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Wedding und Tiergarten: Rathaus-Architekturen…

3. Oktober 2012
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Rathaus-Altbau im Stil der Neuen SachlichkeitDer Bedarf an Gebäu­den für die 23 Bezirks­ver­wal­tun­gen ent­stand 1920 durch die Ein­ge­mein­dung von Dör­fern und Städ­ten zu einem »Groß-Ber­lin«. Da die neu­en Bezir­ke Wed­ding und Moa­bit nicht über geeig­ne­te Bau­ten ver­füg­ten, wur­den zwi­schen 1930 und 1937 Neu­bau­ten errich­tet. Doch trotz der gerin­gen Zeit­dif­fe­renz könn­ten das Moa­bi­ter Rat­haus und das alte Rat­haus im Wed­ding nicht unter­schied­li­cher sein.

Der von Fried­rich Hell­wig ent­wor­fe­ne, 1930 fer­tig­ge­stell­te Ver­wal­tungs­bau an der Mül­lerstra­ße ent­spricht mit sei­nem kubi­schen Bau­kör­per, der roten Back­stein­fas­sa­de sowie der Glie­de­rung durch die wei­ßen Fens­ter­bän­der der Archi­tek­tur dem Stil der Neu­en Sach­lich­keit der 1920er Jah­re und spie­gelt den Geist der Wei­ma­rer Repu­blik. Der Besu­cher betritt das Bezirks­amt eben­erdig, hin­ter der Ein­gangs­hal­le befand sich der Sit­zung­s­aal der Bezirksverordneten.

Rathaus Tiergarten, davor die Markthalle
Rat­haus Tier­gar­ten, davor die Markthalle

Auch Richard Ermisch (1885–1960), der Archi­tekt des Rat­hau­ses Tier­gar­ten, sieht sich zu Beginn der 1930er Jah­re zunächst der funk­tio­na­len Archi­tek­tur ver­pflich­tet. Er ent­wirft mit Mar­tin Wag­ner eines der bedeu­ten­den Bau­vor­bau­vor­ha­ben der Moder­ne in Ber­lin: das Strand­bad Wann­see. Doch das sie­ben Jah­re spä­ter fer­tig gestell­te Tier­gar­te­ner Rat­haus folgt bereits mit sei­nem Ehren­hof, der Natur­stein­ver­blen­dung, dem Sat­tel­dach, dem vor­ge­zo­ge­nen Por­ti­kus sowie dem damals übli­chen Füh­rer­bal­kon ganz der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Archi­tek­tur­spra­che. Weil im nach dem Füh­rer­prin­zip orga­ni­sier­ten Deutsch­land eine Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung als über­flüs­sig galt, plan­te der Archi­tekt einen Saal dafür erst gar nicht ein. Mit die­sem Rat­haus ver­lor Moa­bit nicht nur einen zen­tra­len Platz an die­sem Ort: Das Bau­werk reprä­sen­tier­te auch den natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Herr­schafts­an­spruch in die­sem einst von der Arbei­ter­be­we­gung gepräg­ten Stadt­teil. In dem Wunsch nach mili­tä­ri­scher Kon­trol­le der Mas­sen stan­den die natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Macht­ha­ber der ver­dich­te­ten und durch­misch­ten Stadt kri­tisch gegen­über. Iro­ni­scher­wei­se schien ihre Vor­stel­lung einer auf­ge­lo­cker­ten Stadt­land­schaft in den Kriegs­jah­ren aus­ge­rech­net durch den Bom­ben­krieg in greif­ba­re Nähe zu rücken.

Rat­haus-Neu­bau von Fritz Bornemann

In der Nach­kriegs­zeit grif­fen Archi­tek­ten das Leit­bild der funk­tio­nal getrenn­ten und ver­kehrs­ge­rech­ten Stadt, die Ideen und Idea­le der klas­si­schen Moder­ne aus den 20er Jah­ren der Wei­ma­rer Repu­blik wie­der auf. Beson­ders gut erkenn­bar ist die­se Idee an dem 1955 geplan­ten Neu­en Rat­haus Wed­ding von Fritz Born­emann (1912–2007) mit sei­nen gestaf­fel­ten Bau­kör­pern. So ver­län­ger­te er zunächst das alte Rat­haus bis zur Gen­ter Stra­ße und ergänz­te es mit einem neu­en 12geschossigen Flü­gel, im rech­ten Win­kel zum Alt­bau und weit von der Stra­ße zurück gesetzt. Den Sit­zungs­saal ord­ne­te er zunächst im Hof hin­ter dem Gebäu­de an. Sein neu­es Rat­haus zeigt die für die 50er Jah­re typi­sche git­ter­för­mi­ge Fas­sa­den­ge­stal­tung. Es glich der Ame­ri­ka­ni­schen Gedenk­bi­blio­thek, jenem Sym­bol ame­ri­ka­ni­scher Prä­senz in West– Ber­lin von 1953, an des­sen Errich­tung Born­emann betei­ligt war. Da der Bau­be­ginn des Rat­hau­ses auf­grund ande­rer Vor­ha­ben zurück­ge­stellt wur­de, änder­te der Archi­tekt dem neu­en Zeit­geist ent­spre­chend sei­ne Ent­wür­fe. Damals ent­wi­ckel­te er die für ihn typi­sche schwe­ben­de Wir­kung der Archi­tek­tur, die durch das Zurück­set­zen des Erd­ge­schos­ses oder das Anhe­ben der Bau­kör­per durch Stüt­zen oder Säu­len entsteht.

