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Dr. Georg Benjamin (1895−1942) – Der Schularzt vom Wedding

1. Oktober 2014
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Der Name Georg Ben­ja­min taucht in Ber­lin nur noch sel­ten auf. Vie­le Orte und Insti­tu­tio­nen, die nach ihm benannt waren, wur­den nach dem Fall der Mau­er ent­we­der umge­wid­met oder exis­tie­ren heu­te nicht mehr. Ledig­lich eine klei­ne Stra­ße in Buch ist ihm geblie­ben sowie eine Erwäh­nung in der Gedenk­stät­te der Sozia­lis­ten auf dem Zen­tral­fried­hof Friedrichsfelde.

Im Wed­ding sucht man die Spu­ren Georg Ben­ja­mins hin­ge­gen ver­geb­lich, obwohl er einen Groß­teil sei­nes Wir­kens just hier ent­fal­tet hat. In der Ein­fahrt Bad­str. 40 hängt eine Ber­li­ner Gedenk­ta­fel mit sei­nem Namen. Leicht ange­staubt und von der Stra­ße nicht zu sehen. Dort, wo er mit sei­ner Frau Hil­de und dem gemein­sa­men Sohn Micha­el ab 1931 gewohnt hat. Man­chen wird das rote Back­stein­haus an der Pan­ke bekannt vor­kom­men: Einst Pro­duk­ti­ons­stand­ort der ältes­ten Tre­sor­fa­brik Simon Joel Arn­heims, gibt’s dort an der Pan­ke heu­te güns­ti­ge Tep­pi­che, neben­an das für den Gesund­brun­nen geschichts­träch­ti­ge Lui­sen­haus und natür­lich die Ufer­stu­di­os gegenüber.

Badstr. 40-41
Ehe­mals Tre­sor­fa­brik S.J. Arn­heim, Bad­str. 40–41, rechts das Luisenhaus

Ein Amtlicher Schularzt im Roten Wedding

Dr. Georg Ben­ja­min wird am 10. Sep­tem­ber 1895 als Sohn eines jüdi­schen Kunst­händ­lers in Char­lot­ten­burg gebo­ren. Sein älte­rer und wahr­schein­lich weit­aus bekann­te­rer Bru­der ist der Schrift­stel­ler und Phi­lo­soph Wal­ter Ben­ja­min (1892−1940), der auf der Flucht vor den Natio­nal­so­zia­lis­ten an der fran­zö­sisch-spa­ni­schen Gren­ze unter dem Ver­fol­gungs­druck zusam­men­bricht und sich 1940 in Port Bou das Leben nimmt.

Georg Ben­ja­min stu­diert nach der frei­wil­li­gen Teil­nah­me als Front­sol­dat im Ers­ten Welt­krieg Medi­zin in Mar­burg und Ber­lin und pro­mo­viert 1923 mit einer sozi­al­hy­gie­ni­schen Schrift mit dem Titel “Über Ledi­gen­hei­me”. Im Rah­men sei­ner Recher­che zieht er bereits 1921 zu Anschau­ungs­zwe­cken in ein hie­si­ges Ledi­gen­heim in der Brun­nen­str. Schon früh sozia­lis­ti­schen Theo­rien zuge­tan, tritt er ein Jahr spä­ter der KPD bei und enga­giert sich bis 1926 im Pro­le­ta­ri­schen Gesund­heits­dienst sowie im Ver­ein sozia­lis­ti­scher Ärzte.

Im alten Wed­ding arbei­tet Ben­ja­min von 1926–1931 als respek­tier­ter Ers­ter Haupt­amt­li­cher Schul- und Kin­der­arzt sowie Bezirks­arzt. Vor­nehm­lich behan­delt er durch mise­ra­ble Arbeits- und Lebens­ver­hält­nis­se krank gewor­de­ne Wed­din­ger. Neben sei­nem sozia­len Enga­ge­ment hält er außer­dem Vor­trä­ge über die Ver­bes­se­rung der (sozial-)hygienischen Zustän­de der Arbei­ter­schaft, schreibt über Besorg­nis erre­gen­de Ten­den­zen in der Klas­sen­me­di­zin und macht auf die schlim­men Fol­gen von Kin­der­ar­beit aufmerksam.

