Mastodon

Kairo Ecke Leo

29. Oktober 2012

Foto: Omar El-DemeryWer direkt aus dem Ori­ent in den Wed­ding kommt, wird dort womög­lich ein Stra­ßen­bild vor­fin­den, das er in die­sen Brei­ten nicht erwar­tet hat. Zum Bei­spiel kann man an vie­len Stel­len sein Obst und Gemü­se direkt auf der Stra­ße kau­fen. Und man­che Laden­be­sit­zer sit­zen Tee trin­kend vor ihrem Geschäft, rau­chen Shi­sha und plau­dern mit ihren Freun­den oder Passanten…

Die­se über­ra­schen­de Erfah­rung mach­ten die ägyp­ti­schen Stu­den­ten aus dem Fach­be­reich Pro­dukt­de­sign der Ger­man Uni­ver­si­ty in Cai­ro (GUC), die der­zeit ein Gast­se­mes­ter am GUC-Cam­pus Ber­lin absol­vie­ren. Für alle Stu­den­ten ist es der ers­te Besuch in Deutsch­land. „Was ihnen zu Beginn am Wed­ding auf­fiel, war, dass es hier anders ist als erwar­tet“, sagt Design­for­scher Tom Bie­ling, der die Stu­den­ten bei einem Pro­jekt im Wed­ding betreut. „Die­ser Teil von Ber­lin ist jeden­falls nicht das Ber­lin, das im Rei­se­füh­rer steht.“ Die Anders­ar­tig­keit im Ver­gleich zu Mit­te, Char­lot­ten­burg oder Prenz­lau­er Berg bezieht sich nicht nur auf archi­tek­to­ni­sche oder städ­te­bau­li­che Aspek­te, son­dern fängt schon in der Art an, wie Waren feil­ge­bo­ten oder aus­ge­tauscht wer­den. Es sind eben die­se vor­der­grün­di­gen Gemein­sam­kei­ten, die den Wed­ding und sei­ne Bewoh­ner für die ägyp­ti­schen Design­stu­den­ten inter­es­sant machen.

Designforschung in der Gesellschaft

Tom Bieling und die Kairoer Studenten (Foto: Omar El-Demery)
Tom Bie­ling und die Kai­ro­er Stu­den­ten (Foto: Omar El-Demery)

„Es geht beim Design nicht nur dar­um, irgend­wel­che Din­ge schön zu machen“, erklärt Design­for­scher Tom Bie­ling. Er erläu­tert, was das im Fall des Pro­jekts der ägyp­ti­schen Stu­den­ten heißt: „Wir wol­len den Zusam­men­hang von Gestal­tung und sozia­lem Ver­hal­ten derer ermit­teln, die unmit­tel­bar von der Gestal­tung betrof­fen sind.“ Der Leo­pold­platz ist ein gutes Bei­spiel dafür, wie ein Raum die Men­schen aus den unter­schied­lichs­ten Kul­tu­ren, die hier auf­ein­an­der tref­fen, beein­flus­sen kann. Ein Ort mit Kon­flikt­po­ten­zi­al, wo ver­schie­de­ne Men­schen mit unter­schied­lichs­ten Inter­es­sen auf­ein­an­der­pral­len – manch­mal auch im wört­li­chen Sin­ne – ist der Leo­pold­platz auf jeden Fall. Vie­le Kon­flik­te könn­ten sogar ver­mie­den wer­den: „Inwie­fern sich die Men­schen hier aus­tau­schen oder sich lie­ber aus dem Weg gehen, ist immer auch eine Gestal­tungs­fra­ge“, erläu­tert der Pro­dukt­de­si­gner Tom Bieling.

Wie die Stu­den­ten mit dem kom­ple­xen The­ma umge­hen, ist offen. Denn die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem „For­schungs­ob­jekt Wed­ding“ soll bewusst expe­ri­men­tell gestal­tet wer­den. Am Ende sol­len Anlei­tun­gen zur Selbst­hil­fe ste­hen, bei denen auch die betrof­fe­nen Men­schen mit ein­be­zo­gen sind. „Der Desi­gner ist in einem sol­chen Pro­jekt nicht der ein­zi­ge Akteur“, glaubt Tom Bie­ling. „Er über­nimmt auch die Rol­le des Mode­ra­tors oder Über­set­zers.“ Der Reiz des Pro­jekts liegt sicher dar­in, dass die Stu­den­ten ihre Erfah­run­gen aus Kai­ro in den Wed­ding ein­brin­gen. Aber auch umge­kehrt kön­nen ihre Erkennt­nis­se aus dem Wed­ding durch­aus auch in Kai­ro von Nut­zen sein.

Was die Welt vom Wedding lernen könnte

Der Wed­ding als Stu­di­en­ob­jekt, viel­leicht sogar als Vor­bild für eine Mega­ci­ty in einem nord­afri­ka­ni­schen Land, das sich seit dem ara­bi­schen Früh­ling so rich­tig im Umbruch befin­det? War­um nicht! Gera­de öffent­li­cher Raum wird von vie­len unter­schied­li­chen Nut­zern für sich bean­sprucht. Nach­voll­zieh­ba­rer­wei­se führt dies schnell zu Inter­es­sens­über­la­ge­run­gen. Um die­se bes­ser zu ver­ste­hen und lösen zu kön­nen, muss man sich mit den Betei­lig­ten an einen Tisch set­zen. Genau dies pas­siert in dem Pro­jekt, womit auch das demo­kra­ti­sche Poten­zi­al von Gestal­tung deut­lich wird.

Die Stu­den­ten sind übri­gens nicht nur im Wed­ding, son­dern auf ganz Ber­lin ver­teilt unter­ge­bracht. Wäh­rend ihres Gast­se­mes­ters ler­nen sie deutsch, und gut eng­lisch spre­chen kön­nen sie sowie­so. Und hin und wie­der kommt es auch vor, dass sie sich im Wed­ding auch auf ara­bisch, ihrer Mut­ter­spra­che, ver­stän­di­gen können…

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen über das Projekt

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

MastodonWeddingweiser auf Mastodon
@[email protected]

Wedding, der Newsletter. 1 x pro Woche



Unterstützen

nachoben

Auch interessant?