Musiktheater und Hochschulgebäude
ehem. Max-Beck­mann-Saal

Dass Born­emann den BVV-Saal nun nach vorn zur Stra­ße hin vor das Rat­haus stell­te, steht im Zusam­men­hang mit den zeit­gleich errich­te­te Neu­bau­ten der heu­ti­gen Beuth-Hoch­schu­le von Her­bert Rimpl (1902–1978). Der Archi­tekt der Moder­ne, der in der NS-Zeit Chef­ar­chi­tekt in den Her­mann-Göring-Wer­ken war und im Zwei­ten Welt­krieg unter Albert Speer den Wie­der­auf­bau des im Krieg zer­stör­ten Ber­lin plan­te, errich­te­te 1963 den zen­tra­len Hoch­schul-Hör­saal (den Max-Beck­mann-Saal, in dem sich heu­te das ATZE-Musik­thea­ter befin­det) als frei ste­hen­des Bau­werk. Die Staf­fe­lung sei­ner Bau­kör­per sowie der Stra­ßen­durch­bruch der sechs­spu­ri­gen Luxem­bur­ger Stra­ße sind ein Para­de­bei­spiel der für das dama­li­ge West­ber­lin typi­schen Stadt­zer­stö­rung der Nachkriegszeit.

Nur weni­ge hun­dert Meter davon wur­de an der Mül­lerstra­ße von 1962–1964 der BVV-Saal von Born­emann erbaut (eini­ge Jah­re befand sich dar­in die Schil­ler-Biblio­thek). Das Gebäu­de zeich­net sich durch kla­re Lini­en und die nach drei Sei­ten ver­glas­ten Wän­de aus. Die Trans­pa­renz der Archi­tek­tur wur­de damals als Aus­druck der Frei­heit der Gesell­schaft und des poli­ti­schen Sys­tems angesehen.

Ehem. BVV-Saal und Rathausturm

Dabei könn­te das Bau­werk nicht nur als Sym­bol gegen­über dem Stadt­ver­ständ­nis des Natio­nal­so­zia­lis­mus gewer­tet wer­den. Der dama­li­ge Wed­din­ger Bür­ger­meis­ter Hel­mut Mat­tis stell­te bei der Grund­stein­le­gung für den Rat­haus-Neu­bau im Som­mer 1962 – und damit 10 Mona­te nach dem Bau der Ber­li­ner Mau­er – noch einen ande­ren Zusam­men­hang her. Er sah im dem Haus ein Sym­bol für die Frei­heit aller Bür­ger, die bald vom Hoch­haus-Turm über das wie­der­ver­ei­nig­te Ber­lin bli­cken könnten.

Autor: Eber­hard Elfert

Ergän­zung: Zwi­schen­zeit­lich wur­de der Rat­haus­turm saniert und beher­bergt heu­te das Job-Cen­ter Mitte

Gastautor

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2 Comments Leave a Reply

  1. Ein aus­ge­zeich­ne­ter Arti­kel. Mein Groß­va­ter, Dr. med. Paul Mey­er, war von 1939 bis 1945 Ober­arzt der Abtei­lung für Gynä­ko­lo­gie und Geburts­hil­fe am Jüdi­schen Kran­ken­haus. Er hat nie über sei­ne Zeit dort gespro­chen oder geschrie­ben, aber nach mei­nen Recher­chen war es eine sehr unan­ge­neh­me Zeit. Ich weiß, dass er kei­nen Pati­en­ten behan­del­te, ohne dass die­ser ein For­mu­lar unter­schrieb, das bestä­tig­te, dass er jüdisch war. Ab 1941 erhielt er kein Gehalt mehr. Am Ende des Krie­ges war er nur zu 50 Pro­zent arbeits­fä­hig und litt für den Rest sei­nes Lebens.

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