Mastodon

Geringe Literalität bei Erwachsenen:
„Harry Potter war mein erster Roman, da war ich so 22, 23 Jahre alt”

20. April 2022

„Als ich Har­ry Pot­ter gele­sen habe, da hat sich so eine neue Welt geöff­net! Da muss ich gleich anfan­gen zu wei­nen!“, erzählt Bian­ca Lim­bach, eine Nach­ba­rin des Spr­en­gel­Haus, „das war mein aller­ers­ter Roman“. Bian­ca hat mit Mit­te Zwan­zig noch ein­mal „so rich­tig“ lesen und schrei­ben gelernt. Sie gehör­te damit zu den über 6,2 Mio Erwach­se­nen in Deutsch­land, die gering lite­ra­li­siert sind, so der Fach­be­griff. Heu­te infor­miert und sen­si­bi­li­siert sie als Dozen­tin, unter ande­rem im Grund­bil­dungs­zen­trum (GBZ) Ber­lin, zu die­sem The­ma. Am 26. April steht sie Inter­es­sier­ten für Fra­gen per­sön­lich zur Verfügung. 

Bei­spiel für ein Dik­tat von Bianca

Gerin­ge Lite­ra­li­tät meint, dass Erwach­se­ne, die, nach­dem sie eine Schul­aus­bil­dung durch­lau­fen haben, zu einem bestimm­ten Level lesen und schrei­ben kön­nen – eben nur nicht „so rich­tig“. Die­ses Level wird noch ein­mal unter­schie­den von der Wort­ebe­ne bis zum Lesen, Schrei­ben und Ver­ständ­nis von län­ge­ren Texten.

Bian­ca stu­dier­te nach dem Abitur Diplom Päd­ago­gik mit Schwer­punkt­au­ßer­schu­li­sche Jugend- und Erwach­se­nen­bil­dung in Ber­lin. Sie hat als Stu­den­tin im AOB (Arbeits­kreis Ori­en­tie­rungs- und Bil­dungs­hil­fe) e. V. einem Kurs zum Lesen und Schrei­ben für Akademiker*innen besucht. Heu­te ist sie als Event­ma­na­ge­rin, als Selb­stän­di­ge Ring­a­na-Part­ne­rin sowie Grün­de­rin von Öko­lu­ti­on tätig – und „das Ver­rück­te ist, dass ich inzwi­schen auch bei ande­ren Tex­ten Recht­schreib­kor­rek­tu­ren mache!“.

Du hast Abitur gemacht und stu­diert. Wie war dei­ne Schulzeit?

„In Dik­ta­ten hat­te ich meist 5 und 6 als Schul­no­ten. Inzwi­schen weiß ich, dass ich ein visu­el­ler Typ bin. Also Wor­te, die ich kann­te, konn­te ich mir als Schrift­bild mer­ken und rich­tig schrei­ben. Damit war ich „zu gut, um ganz auf­zu­fal­len“. Nach­dem eine Klas­sen­leh­re­rin auf mich auf­merk­sam wur­de, war ich schon zu gut für einen Test. Also wur­de kei­ne Schwä­che, För­der­mög­lich­keit fest­ge­stellt und ad acta gelegt. Beim erneu­ten Leh­rer­wech­sel bin ich „so im all­ge­mei­nen Fahr­was­ser unter­ge­gan­gen“. Wenn ich z.B. etwas vor­le­sen muss­te, hat eine Freun­din von mir die Souf­fleu­se gespielt! Ich kann aber auch nicht sagen, dass es so „Lernbremser*innen“ in mei­ner Klas­se gab, das wäre viel­leicht sogar bes­ser gewe­sen! Nach­hil­fe hat­te ich in Mathe und Eng­lisch, aber nicht in Deutsch – das hät­ten mei­ne Eltern nicht ein­ge­se­hen! Ihre Ein­stel­lung war, dass man als Deut­sche deutsch lesen und schrei­ben kann! Weil münd­li­che und schrift­li­che Leis­tung zu einer Note zusam­men­ge­zo­gen wur­de, hat­te ich immer einen guten Mit­tel­wert, war nie ver­set­zungs­ge­fähr­det. Münd­lich war ich immer gut beim Unter­richt dabei! Man muss Kin­der spe­zi­el­ler an die Hand neh­men. In Klein­grup­pen Förderunterricht!“

Möch­test du etwas über dein Eltern­haus erzählen?

