Im Rahmen des Kulturfestivals Wedding/Moabit hat das Kulturnetzwerk Wedding/Moabit um Jochen Küpper zu einer kleinen Pressetour durch ausgewählte Kulturinstitutionen beider Ortsteile geladen. Mit dabei waren nicht nur diverse Stadt- und Lifestyleblogger, sondern auch Eure Weddingweiser. Sinn und Zweck der Tour bestand darin, einen kleinen Vorgeschmack auf die Vielfalt der Veranstaltungen am Festivalwochenende zu bieten und einige wichtige Protagonisten vorzustellen.
Das Kulturfestival startet am kommenden Wochenende mit über 250 Veranstaltungen und 400 Künstlern und Kulturschaffenden aus aller Welt ins zweite Jahr. Von Tanz, Theater, Ausstellung, Workshop und Kino wird der Facettenreichtum einer vitalen Off-Scene vorgestellt, die sich größtenteils abseits kommerzieller Pfade beschreiten lässt. Die Bedeutung der hiesigen Künstlerszene für Nachbarschaft und Stadt ist kaum zu unterschätzen. Alle diejenigen, die sich an der Gestaltung ihres Kiezes und des Stadtraumes beteiligen, bekommen hier ihre Bühne. Der Besucher gelangt überall kostenfrei an die Ursprünge kulturellen Schaffens und bekommt die Chance, die ungewöhnlichsten Orte in unmittelbarer Umgebung zu entdecken. Viel zu entdecken gab es auch am Dienstag für Weddingweiser-Redakteure.
Startpunkt war die erste Station in offiziellen “Moabitgrenzen”: der Hauptbahnhof. Gleich zu Beginn durchquerten wir den unbekanntesten Ort Berliner Geschichtsschreibung – dem direkt am Hauptbahnhof grenzenden Geschichtspark Moabit auf dem Gelände des ehemaligen Zellengefängnisses Lehrter Straße. Das von Friedrich Wilhelm IV. Mitte des 19. Jahrhunderts erbaute, panoptisch angelegte Einzelhaftgefängnis war das modernste seiner Art. Von den Nationalsozialisten Anfang der 40er Jahre als Haftanstalt für politische Feinde genutzt, wurde es 1958 abgerissen. Nur die denkmalgeschützte Gefängnismauer und eine quadratisch-offene Betonskulptur erinnern an die ursprüngliche Nutzung. Mittlerweile ist der Ort ein außergewöhnlich ruhiges Stück Land inmitten chaotischen Großstadtrubels.
Weiter ging es dann zur temporären Galerie in der Lehrter Straße 17. In dem Gewerbehaus findet man bis zum Ende des Jahres noch den 550 m² großen Open Space Lehrter 17. Konzeptionell verstehen sich die Gründer der Ausstellungsräume als Vermittler und Unterstützer junger und experimentierfreudiger Kunst. Künstler bekommen dort die Gelegenheit ausszustellen und sich zu vernetzen. Wer noch nicht da war, sollte sich die Räumlichkeiten unbedingt anschauen, da dieser Ort Wohnlofts weichen wird. Außerdem bekommen die Besucher die letzte Chance, die noch unbebauten Brachen des ehemaligen Containerbahnhofs an der Heidestraße zu besichtigen, bevor das städtebauliche Großprojekt Europacity den Kiez unwiderbringlich verändern wird.
Moabits kulturelles Herz
Eine weitere wichtige Insitution in der Lehrter Straße folgte auf dem Fuße – die Kulturfabrik Moabit. Mit ihrem hauseigenen Kino, Club, Theater und Café ist sie das mit Abstand vielseitigste ehemalige Hausbesetzerprojekt, das Moabit zu bieten hat. Zum Festivalwochenende kann man nicht nur das in den 90er Jahren okkupierte und seitdem stetig veränderte Raumensemble bewundern. Das Haus wartet mit Flohmarkt, Livemusik und Theaterlesung auf – und das alles umsonst. Da ist für jeden was dabei.
