In der großen Wohnanlage der Stiftung Hospitäler zum Heiligen Geist und St. Georg nahe dem U-Bahnhof Osloer Straße gibt es über 480 barrierearme Apartments für ältere Menschen ab 50. Seit Jahren streiten dort Anwohner mit der Hausverwaltung (HWS) und der Stiftung über den freien Zugang zu Räumen, die möbliert und angenehm für alte Menschen sind, um sich kennenzulernen, zu quatschen, sich zu verabreden oder gemeinsam Tee zu trinken.
Die Seniorenwohnanlage Stiftung Hospitäler zum Heiligen Geist und St. Georg liegt im Wedding und besteht aus den Häusern Iranische Straße 6 a, Osloer Straße 76-78, Reinickendorfer Straße 59, 59 a und 59 b. Vorhanden sind dort etliche Gemeinschaftsräume, die aber verwaltet werden und nur begrenzten zeitlichen Zutritt bei sozialen Angeboten bieten. Was wäre eine gute Lösung für den gemeinschaftlichen Wunsch nach einem dauerhaften Nachbarschaftstreff in der Anlage? Wie läuft der Streit ab und wie könnte es zu einer guten Einigung kommen? Wir haben Dorothee Albrecht, eine langjährige Bewohnerin, gefragt.
Frau Albrecht, Sie wohnen selbst seit über neun Jahren in der Wohnanlage der in Berlin seit über 750 Jahren existierenden Stiftung Hospitäler zum Heiligen Geist und St. Georg, oft nur Hospi genannt. Sie möchten gern einen freien Nachbarschaftstreff, der regelmäßig zur Verfügung steht, mit weiteren Bewohnern einrichten. Gibt es derzeit einen angemessenen Treffpunkt?
Dorothee Albrecht: Nein, den gibt es leider nicht. Früher gab es eine Seniorenfreizeitstätte, die ein offener und guter Treffpunkt war. Diese wurde vor Jahren geschlossen. Die Räumlichkeiten wurden später an eine Kita vergeben, über die Köpfe der Seniorenmieterschaft hinweg. Heute gibt es nur noch das sogenannte „Haus der Begegnung“ in kirchlicher Verwaltung. Zudem gibt es zwei kleinere Räume in Wohnhäusern, die nur eingeschränkt genutzt werden können.
Seit etlichen Jahren setzen Sie sich persönlich dafür ein, in der Wohnanlage der Stiftung an der Osloer Straße, einen freien Nachbarschaftstreff einzurichten. Der Schriftverkehr füllt viele Aktenordner. Was haben Sie bisher an hauptsächlichen Streitpunkten durchgefochten?
Dorothee Albrecht: Es gibt auch keinen offenen Nachbartreff für alle Mieter der Anlage. Der Nachbarschaftstreff ist die wichtigste, aber nicht die einzige unserer Forderungen und nicht der einzige Punkt, der zu umfangreichem Schriftwechsel führt. Wir bemühen uns insgesamt, auch gemeinsam mit Nachbarn, um Verbesserungen in der gesammten Wohnanlage. So hat allein die kleine und harmlose Bitte nach einem Mieteraushang im Haus einen intensiven Schriftverkehr von vier bis fünf Monaten erfordert. Stiftung und Verwaltung hatten zuvor drei Mitteilungskästen, die Mieter gar keinen.
Die von uns eingerichteten Nachbarschaftstreffen der Hauses Osloer Straße 78 finden seit Jahren und immer noch im Flur neben dem Fahrstuhl statt, weil ein Raum Samstagnachmittags dafür nicht genutzt werden darf. Mit Raum könnten die Treffen offener gestaltet, lockerer und für mehr Mieter zugänglich sein. Ende letzten Jahres wurde auf Mieterantrag der Raum „Cafeteria“ im Haus Osloer Straße 78 für Aktivitäten wie Spieletreffen wieder hergerichtet und freigegeben, allerdings zeitlich sehr eingeschränkt, nämlich gebunden an Hauswartzeiten und „Hauswartaufsicht“. Dennoch ist die Neu-Nutzung des Raumes ein gewisser Erfolg, da auch dieser Raum den Senioren entzogen und ebenfalls vorzugsweise an die Kita vergeben werden sollte.
Was ist Ihrer Ansicht nach ein guter allgemeiner Ort für diese älteren Menschen in der Stiftungsanlage? Was ist so nötig für die Älteren und Hochbetagten?
Dorothee Albrecht: Wie Altmieter berichten, war die offene Seniorenfreizeitstätte in der Iranischen Straße 6 a ein solcher Ort. Etliche Nachbarn schwärmen noch heute davon, wie schön das damals war. Wie erwähnt, befindet sich in den Räumen heute eine Kita. Im Alter werden die Bewegungsfreiheit und die sozialen Möglichkeiten zunehmend eingeschränkt. Und die Wohnungen für Senioren sind zu klein für mehrere Gäste und Treffen mit Nachbarn. Umso wichtiger sind die nahen Kontakte, genügend Anregung und Beteiligung sowie die direkte Nachbarschaft in einem öffentlichen Raum.