„Mei­ne Eltern sind deutsch ohne Migra­ti­ons­hin­ter­grund, deutsch ist mei­ne Mut­ter­spra­che. Mei­ne Eltern haben einen ein­fa­chen Bil­dungs­hin­ter­grund, mei­ne Mut­ter hat­te kei­ne wei­te­ren Bil­dungs­am­bi­tio­nen. Für sie wie für mich soll­te gel­ten: Bian­ca wird Haus­frau, hei­ra­tet, wird vom Ehe­mann ver­sorgt. Ein hoher Schul­ab­schluss ist für eine Frau kein The­ma. Ich hat­te schon früh so das Gefühl, dass mei­ne Eltern aus ein­fa­chen Ver­hält­nis­sen kommen.“

Wie war es im Stu­di­um für dich?

„Ich habe als stu­den­ti­sche Hilfs­kraft gear­bei­tet und im Auf­trag mei­nes Pro­fes­sors wur­de ich von einer ande­ren Hilfs­kraft auf mei­ne gerin­ge Lite­ra­li­tät ange­spro­chen. Es hat aber dann auch ein hal­bes Jahr gedau­ert, bis ich mich dann tat­säch­lich ange­mel­det habe beim AOB! Ich muss­te natür­lich viel lesen, Fach­li­te­ra­tur. Für mich war lesen Wis­sens­auf­nah­me, nicht ein Vergnügen!“

Wie hast du im AOB noch ein­mal bes­ser lesen und schrei­ben gelernt?

„Im AOB haben wir krea­tiv geschrie­ben, nicht nur das rei­ne Schrei­ben! Beim Schrei­ben­ler­nen wur­den Feh­ler pro Zei­le am Rand ange­stri­chen und dann muss man den Feh­ler selbst fin­den. Das ist die geils­te Metho­de, sich tie­fer gehend zu beschäf­ti­gen! Das ist eine Schwä­che, die ich wahr­schein­lich nicht ganz los wer­de, aber das ist ja auch nicht schlimm! Ich bin so stolz dar­auf, dass ich es noch ein­mal gelernt habe! Es ist als Erwachsene*r aber wirk­lich schwe­rer! Es ist wie eine Fremd­spra­che, lesen und schrei­ben hat was mit ler­nen zu tun! Das muss gut ver­mit­telt werden!“

Ler­nen Sie Bian­ca kennen!

Wenn Sie mehr über Bian­cas Geschich­te erfah­ren wol­len, spre­chen Sie mit ihr 😊! Am Di, 26. April wird es eine Öffent­lich­keits­ak­ti­on mit Bian­ca vor dem Offe­nen Treff­punkt geben. Beach­ten Sie bit­te die Aus­hän­ge am Nachbarschaftsladen!

Bera­tung zu Lesen, Schrei­ben, Rech­nen im SprengelHaus

Kom­men Sie ger­ne in die Bera­tung in den Offe­nen Treff­punkt Spr­en­gel­Haus. Sie ist don­ners­tags, 10–12 Uhr, ohne Anmel­dung und kos­ten­los. Der Treff­punkt ist in der Spren­gelstra­ße 15, 13353 Wedding.

Ansprech­part­ne­rin ist: Alys­sa Schmid, [email protected], 030 45977308

Text: Alys­sa Schmid

Gastautor

Als offene Plattform veröffentlichen wir gerne auch Texte, die Gastautorinnen und -autoren für uns verfasst haben.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

MastodonWeddingweiser auf Mastodon
@[email protected]

Wedding, der Newsletter. 1 x pro Woche



Unterstützen

nachoben