21.07.2019 Heidrun Joop hat die Lebensgeschichte des Weddinger Lehrers Kurt Steffelbauer recherchiert und in ein Buch gebracht. Als Widerstandskämpfer wurde er 1941 vom NS-Regime zum Tode verurteilt. Ein Buch, das einen genauen Einblick in einen Verbrecherstaat ermöglicht. Im gerade veröffentlichten vierten Teil der von Walter Frey herausgegebenen Reihe Wedding-Bücher werden NS-Schreibtischmörder beim Namen genannt.
Die Namen der Mörder
Es liegt nahe, über den Terror der NS-Zeit in Form von Geschichten eines guten Helden gegen das böse Regime zu erzählen. “Kurt Steffelbauer – ein Berliner Lehrer im Widerstand” ist nicht ausschließlich eine solche Erzählung. Die Biographie enthält auch eine Materialsammlung. Ausführlich stellt die Historikerin und Lehrerin Heidrun Joop in dem Buch Akten vor, zitiert aus ihnen und gibt im Anhang einige Dokumente komplett wieder.
Bemerkenswert dabei ist, dass sie in den nachgedruckten Akten die Namen von Unterstützern, Helfen oder Freunden Kurt Steffelbauers ausspart, aber die Namen der Täter klar nennt. “Das wiedergegebene Urteil ist um Passagen gekürzt, die sich auf die Feststellung der persönlichen Verhätlnisse der fünf Mitangeklagten beziehen.” Eine Rücksicht, die sie bei den Tätern bewusst fallen lässt. So erfährt der Leser, dass Kriminal-Oberassistent Kablitz das Verhör führte, der erste Staatsanwalt Wittmann die Anklage erhob. Zu Gericht der Vizepräsident des Volksgerichtshofes Engert, der Kammergerichtsrat Granzow, Oberstabarbeitsführer Müller, Konteradmiral von Heimburg und NSKK-Obergruppenführer Nieder-Westermann saßen. Das Gnadengesuch lehnte Bovensiepen ab.
Sie begründet ihr Vorgehen mit einer Erinnerung an das berühmte Verfahren von 1967 gegen den “Blutrichter” Hans-Joachim Rehse. Am Ende dieses Verfahrens wurde das ursrüngliche (für einen Mörder vergleichsweise milde) Urteil von fünf Jahren Haft aufgrund der Revision in einen Freispruch verwandelt. Hans-Joachim Rehse hatte am “Fließband” (Heidrun Joop) 231 Todesurteile zu verantworten. “Ich werde nie vergessen, mit welcher Wut und welchen Zweifeln ich damals den Gerichtssaal verließ”, notiert Heidrun Joop.
Bücher über die Mörder
Für Heidrun Joop ist die Nennung der Namen der Mörder Kurt Steffelbauers mehr als ein wichtiges Detail – es ist eine Frage der Gerechtigkeit. Es ist aber auch eine Frage der nüchternen Erinnerung. Natürlich liegt es nahe, den Widerstand gegen das NS-Regime als Heldengeschichte zu erzählen. So wie Hollywood die Welt als ewigen Kampf von Gut gegen Böse deutet. In einer solchen vereinfachenden Sicht auf die Dinge wird der Bombenschmeißer Stauffenberg zum Helden. Dabei “lehnte er die parlamentarische Demokratie ab” (Wikipedia). Auch wenn gewiss ist, dass Stauffenberg ein besseres Deutschland geschaffen hätte, bleibt ungewiss, ob es ein gutes gewesen wäre. Ähnlich uneindeutig ist die Lage bei Kurt Steffelbauer. Wie stellte er, der dem Kommunismus nahe stand, sich das “bessere” Deutschland vor?
Wer das Bösartige am NS-Regime begreifbar machen will und gleichzeitig der Verführung widerstehen will, eine vereinfachende Heldengeschichte zu erzählen, der nimmt automatisch die Mörder in den Blick. In den letzten Jahren sind entsprechende Bücher erschienen wie “Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden” von Harald Welzer, “Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien” von Mallmann und Paul oder auch “Warum ich Nazi wurde: Biogramme früher Nationalsozialisten” von Wieland Giebel.
Nimmt man Kurt Steffelbauer lediglich als Beispiel (und nicht als Vorbild), dann erlauben auch Heidrun Joops Nachdrucke der Verhöre und des Urteils einen Blick in die Anatomie des Terrorsystems.
Es ist richtig, immer wieder an den schlichten Grundsatz zu erinnern, dass ein Staat seine Staatsfeinde nicht einfach umzubringen hat. Kurt Steffelbauer war als Kommunist in den Augen der Nazis ein Staatsfeind. Er hat Flugblätter gedruckt und verteilt. Zuweilen hatte er selbst Zweifel, ob diese Art von Widerstand überhaupt irgendeinen Zweck oder Erfolg habe. “Mir schien die geringe Wirkung solchen Materials in keinem Verhältnis zu sehen zu der Gefahr, in die alle gebracht werden”, sagt er im Verhör. Für den NS-Staat spielte der Erfolg keine Rolle; es reichte aus, dass Kurt Steffelbauer damit öffentlich erklärte, mit dem Regime nicht einverstanden zu sein. Allein weil er “dem Reich ein Nachteil zufügen” wollte (wie es im Todesurteil heißt), war er schuldig. Weil es sich um “kommunistischen Hochverrat” (Urteil) handelte, wurde er in der Hinrichtungsanstalt Plötzensee ermordet. Das ist der Kern des Bösen: zu terrorisieren statt lediglich zu strafen. Und um diesen Kern zu zeigen – wenn auch nicht ausschließlich – dient Heidrun Joops neu aufgelegtes Buch.
Die Autorin Heidrun Joop
Heidrun Joop hat für die aktuelle Neuauflage ein Vorwort geschrieben. Ursprünglich erschien ihr Buch 1991 in der Edition Hentrich.
1968 kam sie als Lehrerin an die Weddinger Brüder-Grimm-Schule in der Tegeler Straße. Ihre ersten Quellen über den Lehrer Kurt Steffelbauer fand sie im Schulkeller. Sie hat nicht nur in den großen Archiven, sondern (bereits vor dem Mauerfall) auch in “Tradionskabinetten” von DDR-Schulen geforscht. Erreicht hat sie mit ihren Nachforschungen, dass in der Brüder Grimm Schule seit dem 28. Mai 2008 eine Tafel an Kurt Steffelbauer erinnert.
Nun, im Juli 2019, erscheint eine Neuauflage ihrer Biographie Kurt Steffelbauers im Verlag Walter Frey in der Reihe Weddingbücher. 18 Euro, ISBN: 978–3946327196
Andrei Schnell möchte das Böse auch ohne den guten Gegenspieler erkennen.