Die Wohnanlage wird betrieben von der Stiftung und verwaltet von Hilfswerk-Siedlung GmbH (HWS), die der evangelischen Kirche Berlin untersteht. Wie stehen Ihre Forderungen im Zusammenhang mit dem Zweck dieser Stiftung, den alten bedürftigen Menschen einen „angenehmen Lebensabend“ zu ermöglichen?
Dorothee Albrecht: Vereinzelung und Vereinsamung sind besonders im fortgeschrittenen Alter ein großes Problem. In den etwa neun Jahren, seit ich hier wohne, habe ich allein auf meiner Etage (!) dreimal erleben müssen, dass Nachbarn vereinsamt gestorben sind und ihr Tod nur durch den intensiven Leichengeruch bemerkt wurde. Etliche weitere Fälle gab es im ganzen Haus. Das ist äußerst bedrückend. Altmieter berichten, dass dieses vereinsamte Sterben in der Seniorenwohnanlage (!) früher kaum vorkam, als noch viele verschiedene Angebote und Hilfen für ein lebendiges soziales Leben bestanden; so stammen auch die Bekanntschaften der Altmieter meist aus dieser Zeit.
Ein offener Nachbarschaftstreff für die Seniorenmieter ist das Mindeste, was zu fordern ist für die Pflege des sozialen Miteinanders und damit für einen angenehmen Lebensabend. Daraus entstehen nicht selten Nachbarschaftshilfen verschiedener Art und neue Bekanntschaften, manchmal sogar Freundschaften. Hochbetagte sind einfach nicht mehr so mobil und benötigen Wohnortnähe für ihre Lebensgestaltung!
Wie verhalten sich die anderen Bewohnerinnen und Bewohner zu diesem Wunsch, einen spontanen und freien Ort für Begegnungen zu bekommen? Warum ist das „Haus der Begegnung“ der Kirche nicht optimal?
Dorothee Albrecht: Ich höre von sehr vielen Nachbarn, dass sie sich einen freien Nachbarschaftstreff wünschen beziehungsweise dass dieser fehlt. Im meinem Haus Osloer Straße 78 wurden dafür schon vor Jahren viele Unterschriften gesammelt. Die Kommunikation über die Häuser hinweg ist schwierig, eben weil es keinen Treff und keine Angebote gibt, die die Leute zusammenbringen. Das „Haus der Begegnung“ ermöglicht keine offenen, nicht eng reglementierten Nachbarschaftstreffen und ist daher „kein Haus der Begegnung für alle Bewohner“. Nur etliche der kirchlich orientierten Mieter und Interessenten beziehungsweise regelmäßigen Besucher der dortigen Veranstaltungen sind damit zufrieden. Die kirchlichen und sonstigen Veranstaltungen im „Haus der Begegnung“, die ich keineswegs gering schätze, sprechen jedoch nur eine gewisse Gruppe von Nachbarn an, die anderen Mieter, die die große Mehrheit sind, bleiben außen vor.
Im April 2023 griff die Berliner Zeitung das Anliegen sehr umfangreich auf und schilderte den Streit um Nachbarschaftsorte. Was hat sich seitdem geändert?
Dorothee Albrecht: Die hauptsächliche Änderung besteht in einer neuen Objektverwalterin für die Wohnanlage. Nachfolgend hat es gewisse Lockerungen und Verbesserungen bei der Raumnutzung gegeben, nämlich die vorerwähnte Neu-Nutzung des Raumes „Cafeteria“, auch die Herrichtung des Gymnastikraumes mit erweiterter Nutzung. Entscheidende Änderungen und Verbesserungen zu den direkten Wünschen der Seniorinnen und Senioren werden jedoch nach wie vor blockiert. Selbstbestimmtheit und Mitbestimmung der Senioren ist nicht vorgesehen. Es wird generell nicht mit den Mietern geredet. Wie gesagt, nicht einmal eine Pinnwand gibt es für die alten Bewohner.
Wie positionieren sich die Kirchenvertreter heute dazu? Sehen Sie Chancen auf eine einvernehmliche Einigung? Was kann Pfarrerin Elisa Sgraja in der Wohnanlage dazu beitragen?
Dorothee Albrecht: Die Kirchenvertreter äußern sich offiziell nicht mehr. Verwaltung und Kirchenvertreter haben immer die Auffassung vertreten und tun dies auch heute noch, dass es gar keinen Bedarf für einen offenen Nachbarschaftstreff gibt. Es sei alles wunderbar in der Wohnanlage und es bestehe ein umfangreiches Angebot und viele Möglichkeiten für die Mieter. Alles sei völlig ausreichend. Dieses Selbstverständnis und die Außendarstellung der Leitung ist falsch!