1931 endet die­ses Kapi­tel jedoch abrupt, da er auf­grund sei­ner kri­ti­schen Vor­trä­ge zu gesund­heits­po­li­ti­schen The­men für die Ver­wal­tung nicht mehr trag­bar scheint und aus dem staat­li­chen Dienst ent­las­sen wird. In ande­ren Quel­len liest man, das der Bür­ger­meis­ter sich von Ben­ja­min per­sön­lich belei­digt fühl­te. In bei­den Fäl­len ist das Ergeb­nis bekannt. Ben­ja­min wird sei­nes Amtes ent­ho­ben. In der Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung hin­ge­gen bleibt er als Bezirks­ab­ge­ord­ne­ter der KPD noch bis in das Jahr 1933 hin­ein aktiv.

Berufs­ver­bot ab 1933

Im April 1933 erhält Georg Ben­ja­min Berufs­ver­bot und wird mit Hin­weis auf sei­ne jüdi­sche Her­kunft auch von der Ärz­te­kam­mer aus­ge­schlos­sen, noch ehe die ent­spre­chen­den anti­jü­di­schen Geset­ze in Kraft tre­ten. So muss er sei­ne erst kürz­lich eröff­ne­te Pra­xis in der Bad­str. 16 wie­der schlie­ßen. Sei­ner beruf­li­chen und finan­zi­el­len Grund­la­ge ent­zo­gen, setzt er sei­ne Tätig­keit für die ille­ga­le Lei­tung der KPD nun im Unter­grund fort.

Zwi­schen­zeit­lich bestrei­tet sei­ne Ehe­frau Hil­de Ben­ja­min (1902−1989) den Lebens­un­ter­halt der Fami­lie. Sie ist Rechts­an­wäl­tin, eben­so wie ihr Ehe­mann Mit­glied der KPD und arbei­tet bei der sowje­ti­schen Han­dels­ver­tre­tung. Nach­dem Georg Ben­ja­min u.a. in der Naza­reth­kirch­str. und am Schil­ler­park im Wed­ding wohn­te, bezo­gen die bei­den 1931 in ihre gemein­sa­me Woh­nung: in der Bad­str. 40.

Nach Ende des 2. Welt­kriegs wird sie die Bio­gra­phie ihres Ehe­manns publi­zie­ren. Sie arbei­tet erst als Ober­staats­an­wäl­tin in Ste­glitz, ehe sie in die DDR umsie­delt und dort u.a. an den berüch­tig­ten Wald­hei­mer Pro­zes­sen mit­wirkt, bevor sie 1953 Jus­tiz­mi­nis­te­rin wird.

Konzentrationslagerhaft und Gefängnisstrafe

Am 12. April 1933 wird Georg Ben­ja­min “im Inter­es­se der öffent­li­chen Sicher­heit” in Schutz­haft genom­men und in das berüch­tig­te Gesta­po-Gefäng­nis am Alex­an­der­platz ver­bracht. Über die Zwi­schen­sta­ti­on Straf­an­stalt Plöt­zen­see wird er in das KZ Son­nen­burg über­stellt, aus wel­chem er erst zum Jah­res­en­de, am 24. Dezem­ber 1933 ent­las­sen wird. Obwohl unter der Bedin­gung, sich nicht mehr poli­tisch zu betä­ti­gen ent­las­sen, betei­ligt sich Ben­ja­min auch wei­ter­hin an den Akti­vi­tä­ten der ille­ga­len KPD-Bezirks­lei­tung Ber­lin-Bran­den­burg, indem er wahr­schein­lich aus­län­di­sche Berich­te und Zei­tungs­ar­ti­kel aus dem Eng­li­schen und Fran­zö­si­schen ins Deut­sche übersetzt.

Am 14. Mai 1936 wird Ben­ja­min auf­grund die­ser Tätig­keit aber­mals von der Gesta­po ver­haf­tet und schließ­lich vom Ber­li­ner Kam­mer­ge­richt zu sechs Jah­ren Gefäng­nis­haft wegen Hoch­ver­rat ver­ur­teilt. Die­se Stra­fe ver­bringt er im Zucht­haus Bran­den­burg-Göhr­den, zeit­wei­se in Einzelhaft.

