Hier ein weiterer Themenbereich meiner Ü60-Kolumne: Wo gibt es die helfenden Problemlöser in der Nachbarschaft? Wer teilt mit seinen Nachbarn öffentlich Kultur, Kunst und Bildung?
Es gibt etliche Menschen im Wedding, wie auch in anderen Nachbarschaften, die langjährig Großes im Ehrenamt leisten. Man erkennt diese nicht direkt, wenn man nichts darüber weiß. Und man weiß nicht, was es für originelle und liebevolle Angebote gibt, wenn man nicht vernetzt in der Nachbarschaft ist oder die Lokalzeitungen studiert.
Nunmehr stelle ich dann und wann ehrenamtlich tätige Ü60er aus dem Wedding vor und zudem Ü60-Weddingerinnen und Ü60-Weddinger, deren Leben durch besondere Projekte, die auch für den Wedding angeboten werden, geprägt waren und sind.
Diana Schaals Kulturangebote im Soldiner Kiez
Diana Schaal, Anfang der 1960er in Stuttgart geboren und aufgewachsen, lebt seit 1996 in Berlin-Gesundbrunnen, im Soldiner Kiez. Sie ist nicht nur dort bekannt für ihre Kulturangebote und Kiezführungen, sondern auch über den Stadtteil hinaus. Wir sprachen gemeinsam über diese Events, die sie regelmäßig ehrenamtlich anbietet.
Frau Schaal, wie kamen Sie auf die Idee, so vielfältige Events, historische und regional bezogene, anzubieten?
Es ging los Ende der 2000er Jahre. Ich hatte damals und habe heute noch Freunde und Freundinnen im Soldiner Kiez Verein. Dadurch bin ich in die Aktivitäten des Vereins hineingewachsen. Meine Vereinsfreundin Kerstin Kaie hatte 2007 einen Bayerischen Abend für die Nachbarinnen und Nachbarn im Soldiner Kiez organisiert.
Daher kam ich im Jahr 2009 auf die Idee, einen Schwäbischen Abend zu veranstalten. Wir boten schwäbische Spezialitäten an, und ich erläuterte typisch schwäbische Phänomene in einem Lichtbild-Vortrag. Ein kleines selbstgestricktes Bühnenprogramm, bei dem Waltraud Köhler, meine Landsmännin, die Deko und Kostüme machte, rundete den Abend ab.
Darauf folgte noch im selben Jahr ein Japanisches Fest, wieder mit Lichtbild-Vortrag über landestypische Besonderheiten, japanischen Spezialitäten, Deko und Bühnenprogramm, dieses Mal mit japanischer Tänzerin und Koto-Spielerin. Die japanische Kultur ist schon längere Zeit ein spezielles Interesse von mir.
Wie ging es dann weiter?
Ich interessiere mich außerdem für Gruselliteratur, z.B. Edgar Allan Poe, und mir liegt Literatur von Frauen am Herzen. So fing ich 2010 an, Lesungen zu veranstalten, mit Lichtbildern und Musik.
2013 habe ich dann im Puttensaal unserer Stadtbibliothek am Luisenbad einen ersten historischen Lichtbild-Vortrag zum Soldiner Kiez gehalten. Dr. Olaf Kappelt schlüpfte an diesem Abend in das Kostüm Friedrichs des Großen, denn dieser hat die sog. Kolonie hinter dem Gesundbrunnen gegründet, den historischen Vorläufer des Soldiner Kiezes.
Wann begannen die historischen Kiezführungen?
Über diesen Lichtbild-Vortrag kam 2014 die erste historische Kiezführung zustande – durch den Soldiner Kiez. Ich wollte den Bewohner/innen des Soldiner Kiezes dessen Geschichte auf möglichst anschauliche Weise näherbringen. So hat sich das Ganze entwickelt, da kam eins zum anderen.
Wie steht diese lebens- und ortsnahe Kulturarbeit in Verbindung mit Ihrem Studium der Politikwissenschaft?
Als Politikwissenschaftlerin bin ich für soziale Ungleichheit sensibilisiert. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, als Bewohnerin dieses benachteiligten Stadtteils für dessen Bewohner/innen etwas Bereicherndes zu schaffen – nämlich Schöne Kiezmomente.
Ich wünsche mir, dass die Besucher/innen meiner Veranstaltungen für sich etwas Bereicherndes daraus mitnehmen: Lichtbilder und Fotos sollen die vorgetragenen Inhalte anschaulich machen, Musik soll sie emotional unterstreichen. Mit trockenen Fachvorträgen in unverständlicher akademischer Sprache, die nur von wenigen Menschen verstanden wird, habe ich nichts im Sinn.
Es gibt in Berlin, und besonders im Soldiner Kiez, viele finanzschwache Menschen.
Und gerade diesen Menschen möchte ich den Zugang zu gehaltvollen Kulturveranstaltungen ermöglichen. Deshalb ist der Besuch meiner Veranstaltungen und Führungen kostenlos.
Sie sind seit 2021 auch im Vorstand des Kirchbauvereins der Stephanuskirche im Soldiner Kiez. Ist zu erwarten, dass die Kirche ein Kulturort werden wird?