So wurde immer wieder das einmal im Monat stattfindende Erzählcafé der Pfarrerin (Nachfolger der Bibelstunde) als offener Nachbarschaftstreff definiert, ebenso das alle zwei Monate stattfindende Geburtstagskaffee mit der Pfarrerin im Haus der Begegnung. Wem das nicht reiche oder zusage, könne auch noch im Tante-Emma-Laden (mit Aufenthaltsmöglichkeit) Nachbarn treffen. Der Laden ist öffentlich mit Laufkundschaft und Verzehrpflicht. Sonst könnte man vielleicht noch das kirchliche „Haus der Begegnung“ wenigstens freitags und samstags als offene Freizeitstätte und selbstbestimmten Nachbarschaftstreff gestalten und nutzen. Das aber wird nicht gestattet. Die meisten alten Bewohner haben werktags Arzt- und Pflegetermine, und auch die noch berufstätigen Älteren wären am Wochenende mit einem freien Treff besser dabei.
Gibt es die Möglichkeit, diesen Wunsch der Bewohnerschaft auf einen sozialen Treffpunkt einzuklagen?
Dorothee Albrecht: Damit haben wir uns bislang nicht befasst, weil noch eine gewisse Hoffnung bestand, aktuell durch eine neue Verwalterin der Wohnanlage, dass die Stiftung in einen Dialog mit den Mietern eintritt. Schließlich möchten wir Verbesserungen der Lebensumstände und im Umgang. Wir bevorzugen daher eine gütliche Einigung. Leider ist keine Gesprächsbereitschaft beim Vermieter und beim Verwalter zu erkennen.
Interview: Renate Straetling, Fotos: Bewohnerinnen und Bewohner des Wohnstiftes "Hospi"
Link
https://seniorenimwedding.jimdosite.com
Bitte, liebe Leserschaft, teilen Sie uns Ihre Meinung zu diesem Anliegen in den Kommentaren mit.
Vielen Dank liebe Dorothee, vielen Dank lieber Werner und alle Anderen, die sich um uns Alle kümmern. Ich wohne seit 2003 in der Reinickendorfer Str. 59b. Meine Kinder sind hier groß geworden und ich hoffe, hier mein hohes Alter zu erreichen. Ich habe durch Zufall erfahren, dass es doch eine "Mieterversammlung" gibt, und dabei die liebe Dorothee, Werner und Andere kennengelernt. Sie haben wollkommen Recht! Wir müssen uns währen, gegen Verbote etc. Ich kann mich noch erinnern, dass ich die Räume für Kindergeburtstage "gemietet" habe: ich habe den Schlüssel bekommen und den Schlüssel abgegeben. Ein Tag vorher und ein Tag nachher. Es waren manchmal 16 Kinder und kein Mensch hat gemeckert. Ich habe den Raum sauber gemacht, vorher und naher. Es haben Skats-Abends in dem Raum gewesen und jeder konnte hallo sagen. Die Hausmeister waren nicht dabei. Warum dies jetzt nötig ist, ist "fragwürdig". Ich bin voll und ganz der Meinung, dass uns die Räume freigestellt werden sollten und dass alle wissen sollten, wo und wann sie dort gehen können. Das ist zu regeln. Nicht jeder hat Zeit und gerade Abends oder spät Nachmittag möchte mal sich mit jemanden Anderen austauschen. Eine Pinnwand oder Ähnliches ist nicht kostensaufwendig. Immer hin billiger, als die leere Räume, die wir nicht benützen aber zahlen dürfen. Zu der Pfarrerin Elisa Sgraja möchte ich nur sagen, dass ich unter Pfarrerin was Anderes verstehe. Für mich ist sie nur eine Person, die Theologie studiert hat.
@Seufzer
gerade deswegen kämpfen wir.: dass wir uns gegenseitig helfen können, wenn Keiner da ist. Wir dürfen die Hoffnung nicht verlieren und zusammen halten. Die Botschaft weiter verbreiten und manchmal frech sein und laut "Guten Morgen" sagen. Es gibt immer noch nette Menschen. Zu der letzten Frage, kann ich Ihnen nur raten, wenn Sie alleine sind und staatliche Hilfe oder jemanden unterstützen, in der Wohnung zu bleiben. Sonst kommen Sie zu uns, dann kämpfen wir zusammen und Sie haben nette Nachbarn.
Angesichts dieses Berichts fröstelt es mich mal wieder!
Und sehe Bezugspunkte, die "Zeitgeist" zu sein scheinen, es sind; anderer Kiez im Wedding, anderer Vermieter, ansonsten bekannt.
Ich will als Rentner (ebenfalls Seniorenhaus) nun nicht jeden Tag in den Arm genommen werden - aber tatsächlich gibt es keine natürliche Ansprechperson mehr. Entweder Vermieter-App oder Telefon zu einer Zentrale im Nirgendwo.
Die gemischte (besser: entmischte) Senioren-Mieterschaft ist ein eigenes Kapitel. Aushänge verschwinden kaum gesehen.
Sich zu grüßen ist fast schon eine Beleidigung.
Die sozialen Veränderungen der Stadt schlagen sich also auch hier nieder.
Wer mag da noch freiwillig seine (zu) groß gewordene Wohnung aufgeben?