Von der Kulturfabrik bewegten wir uns dann zum architektonisch imposantesten Ort in ganz Moabit. Wer schon da war, erahnt es sicherlich. Die Rede ist vom größten Kriminalgericht Europas – das Kriminalgericht Moabit. Schon beim Anblick der Eingangshalle stockt der Atem. Es gibt wohl kein prunkvolleres Gerichtsgebäude, das mit Fertigstellung durch eigene Telefon- und Stromanlage glänzte und somit zu den modernsten Berliner Gebäudekomplexen Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte. Zum Kulturfestival öffnen sich die neobarocken Pforten für Lesungen in Gerichtssälen, Führungen, Tanz- und Theaterperformances. Ein absoluter Geheimtipp.
Bildhauerwerkstätten an der Panke
Ein weiterer Geheimtipp erwartete uns auf Weddinger Seite an der Panke nahe der Osloer Straße.Wir bekamen die Chance, die Bildhauerwerkstätten des Berufsverbandes Bildender Künstler Berlin zu besichtigen. Die ehemaligen Industriehallen wirkten nicht weniger beeidruckend als das Kriminalgericht. Auf einer Gesamtfläche von über 3.600 m² und einer Hallenhöhe von 12 m bieten sich an diesem Fleckchen Erde die besten Bedingungen für künstlerische Arbeiten mit Holz, Stein, Gips, Kunsstoff und Keramik. Über eine Länge von 160 Metern sind die einzelnen Hallen durch eine Galerie verbunden, auf der ebenfalls gearbeitet werden kann. Auch die Bildhauerwerkstätten laden zum Kulturfestival. Dort erwartet den Besucher ein ganz besonderer Programmpunkt. Das extra aus Japan angereiste Tanz- und Theaterensemble Ringbell präsentiert eine einmalige Performance in Kooperation mit dem KiezKlang. Das und viele weitere Events werden sich in unmittelbarer Nachbarschaft finden.
Rückzugsort Wiesenburg
Die vorletzte Station markierte die geschichtsträchtige Wiesenburg. Mit offenen Armen und freundlichen Worten empfing uns die Hausverwalterin Frau Dumkow und weihte uns in die Geschichte des ehemaligen Obdachlosenasyls ein. Als letzter Zeuge altruistischer Lebenskunst präsentiert sich die im Krieg schwer beschädigte Ruine als ein Residuum vor dem kapitalistischen Verwertungszwang künstlerischen Schaffens. Sie bietet Künstlern aus aller Welt Raum zur Selbstverwirklichung – ohne Bedingungen, ohne Gegenleistung. Das städtische Kleinod verzaubert zum Festivalwochenende mit verwunschenem Garten und einer Tanzperformance des rumänischen Künstlers Raul Cio. Unbedingt mal vorbeischauen!
Gerichtstraße zum Festivalabschluss
Kurz bevor es dann zu Lotta und Leos selbstgemachter Pizza in die Gerichtstraße ging, wagten wir noch einen Blick in das Artloft, als Teil der Künstlerateliers Pankehöfe. In den Höfen der Gerichtstraße 23 wird auch die große Abschlussveranstaltung mit dem Kunstmarkt- und Designmarkt Diorama und der Closing-Party stattfinden. Die Beine, die nach diesem Wochenende noch tragen, sollten sich im Anita Berber und Artloft zum feierlichen Abschlusstänzchen zusammenfinden.
Na, seid Ihr jetzt genauso angetan wie wir? Mit diesem Ausblick sollte Euer Wochenende jetzt schon komplett ausgebucht sein. Diese und viele weitere Programmpunkte findet Ihr auf der offiziellen Festivalhomepage: www.kf-wm.de oder in Printform an diversen Kulturpunkten Eures Kiezes ausliegend. Also, es lohnt sich in der comfort zone zu bleiben und den Rest der Stadt Stadt sein zu lassen.
Euer Weddingweiser-Team
Fotos/Text: Sandy Stöckel