Es gab im neuen Jahrtausend immer mal wieder Anläufe dazu. Wir hoffen, dass es uns jetzt gelingt, die Stephanuskirche langfristig zu einem Kulturort zu machen, der auch für die Nachbarinnen und Nachbarn aus dem Soldiner Kiez zugänglich bleibt.
Was ist Ihr besonderes Verhältnis zu den historischen Themen?
Geschichte hat mich schon immer interessiert, denn sie ist nicht zuletzt das Ergebnis von Politik in der Vergangenheit.
Besonders spannend finde ich die Lebensbedingungen der Menschen in früheren Zeiten – vor allem, da wir uns hier in einem ehemaligen Arbeiterbezirk, dem sog. Roten Wedding, befinden.
Manchmal ist auch die ein oder andere Anekdote über ein gekröntes Haupt, einen Industrieboss oder einen historischen Promi ganz lustig.
Wie konnten Sie sich bei Ihren Veranstaltungen mit dem Verein Soldiner Kiez e.V. verbinden?
Es half natürlich, dass ich eng mit Thomas Kilian befreundet bin, der bereits 2009 Kassenwart des Soldiner Kiez e.V. war. Doch auch andere aktive Vereinsmitglieder wie Waltraud Köhler und Kerstin Kaie haben mich bei meiner Arbeit im Rahmen des Soldiner Kiez e.V. immer sehr stark unterstützt.
Ich denke, die meisten Aktiven im Verein sehen meine Angebote als kontinuierliche und ideenreiche Bereicherung der Vereinsarbeit. Seit 2015 mache ich auch immer wieder bei den Sommerausflügen des Soldiner Kiez e.V. Führungen durch historische Orte.
Änderten sich Ihre Aktivitäten und Schwerpunkte?
Bestimmte Schwerpunkte waren ja schon immer Bestandteile meines Programms: Stadt(teil)geschichte in Form von Lichtbild-Vorträgen und Führungen, Japan, Literatur von Frauen und Gruselliteratur. Die werde ich auch weiterhin beibehalten.
In den nächsten Jahren möchte ich bei den Autor/innen-Lesungen noch ein paar mehr männliche Autoren vorstellen, so Theodor Fontane, den Freiherrn von Knigge und Friedrich den Großen.
Bei den Japan-Veranstaltungen sind neben Lichtbild-Vorträgen zur Kultur des Landes mehr Lesungen geplant, und zwar sowohl Autor/innen-Lesungen als auch Themen-Lesungen mit Texten von mehreren Autor/innen zu einem Thema.
Die historischen Kiezführungen waren zuerst nur im Gesundbrunnen und Wedding angesiedelt.
Doch inzwischen biete ich auch welche in anderen Stadtteilen an, z.B. in Moabit, Reinickendorf, Tegel und in der Innenstadt. Ich habe mich damit sozusagen wie eine Krake in Berlin ausgebreitet (grinst).
Stimmen Sie sich bei den Veranstaltungen im Soldiner Kiez mit anderen Akteuren ab?
Ja, durchaus, denn schließlich wird für die Lichtbild-Vorträge und meine Lesungen ein großer Raum benötigt, wo man auch die nötige Technik anschließen kann. Dabei arbeite ich in der Regel mit der NachbarschaftsEtage Fabrik Osloer Straße zusammen.
Sie überlassen mir für meine Veranstaltungen kostenlos den Saal, um weiterhin ein gewisses Kulturprogramm im Haus zu haben, da sie vor einigen Jahren ihren Schwerpunkt auf Familienarbeit verlagert haben.
Bei den Lesungen habe ich seit Jahren einen mehr oder weniger festen Kreis an Vorleser/innen.
Bei historischen Kiezführungen bekomme ich manchmal Aufträge von Projektträgern aus Quartiersmanagement-Gebieten. Für diese Projektträger stelle ich dann aus bereits vorhandenem Material eine maßgeschneiderte historische Kiezführung zusammen und führe sie selbst durch. Dafür bekomme ich ein Honorar.
Haben Sie weitere Ideen für Themen und Projekte?
Ich habe Ideen, die noch für mehrere Jahre Programm reichen! (grinst)
Natürlich haben die zwei Jahre Corona-Pandemie 2020 und 2021 die Schönen Kiezmomente ziemlich zurückgeworfen: Lesungen und Lichtbild-Vorträge mussten verschoben werden. 2022 konnten alle Veranstaltungen dann wieder wie geplant stattfinden.
Unbedingt in den 2020er Jahren möchte ich noch die Lesung mit Gedichten verschiedener Autoren aus dem Berlin der 1920er Jahre anbieten. Ich möchte die vielen Berliner Schlösser in Lichtbild-Vorträgen vorstellen, und das vielfältige Werk von Karl Friedrich Schinkel.
Und außerdem habe ich natürlich noch etliche historische Kiezführungen in der Schublade!
OUTRO
Die Kulturveranstaltungen von Diana Schaal finden Sie auf www.schoene-kiezmomente.de.
Gespräch, Text © Renate Straetling
Danke für das schöne , aufklärende Porträt.