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Stadtromantik:
Altes Pflaster auf Weddings Straßen

22. Februar 2024
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Es ist gemütlich, pflegeleicht und nachhaltig. Trotzdem muss im Wedding das über 100 Jahre alte Kopfsteinpflaster nach und nach dem Asphalt weichen. Das ist nicht nur schade fürs Stadtbild.

Besonders schön sind sie nach dem Regen. Dann glänzen die Katzenköpfe, die Kopfsteine oder die Großsteine, wie sie bei den Fachleuten heißen, in Seitenstraßen des Wedding wie polierte Schmuckstücke in vielen Farben. Mal sind sie aus rotbraun geädertem Porphyr, mal aus pechschwarzem Basalt oder aus grieslig grauem Granit. Selbst die graueste Grauwacke beginnt dann zu glänzen. Und wenn dann auch noch in den Gründerzeitvierteln auf den Gehwegen die großen Granitplatten liegen und Gaslaternen angehen, ist die Großstadtidylle perfekt.

Bis das nächste Auto kommt… Kopfsteinpflaster ist nicht beliebt bei Autofahren und Anwohnern. Dabei ist eine gut erhaltene Pflasterung bei angemessenem Tempo nicht laut. Laut wird es nur, wenn die Autos zu schnell darüber fahren und das Pflaster nicht gut gepflegt ist, was im Wedding leider oft der Fall ist. Zwei bis drei Dezibel lauter als Asphalt ist das Pflaster dann – und das können die Anwohnenden schon als Verdopplung der Lautstärke wahrnehmen. Auch Radfahrer meiden das Kopfsteinpflaster gern und streiten sich lieber mit den Fußgängern auf den Gehwegen, als sich klappernd über die Buckelpiste zu quälen. Kein Wunder, dass die Asphaltierung mancher Pflasterstraßen, wie zum Beispiel in der Kameruner Straße im Afrikanischen Viertel, mittlerweile mit der Beschleunigung des Radverkehrs begründet wird.

Foto: Rolf Fischer
Kameruner Straße. Foto: Rolf Fischer

Mehr und mehr Straßen bekommen Asphalt

Noch haben etwa zehn Prozent der Berliner Straßen Kopfsteinpflaster – zusammengenommen etwa sechs Millionen Quadratmeter. Das ist eine Menge. Doch allein von 1999 bis 2010 verschwanden mehr als 300 000 Quadratmeter des soliden Straßenbelags. Im Wedding waren es in den vergangenen fünf Jahren vier Straßen, die zumindest teilweise asphaltiert wurden:

In der Lynarstraße wurde zwischen Tegeler Straße und Müllerstraße halbseitig das Großsteinpflaster nach einer Baumaßnahme der Wasserbetriebe durch Asphalt ersetzt. In der Kameruner Straße, zwischen Togostraße und Müllerstraße, wurde eine vier Meter breite Fahrspur aus Asphalt gegossen. Nur im Bereich der Parkhäfen ist das Kopfsteinpflaster dort erhalten geblieben. So ähnlich wurde auch mit der Uferstraße in Gesundbrunnen verfahren. In der Maxstraße wurde zwischen Schulstraße und Antonstraße das Großsteinpflaster komplett durch eine Asphaltbauweise ersetzt.

Und wo einmal das Pflaster verschwunden ist, kommt es nicht mehr wieder. Nur noch aus „gestalterischen Gründen“ werde neues Pflaster verlegt, antwortet das Bezirksamt auf unsere Anfrage.

Von Denkmalschutz und Klimawandel

Bisher ist es allein der Denkmalschutz, der den Abbau des traditionellen Straßenbildes stoppen kann. In der Nähe von schützenswerten Gebäuden kann das Kopfsteinpflaster „Flächenhaften Denkmalschutz“ erhalten. Dabei gäbe es in Zeiten des Klimawandels einen weiteren Aspekt, der für das Pflaster sprechen könnte: Wasser.

