Wer direkt aus dem Orient in den Wedding kommt, wird dort womöglich ein Straßenbild vorfinden, das er in diesen Breiten nicht erwartet hat. Zum Beispiel kann man an vielen Stellen sein Obst und Gemüse direkt auf der Straße kaufen. Und manche Ladenbesitzer sitzen Tee trinkend vor ihrem Geschäft, rauchen Shisha und plaudern mit ihren Freunden oder Passanten…
Diese überraschende Erfahrung machten die ägyptischen Studenten aus dem Fachbereich Produktdesign der German University in Cairo (GUC), die derzeit ein Gastsemester am GUC-Campus Berlin absolvieren. Für alle Studenten ist es der erste Besuch in Deutschland. „Was ihnen zu Beginn am Wedding auffiel, war, dass es hier anders ist als erwartet“, sagt Designforscher Tom Bieling, der die Studenten bei einem Projekt im Wedding betreut. „Dieser Teil von Berlin ist jedenfalls nicht das Berlin, das im Reiseführer steht.“ Die Andersartigkeit im Vergleich zu Mitte, Charlottenburg oder Prenzlauer Berg bezieht sich nicht nur auf architektonische oder städtebauliche Aspekte, sondern fängt schon in der Art an, wie Waren feilgeboten oder ausgetauscht werden. Es sind eben diese vordergründigen Gemeinsamkeiten, die den Wedding und seine Bewohner für die ägyptischen Designstudenten interessant machen.
Designforschung in der Gesellschaft
„Es geht beim Design nicht nur darum, irgendwelche Dinge schön zu machen“, erklärt Designforscher Tom Bieling. Er erläutert, was das im Fall des Projekts der ägyptischen Studenten heißt: „Wir wollen den Zusammenhang von Gestaltung und sozialem Verhalten derer ermitteln, die unmittelbar von der Gestaltung betroffen sind.“ Der Leopoldplatz ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein Raum die Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen, die hier aufeinander treffen, beeinflussen kann. Ein Ort mit Konfliktpotenzial, wo verschiedene Menschen mit unterschiedlichsten Interessen aufeinanderprallen – manchmal auch im wörtlichen Sinne – ist der Leopoldplatz auf jeden Fall. Viele Konflikte könnten sogar vermieden werden: „Inwiefern sich die Menschen hier austauschen oder sich lieber aus dem Weg gehen, ist immer auch eine Gestaltungsfrage“, erläutert der Produktdesigner Tom Bieling.
Wie die Studenten mit dem komplexen Thema umgehen, ist offen. Denn die Auseinandersetzung mit dem „Forschungsobjekt Wedding“ soll bewusst experimentell gestaltet werden. Am Ende sollen Anleitungen zur Selbsthilfe stehen, bei denen auch die betroffenen Menschen mit einbezogen sind. „Der Designer ist in einem solchen Projekt nicht der einzige Akteur“, glaubt Tom Bieling. „Er übernimmt auch die Rolle des Moderators oder Übersetzers.“ Der Reiz des Projekts liegt sicher darin, dass die Studenten ihre Erfahrungen aus Kairo in den Wedding einbringen. Aber auch umgekehrt können ihre Erkenntnisse aus dem Wedding durchaus auch in Kairo von Nutzen sein.
Was die Welt vom Wedding lernen könnte
Der Wedding als Studienobjekt, vielleicht sogar als Vorbild für eine Megacity in einem nordafrikanischen Land, das sich seit dem arabischen Frühling so richtig im Umbruch befindet? Warum nicht! Gerade öffentlicher Raum wird von vielen unterschiedlichen Nutzern für sich beansprucht. Nachvollziehbarerweise führt dies schnell zu Interessensüberlagerungen. Um diese besser zu verstehen und lösen zu können, muss man sich mit den Beteiligten an einen Tisch setzen. Genau dies passiert in dem Projekt, womit auch das demokratische Potenzial von Gestaltung deutlich wird.
Die Studenten sind übrigens nicht nur im Wedding, sondern auf ganz Berlin verteilt untergebracht. Während ihres Gastsemesters lernen sie deutsch, und gut englisch sprechen können sie sowieso. Und hin und wieder kommt es auch vor, dass sie sich im Wedding auch auf arabisch, ihrer Muttersprache, verständigen können…