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Blutbad am 1. Mai 1929:
Kösliner Straße: Zwischen Barrikaden und Neubauten

Diese normal wirkende Straße lässt heute nicht mehr erahnen, dass hier einmal Geschichte geschrieben wurde.
1. Mai 2025
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Zeitsprung: In den engen, dunklen Hinterhöfen der Kösliner Straße roch es nach Kohle und feuchtem Putz. Hier, mitten im Wedding, war seit Ende des 19. Jahrhunderts eine Stadt in der Stadt gewachsen: Arbeiterfamilien aus ganz Deutschland suchten Arbeit in den neuen Fabriken, Kinder spielten zwischen Wäscheleinen, und politische Debatten hallten durch die engen Flure der Mietskasernen.

Der "Rote Wedding" war nicht nur ein Ort zum Leben – er war ein Ort des Kampfes um bessere Bedingungen. Zwischen maroden Häusern und überfüllten Zimmern entstand eine starke Gemeinschaft, die sich selbst als Teil einer großen, solidarischen Bewegung verstand. Vor allem die Kommunistische Partei fand hier ihre Basis.

Der Blutmai 1929: Hoffnung und Gewalt

Am 1. Mai 1929 eskalierte die Lage: Trotz eines vom sozialdemokratischen Berliner Polizeipräsidenten Karl Zörgiebel verhängten Demonstrationsverbots gingen zahlreiche Arbeiter auf die Straße. Auch in der Kösliner Straße, in der viele Kommunisten lebten, kam es zu Protesten. Barrikaden wurden errichtet, Polizisten versuchten mit Gewalt die Menschen auseinanderzutreiben. Fenster zerbarsten, Tränengas drang in die Häuser. Und es wurde scharf geschossen: Max Gemeinhardt war gerade von einer großen Kundgebung der SPD zurückgekehrt, als er aus dem Fenster herausschaute, um zu sehen, was vor sich ging. Er wurde durch den Kopfschuss eines Polizisten getötet.

Was als Maikundgebung begonnen hatte, endete in einem Blutbad. Insgesamt forderte der "Blutmai" über 30 Todesopfer in Berlin. Die Ereignisse vertieften die Spaltung innerhalb der Arbeiterbewegung – ein Bruch, von dem sie sich nie erholen sollte.

Eine offizielle Gedenktafel oder Erklärungstafel in der Straße selbst existiert bis heute nicht – „nicht einmal eine Gedenktafel erinnert an jene blutigen Tage“, schrieb die taz bereits 2009 kritisch. Allerdings wurde unweit der Straße ein schlichter Findling aufgestellt: An der Ecke Wiesenstraße/Uferstraße (nahe der Pankebrücke) erinnert seit dem 30. April 1991 eine Inschrift an die Opfer des Blutmai 1929​. Der Stein trägt die Worte: „Anfang Mai 1929 fanden hier bei Straßenkämpfen 19 Menschen den Tod, 250 wurden verletzt.“​ Bemerkenswert ist, dass dieser Text weder Täter noch Hintergründe nennt – er verharmlost damit etwas die Ereignisse, indem er von „Straßenkämpfen“ spricht und nicht erwähnt, dass die meisten Opfer unbeteiligte Zivilisten waren​. Ein früherer Versuch in den 1980er-Jahren, direkt in der Kösliner Straße einen Gedenkstein aufzustellen, scheiterte am Widerstand eines Hausbesitzers.

Foto (c) E. Elfert
Gedenkstein zum Blutmai 1929 an der Wiesenbrücke über die Panke

Nach dem Krieg: Neues Bauen, alte Wunden

Der Zweite Weltkrieg hinterließ die Kösliner Straße als Trümmerlandschaft. Doch der Wiederaufbau brachte keinen Blick zurück. Stattdessen setzte die Stadtplanung der 1950er-Jahre auf Neuanfang: helle Wohnungen, breite Grünflächen, Luft und Licht. Politische Symbolik spielte mit: Aus dem „roten Wedding“ sollte ein friedliches Wohnviertel werden – ein westliches Schaufenster im Kalten Krieg.

Die alten Hinterhöfe, die improvisierten Treffpunkte der Nachbarschaft, verschwanden. An ihre Stelle traten normierte Wohnblöcke, rechtwinklig ausgerichtet, auf Abstand gebaut. Die enge Nähe, die einst Stärke bedeutete, wich einer neuen Ordnung.