Regen macht das Kopfsteinpflaster zwar zuerst einmal rutschig, aber das Wasser versickert doch dann zwischen den Steinen,– und das ist doch gut für das Grundwasser könnte man denken. Passt doch gut in das Konzept der Schwammstadt, das vom Straßen- und Grünflächenamt voran getrieben wird. Doch ganz so einfach ist es nicht, klärt der zuständige Fachbereich des Bezirksamts Mitte die Stadtromantiker unter uns auf. „Die Versickerung ist in Kopfsteinpflasterstraßen insbesondere bei in Berlin üblichen Bauweisen und Liegezeiten praktisch nicht relevant. Bauweisen mit relevanten Versickerungsleistungen sind…aktuell nicht zugelassen.“ Schade. Aber es gibt dazu auch noch Sichtweisen, die den Blick auf die Stadtökologie etwas weiter stellen. Der Leiter des Straßenbauamts Neukölln konnte in einem Interview mit der taz durchaus ökologische Vorteile der Pflasterstraßen sehen.

Foto: Rolf Fischer
Lynarstraße. Foto: Rolf Fischer

„Kopfsteinpflasterstraßen nehmen mehr Wasser auf, ja. … Bei Asphalt verbleibt mehr Regenwasser auf der Straße, welches dann in die Kanalisation geschickt werden muss. Insofern ist er weniger 'ökologisch' als Kopfsteinpflaster.“ Und auf einen weiteren Vorteil weisen die Neuköllner hin. „Da verdunstet viel Wasser und durch die Fugen wird das Regenwasser verzögert abgegeben.“ Das klingt doch gut, gerade an nach einem Schauer im Sommer kann verzögerte Verdunstung ja Abkühlung bringen.

Pflasterstraßen sind also doch gut fürs Stadtklima. Aber nicht dieses Argument wird den nachhaltigen Straßenbelag auf lange Sicht retten. Es ist schlicht das fehlende Geld, das uns vor weiteren Asphaltpisten bewahren wird. Denn der massive Abbau der Pflasterstraßen im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends lässt sich auch durch die kräftigen Finanzspritzen des Bundes aus dem Konjunkturpaktet II (nach der Finanzkrise 2008/09) erklären. Geld, das schnell verbaut werden musste. Es sieht nicht danach aus, dass ein solcher Geldsegen sich bald wiederholen wird. Stadtromantiker können sich also im Wedding weiter nachts auf die buckelige Piste machen, wie in einem Song von Simon and Garfunkel: „In restless dreams I walk alone narrow streets of cobblestone…“

Foto: Rolf Fischer

Rolf Fischer

Ich lebe gerne im Wedding und schreibe über das, was mir gefällt. Manchmal gehe ich auch durch die Türen, die in diesem Teil der Stadt meistens offen stehen.

10 Comments Leave a Reply

  1. In Lichterfelde ist vor vielen Jahren die Ringstraße erneuert worden. Weil es genug Stimmen für den Erhalt des Kopfsteinpflasters gab, wurde es aufgenommen, neu verlegt, sehr ebenmäßig, wenn es sein mußte, auch mit erneuerten, glatteren Steinen. Da läßt sich prima Radfahren. Der Lärmpegel entsteht, wie schon erwähnt, durch schnelles Autofahren. Aber daran halten sich nur wenige AutofahrerInnnen. Daß auch in der Müllerstraße auf vielen Abschnitten 30 kmh als Höchstgeschwindigkeit geboten sind, weiß gelegentlich nicht einmal die Polizei.
    Von den vielen Fahrradstraßen, die jetzt entstehen, habe ich als Radfahrerin keinen Vorteil.

  2. Die Fotos öffnen einem wirklich die Augen: Das Kopfsteinpflaster ist ja wunderschön! Ich habe mich auch schon oft über das Radfahren auf ruppeligen Straßen geärgert, aber die Radwege sind ja teilweise Hindernisstrecken voller aufgeklappter Gehwegplatten und Baumwurzeln usw…..

  3. Zum Radfahren ist das Kopfsteinpflaster jedenfalls echt mies. Lösungen wie in der Lynarstraße (Fahrbahn Asphalt, Parkstände als Kopfsteinpflaster) könnten helfen, allen genannten Aspekten gleichermaßen gerecht zu werden.

  4. Wer mit dem Auto durch die Stadt fährt und mit 50 kmh oder wenigstens 50 kmh auf Autobahnen täglich schnell vorankommt, müsste in der Lage sein, die letzte Meile in den Kiezen mit 30 kmh und noch rücksichtsvoller zu nehmen, so dass cobblestone erhalten bleiben kann.