Tod im Konzentrationslager Mauthausen 1942

Im Mai 1942 steht Ben­ja­min vor sei­ner Ent­las­sung, wird aber rou­ti­ne­mä­ßig nicht in die Frei­heit ent­las­sen, son­dern in das KZ Maut­hau­sen über­stellt. Wäh­rend der “Über­stel­lung” ver­bringt er eini­ge Zeit in den Gesta­po-Gefäng­nis­sen Prinz-Albrecht-Str. und Alex­an­der­platz. Wäh­rend die­ser Zeit wird er zur Zwangs­ar­beit im “AEL (Arbeits­er­zie­hungs­la­ger) Ber­lin-Wuhl­hei­de” her­an gezo­gen, des­sen Ein­satz­ort der Deut­schen Reichs­bahn zuzu­ord­nen ist. Dort hat er zum letz­ten Mal Kon­takt zu sei­ner Frau Hil­de und dem gemein­sa­men Sohn Micha­el, bevor er in das KZ Maut­hau­sen ver­bracht wird.

Am 26. August 1942 stirbt Georg Ben­ja­min. In den Akten der Lager­lei­tung ist sein Tod als “Selbst­mord durch Berüh­ren der Stark­strom­lei­tung” ver­merkt. Ein gän­gi­ger Euphe­mis­mus, der die sys­te­ma­ti­sche Miss­hand­lung durch Indi­vi­du­en der Wach­mann­schaf­ten ver­tu­schen soll. Unter wel­chen Umstän­den Ben­ja­min ver­starb, ist aus heu­ti­ger Sicht nicht ein­deu­tig zu klä­ren. Das er im Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Maut­hau­sen ermor­det wur­de, scheint jedoch sehr wahrscheinlich.

Roter Wed­ding in Brandenburg

Berliner Gedenktafel für Georg Benjamin, Einfahrt Badstr. 40
Ber­li­ner Gedenk­ta­fel für Georg Ben­ja­min, Ein­fahrt Bad­str. 40

Der Rote Wed­ding ist vie­len sei­ner heu­ti­gen Bewoh­ner sicher­lich ein Begriff. Die meis­ten sei­ner Prot­ago­nis­ten indes sind längst unter­ge­gan­gen. Und mit ihnen auch Georg Ben­ja­min. Man hat heu­te viel­leicht Schwarz­weiß-Bil­der von Stra­ßen­schlach­ten vor Augen. So, wie sie auch Georg Ben­ja­min als Augen­zeu­ge erlebt haben wird, gleich­wohl der Stra­ßen­kampf nicht sein Mit­tel der Wahl war. Es sind Bil­der von Schlach­ten, die sich heu­te so man­cher zurück wünscht. Ange­sichts der immer stär­ker wer­den­den Neo­na­zi­sze­ne im Wed­ding ein durch­aus nach­voll­zieh­ba­rer Wunsch. Dass ein Teil der Kom­mu­nis­ten in den 1930er Jah­ren mit den Natio­nal­so­zia­lis­ten gemein­sa­me Sache gemacht haben, wird ohne­hin gern aus­ge­blen­det – von bei­den Seiten.

Heu­te ist Georg Ben­ja­min nicht im Wed­ding, son­dern in Bran­den­burg anzu­tref­fen: Feld B I‑W II‑6 auf dem Wald­fried­hof Stahns­dorf. Dort befin­det sich sei­ne letz­te Ruhe­stät­te. Unweit von Ber­lin und von Hein­rich Zil­le übri­gens. Der Rote Wed­ding hin­ge­gen, der, den Ben­ja­min erlebt und in dem er gewirkt hat, der hat noch kein Ehren­grab erhalten.

 

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  1. […] steht. Doch auch der Lebens­weg des Kin­der­arz­tes ist inter­es­sant, wie Weber in dem schö­nen Text „Dr. Georg Ben­ja­min – der Schul­arzt vom Wed­ding“ zeigt, der auf Wed­ding­wei­ser veröffentlicht […]

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