1958 präsentierte sich das sanierte Gebiet sogar auf der Weltausstellung in Brüssel als Beispiel für modernes Bauen und soziale Befriedung.

Eine stille Straße mit schwerer Geschichte

Heute weht der Wind leicht durch die offene Bebauung der Kösliner Straße. Nichts erinnert an das kämpferische Herz, das hier einst schlug. Kein Straßenschild, kein Denkmal verrät auf den ersten Blick, dass hier einmal Geschichte geschrieben wurde.

Die Kösliner Straße – ein stiller Ort, der das Echo einer lauten, bewegten Vergangenheit bewahrt.

Veranstaltungshinweis: Die "AG Gedenkstein" des Tageszentrums Wiese 30 lädt in Zusammenarbeit mit dem August-Bebel-Institut zu einem Rückblick auf die Ereignisse 1929 ein. Teil der Veranstaltung ist ein Rundgang durch die Kösliner Straße. Ebenfalls vor Ort: ein Büchertisch der "Wedding-Bücher".
Zeit: Samstag, 3. Mai, 11 Uhr, Ort: Tageszentrum, Wiesenstr. 30, 13357 Berlin. 
Weitere Informationen: https://www.kbsev.org/web/tageszentrum-wiese-30/--ag-gedenkstein.php 
und https://august-bebel-institut.de/event/stadtspaziergang-erinnerungen-an-den-blutmai-1929/  
Die Teilnahme ist kostenlos, um Anmeldung wird gebeten – per E-Mail an: [email protected]

5 Comments Schreibe einen Kommentar

  1. Kurzer Exkurs zum sog. „Blutmai“ 1929. Die Intention Zörgiebels zum Verbot der Maidemonstrationen war nicht polizeilicher Willkür entsprungen und völlig grundlos. Die meisten Opfer wußten mit Sicherheit, worauf sie sich einließen. KPD nebst Parteimiliz unter Führung Thälmanns, stalinistischen Anweisungen hörig, ließen nichts aus, um die erste Demokratie in Deutschland zu zerstören, in eine Sowjetrepublik zu transformieren, auch mit Waffengewalt. Erinnert man sich an kommunistische Aufstände 1919 sowie 1920 im Ruhrgebiet, z.T. unter Führung von Offizieren der Roten Armee, die erst blutig durch Reichswehrverbände und Freikorps niedergeschlagen werden konnten, so waren Zörgiebels Befürchtungen zum Ausbruch eines erneuten Bürgerkrieges im Mai 1929 nicht aus der Luft gegriffen. Nicht zu vergessen, 1923 bewaffnete Umsturzversuche der „Proletarischen Hundertschaften“ in Sachsen, Thüringen und Hamburg nach dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution. Die stalinistische KPD trägt eine erhebliche Mitschuld am Untergang von Weimar. Das und noch mehr müßte Platz finden auf einer seriösen Gedenktafel in der Kösliner Straße, die bloße Erinnerung an die Ereignisse im Mai 1929 griffe viel zu kurz.

  2. Morjen
    na kiek mal eener an , davon hab ick nüscht ne Ahnung jehabt…
    nicht zu vergessen die 11tausend Schuss !!!!… im Verhätniss dazu waren es zum Glück nicht mehr Tote und Verletze, oje
    Wiki sagt: Insgesamt wurden bei den Unruhen 33 Zivilisten getötet, 198 wurden verletzt, bei der Polizei gab es 47 Verletzte (Zahlen nach Buchner, Schirmann zählt 32 Tote, andere Quellen bis zu 38). Entgegen der Behauptung der Polizei, dass die Demonstranten mit Schusswaffen Gegenwehr geleistet hätten, konnte nachgewiesen werden, dass der einzige Polizist mit Schussverletzung sich diese durch einen Unfall einige Tage vorher selbst beigebracht hatte. Der Munitionsverbrauch der Polizei lag nach amtlichen Angaben bei etwa 11.000 Schuss.
    na denn jewaltfreien 1.Mai

    • Die preußische Polizei des Sozialdemokraten Zörgiebel hat 11.000 Schuss in den Wedding mitgebracht und verschossen.
      Gab es auch ungenutzte Munition? Ist bekannt, ob die Polizeibeamten auch Munition wieder in ihre Hauptquartiere zurückgebracht haben?

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