“Schon der erste Tag, wenn sich alle gegenseitig vor 50 weiteren Personen vorstellen, ist sehr berührend. Was erzählt man da über sich selbst?” So beschreibt Andre Urba, ein portugiesischer Tänzer das Gefühl, wenn sich wildfremde Menschen beim ersten Theater-Workshop des “Atlas”-Projektes kennenlernen. “Nach zwei Stunden hat man schon das Gefühl, in das Leben von so vielen unterschiedlichen Menschen hineingeschaut zu haben. Und dann erst bei den Aufführungen das Gefühl, mit 100 Menschen als Gruppe auf der Bühne zu stehen! Da hat man das Gefühl, etwas bewegen zu können!” Die Performance, die 2011 in Lissabon uraufgeführt wurde und in Warschau, Gent, Mailand, Budapest, Lausanne, Athen, Montpellier und Sao Paolo aufgeführt wurde, kommt jetzt auch in die Uferstudios in Berlin-Gesundbrunnen. Dafür werden 100 Darstellerinnen und Darsteller gesucht. Bühnenerfahrung müssen sie nicht mitbringen, denn die Teilnehmer spielen sich selbst und stellen keine Rolle dar. In keiner Stadt ist die Performance gleich. Obwohl sie als Ausgangspunkt einer simplen Struktur folgt, hängt sie doch sehr von den Mitspielern und deren Lebenswelten und Ideen ab.
Kleine Herausforderungen
Ein Darsteller aus Warschau drückte das so aus: “Im Theater werden normalerweise alle möglichen Tricks eingesetzt, um Illusionen zu erzeugen. Aber hier gab es keine Illusionen, sondern nur Wahrheiten. Und das spürten sowohl die Zuschauer als auch wir Menschen auf der Bühne.” Die Darsteller präsentieren sich selbst und ihre Berufswelten. In Warschau beschreibt eine Rentnerin auf der Bühne: “Ich muss gestehen, dass ich schon einmal drei Tomaten aus dem Supermarkt geklaut habe, und sie dann mit Makkaroni gegessen habe. Das ist die Situation von Rentnern, die von 1200 Zloty im Monat leben!”
Zudem wird man mit sehr unterschiedlichen Menschen konfrontiert, vom Politiker, zum Ladendetektiv bis hin zum Surfer haben schon alle Berufsgruppen mitgemacht. “Ich marschierte auf der Bühne zusammen mit einem Soldaten, und ich bin eine Friedensaktivitistin!” beschreibt eine Teilnehmerin aus Poitiers. Und einer aus Warschau sagt: “Obwohl wir so unterschiedliche Menschen mit derart unterschiedlichen Meinungen sind, haben wir uns immer mit Respekt zugehört… Wir waren gezwungen, uns in die Augen zu sehen.”
Die Basis für die Performance von Ana Borralho und João Galante ist ein Kinderlied: „Ein Elefant stört viele Menschen, doch zwei Elefanten stören noch viel mehr, zwei Elefanten stören viele Menschen, doch drei Elefanten stören umso mehr…”
Die Performance beginnt mit einer Person und endet mit 100 Personen auf der Bühne. Die erste Hälfte der Liedzeile wird jeweils nur von der einen soeben die Bühne betretenden Person gesprochen, die zweite Hälfte vom Chor derjenigen, die bereits auf der Bühne sind.
Für viele Teilnehmer dürfte auch der Workshop mit den kleinen Schauspiel – und Aufwärmübungen ungewohnt sein. “Eine kleine Herausforderung ist es vielleicht, dem Vordermann eine Klopfmassage auf dem Rücken zu geben. In fünf Workshop-Tagen entsteht dabei oft eine große Nähe und Offenheit, auch weil man so viel miteinander (mit)teilt”, erklärt Veronika Bökelmann, die für das Casting der Berliner Aufführung verantwortlich ist. Der portugiesische Tänzer Andre Uerba beschreibt, dass aus der Arbeit oft Freundschaften entstanden sind, sowie Facebook-Gruppen, Laien-Theatergruppen, oder sich auch schon Teilnehmer verliebt haben.
Bis 10. Juni ist eine Anmeldung möglich: [email protected]
Die Proben finden vom 25. bis 30. Juni (je 3 Stunden bzw 5 Stunden für die Generalproben) statt, die Aufführungen sind in der Zeit vom 1. bis 3. Juli in den Uferstudios, Uferstraße 25, 13357 Berlin-Wedding geplant.
Über die Performance Atlas
Das Theater wieder in einen politischen Raum verwandeln. 100 Menschen auf der Bühne. Eine Landschaft an Leuten mit unterschiedlichen Berufen, die ihren Platz in der Gesellschaft behaupten, jeder einzelne für sich wie auch als Gruppe, die eine Art Atlas des komplexen Zusammenhalts eines sozialen Gewebes entwerfen.
Über die Künstler – Ana Borralho und João Galante
Ana Borralho und João Galante lernten sich während ihres Kunststudiums an der AR.CO in Lissabon kennen, und arbeiteten in den 1990er Jahren mit der berühmten portugiesischen physischen Theatergruppe Olho. Seit 2002 arbeiten sie gemeinsam an eigenen Projekten. Sie zeigten diese auf internationalen Festivals in Portugal, Spanien, Frankreich, Schweiz, Deutschland, England, Italien, Tschechien, Slowakei, Finnland, Slovenien, Belgien, Japan, Brasilien, Arabische Emirate, etc. Borralho und Galante sind Mitbegründer der kulturellen Vereinigung CasaBranca, und kuratieren das Festival Verão Azul in Lagos, Portugal. Sie leben und arbeiten in Lissabon und in Lagos in Portugal.