolf-Ver­bot? Oder Rolf Müt­zenich, der streit­ba­re SPD-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de, der wei­ter wacker Dees­ka­la­ti­on zwi­schen Russ­land und der Ukrai­ne for­dert. Der muss ja mit dem Teu­fel im Bun­de sein. Sonst fin­det man den Namen heut­zu­ta­ge vor allem in den Todes­an­zei­gen der Zei­tun­gen. Rolf war immer zu ein­sil­big und immer zu kurz, um ver­stan­den zu wer­den („War das jetzt Wolf oder Ralf?“) Und immer öfter ist Rolf auch tot.

Und unser Rolf? Der Spray­er, der Tag­ger, der Wed­ding­freund? Lebt er noch? Wer so einen blö­den Namen hat, der lässt sich eigent­lich nicht so leicht unter­krie­gen. Der hat gelernt, Tief­schlä­ge ein­zu­ste­cken und sich zu weh­ren. Es gibt von John­ny Cash das wun­der­ba­re Lied „A Boy Named Sue“ Die Geschich­te von einem Vater, der sei­nem Sohn einen Mäd­chen­na­men gibt und sich dann aus dem Staub macht. Irgend­wann fin­det ihn der Sohn, ver­drischt sei­nen Vater und der ant­wor­tet. „I gave you that name and I said good­bye. And I knew you‘d get tough or die.“ Und des­halb war es weni­ger eine Über­ra­schung als eine Gewiss­heit, die Wirk­lich­keit wur­de, als ich ges­tern am U‑Bahnhof See­stra­ße aus dem Fens­ter schaue. Rolf ist nicht tot­zu­krie­gen. Rolf ist wie­der da!

Groß, selbst­be­wusst und unüber­seh­bar. Sein Stil ist gereift. Auf das Wesent­li­che redu­ziert. Kei­ne Farb­spie­le­rei­en, kei­ne über­heb­li­chen Sprü­che. Nur der pure Rolf. Rolf 65. Und wer im Wed­ding wohnt weiß, dass das kryp­ti­sche Zah­len­spiel, kein Geburts­da­tum oder eine Alters­an­ga­be ist, son­dern ein kla­res Bekennt­nis zur alten Hei­mat. 1 Ber­lin 65 ist die alte Post­leit­zahl des Wedding.

Rolf, wo immer du dich rum­ge­trie­ben hast. Ick freue mir, dass de wie­der da bis. Will­kom­men zu Hause!

Die­ser Text erschien zuerst auf die­sem Blog.

Rolf Fischer

Ich lebe gerne im Wedding und schreibe über das, was mir gefällt. Manchmal gehe ich auch durch die Türen, die in diesem Teil der Stadt meistens offen stehen.

6 Comments Leave a Reply

  1. Wun­der­schön zu lesen, vie­len Dank…
    Ich blei­be da. Bin nur manch ein­mal in der Natur, wo ich abhan­den kom­me, für eini­ge Zeiten. 😉

    Liebs­te Grü­ße an alle Nachbarn
    Rolf le Rolfe

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