    Ich will mal dagegenhalten: Viel wichtiger scheint mir manchmal, wenn ich mir beim Einkaufen die abgenutzten Wege anschaue, die Stolperfallen auf den Gehwegen (lockere Gehwegplatten, unregelmäßig verlegte Kopfsteinpflaster, abgesackte Steine aller Art, die teils riesige Pfützen und fiese Eisflächen (auch unter Neuschnee) ermöglichen usw.) durch glattere Belage zu gestalten, um die Fußgänger aller Altersgruppen und diverser Mobilitätseinschränkungen zu schützen. Das wäre die kleinere Gesamtfläche.

    • Ich denke, dass die "Katzenköppe" ökologisch sinnvoller sind als geteerte Straßen - und das müsste doch im Sinn der Radfahrenden sein. Berlin ist halt eine gewachsene Stadt und der Umbau im Sinne der Radfahrenden geht nicht von heute auf morgen - wie manchmal wohl gedacht oder gefordert wird.

      • Sie fahren im Wedding kein Rad?! Anders kann ich Ihren Beitrag nicht verstehen.
        Wenn es darum geht, was ökologisch richtig viel Sinn ergibt: eine Reduzierung des Autoverkehrs!
        Der wirkliche Vorteil der Steine ist aus dem Artikel nicht deutlich geworden. Es bleiben lediglich 2 Argumente: Es gebe nicht zugelassene Schwammwirkungen. Und Erhalt des Bestehenden ist immer ökologischer als Neubau. – Letzterer Grundsatz sollte dann aber nicht nur für Radfahrer angewendet werden!
        Über die Sinnhaftigkeit in Berlin:
        Alleine durch die speziellen Radkontrollen der Fahrradpolizei (Vergleichbares für Autofahrer kenne ich nicht) hatte ich im vorletzten Jahre 300 Euro Strafe. Zum Beispiel 100 Meter auf einem menschenleeren Gehsteig von der Paketabholstelle zum nächsten Radweg. Das Kopfsteinpflaster ist so extrem, dass ich sonst hätte schieben müssen. Dort lauerte die Fahrradpolizei zusammengekauert im Hauseingang.

        • Selbstverständlich gibt es auch Kontrollen von Autofahrern. Und 300 Euro Strafe für einmal mit dem Rad auf dem Bürgersteig? Das halte ich für unwahrscheinlich. Außer natürlich, Sie gehören zu denjenigen, die ständig auf dem Gehweg fahren, um nicht „100 Meter schieben zu müssen“.
          Obwohl selbst Radfahrer halte ich das für eine Unsitte, denn FußgängerInnen fühlen sich auf dem Gehweg nicht mehr sicher, wenn dort auch noch Radler fahren.

          • Es erscheint ja schon als ein "ausgelutschtes" Thema, aber sicher fühle ich mich auf den Gehwegen schon seit ca. 10 Jahren nicht mehr. Ich mache sogar einen Schulterblick auf dem Gehweg, wenn ich meine Richtung ändern möchte, denn rasende RadfahrerInnen brettern einfach heran und können auch nicht so schnell reagieren. Ich frage mich wirklich oft, wer diese Leute sind oder wer sie erzogen hat, dass sie so wenig Rücksicht nehmen. Aber die Klagen darüber füllen Bände und die gemachten Änderungsvorschläge oder Konsequenzen ebenso. Zur Zeit leider - noch - ohne Erfolg.

          • Hallo Klara, ich nutze immer Radwege, wenn es welche gibt. Ich gebe zu, ich fahren auf dem Gehweg, wenn es an Hauptstraßen keine Radwege gibt, zum Beispiel in der Brunnenstraße/Weddinger Seite. Ich rase nicht auf dem Radweg und bemühe mich, rücksichtsvoll zu sein, aber ich fahre da. Ich weiß, es ist nicht korrekt. Aber ich streite mich lieber mit Fußgängern als mich von Autofahrern auf der Brunnenstraße überfahren zu lassen. Die sind nämlich ziemlich agressiv manchmal. Neulich hat mir einer einfach so aus dem offenen Fenster zugerufen "Hoffentlich wirst Du bald überfahren". Das ist mir deshalb einfach zu gefährlich, auf der Straße zu fahren. Ich persönlich wünsche mir sehnlichst Radwege auch auf Hauptstraßen - als Radfahrerin, als Fußgängerin und als Autofahrerin. Aber danach sieht es ja gerade nicht aus.

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