Der Name Georg Benjamin taucht in Berlin nur noch selten auf. Viele Orte und Institutionen, die nach ihm benannt waren, wurden nach dem Fall der Mauer entweder umgewidmet oder existieren heute nicht mehr. Lediglich eine kleine Straße in Buch ist ihm geblieben sowie eine Erwähnung in der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde.
Im Wedding sucht man die Spuren Georg Benjamins hingegen vergeblich, obwohl er einen Großteil seines Wirkens just hier entfaltet hat. In der Einfahrt Badstr. 40 hängt eine Berliner Gedenktafel mit seinem Namen. Leicht angestaubt und von der Straße nicht zu sehen. Dort, wo er mit seiner Frau Hilde und dem gemeinsamen Sohn Michael ab 1931 gewohnt hat. Manchen wird das rote Backsteinhaus an der Panke bekannt vorkommen: Einst Produktionsstandort der ältesten Tresorfabrik Simon Joel Arnheims, gibt’s dort an der Panke heute günstige Teppiche, nebenan das für den Gesundbrunnen geschichtsträchtige Luisenhaus und natürlich die Uferstudios gegenüber.
Ein Amtlicher Schularzt im Roten Wedding
Dr. Georg Benjamin wird am 10. September 1895 als Sohn eines jüdischen Kunsthändlers in Charlottenburg geboren. Sein älterer und wahrscheinlich weitaus bekannterer Bruder ist der Schriftsteller und Philosoph Walter Benjamin (1892−1940), der auf der Flucht vor den Nationalsozialisten an der französisch-spanischen Grenze unter dem Verfolgungsdruck zusammenbricht und sich 1940 in Port Bou das Leben nimmt.
Georg Benjamin studiert nach der freiwilligen Teilnahme als Frontsoldat im Ersten Weltkrieg Medizin in Marburg und Berlin und promoviert 1923 mit einer sozialhygienischen Schrift mit dem Titel “Über Ledigenheime”. Im Rahmen seiner Recherche zieht er bereits 1921 zu Anschauungszwecken in ein hiesiges Ledigenheim in der Brunnenstr. Schon früh sozialistischen Theorien zugetan, tritt er ein Jahr später der KPD bei und engagiert sich bis 1926 im Proletarischen Gesundheitsdienst sowie im Verein sozialistischer Ärzte.
Im alten Wedding arbeitet Benjamin von 1926–1931 als respektierter Erster Hauptamtlicher Schul- und Kinderarzt sowie Bezirksarzt. Vornehmlich behandelt er durch miserable Arbeits- und Lebensverhältnisse krank gewordene Weddinger. Neben seinem sozialen Engagement hält er außerdem Vorträge über die Verbesserung der (sozial-)hygienischen Zustände der Arbeiterschaft, schreibt über Besorgnis erregende Tendenzen in der Klassenmedizin und macht auf die schlimmen Folgen von Kinderarbeit aufmerksam.
1931 endet dieses Kapitel jedoch abrupt, da er aufgrund seiner kritischen Vorträge zu gesundheitspolitischen Themen für die Verwaltung nicht mehr tragbar scheint und aus dem staatlichen Dienst entlassen wird. In anderen Quellen liest man, das der Bürgermeister sich von Benjamin persönlich beleidigt fühlte. In beiden Fällen ist das Ergebnis bekannt. Benjamin wird seines Amtes enthoben. In der Bezirksverordnetenversammlung hingegen bleibt er als Bezirksabgeordneter der KPD noch bis in das Jahr 1933 hinein aktiv.
Berufsverbot ab 1933
Im April 1933 erhält Georg Benjamin Berufsverbot und wird mit Hinweis auf seine jüdische Herkunft auch von der Ärztekammer ausgeschlossen, noch ehe die entsprechenden antijüdischen Gesetze in Kraft treten. So muss er seine erst kürzlich eröffnete Praxis in der Badstr. 16 wieder schließen. Seiner beruflichen und finanziellen Grundlage entzogen, setzt er seine Tätigkeit für die illegale Leitung der KPD nun im Untergrund fort.
Zwischenzeitlich bestreitet seine Ehefrau Hilde Benjamin (1902−1989) den Lebensunterhalt der Familie. Sie ist Rechtsanwältin, ebenso wie ihr Ehemann Mitglied der KPD und arbeitet bei der sowjetischen Handelsvertretung. Nachdem Georg Benjamin u.a. in der Nazarethkirchstr. und am Schillerpark im Wedding wohnte, bezogen die beiden 1931 in ihre gemeinsame Wohnung: in der Badstr. 40.
Nach Ende des 2. Weltkriegs wird sie die Biographie ihres Ehemanns publizieren. Sie arbeitet erst als Oberstaatsanwältin in Steglitz, ehe sie in die DDR umsiedelt und dort u.a. an den berüchtigten Waldheimer Prozessen mitwirkt, bevor sie 1953 Justizministerin wird.
Konzentrationslagerhaft und Gefängnisstrafe
Am 12. April 1933 wird Georg Benjamin “im Interesse der öffentlichen Sicherheit” in Schutzhaft genommen und in das berüchtigte Gestapo-Gefängnis am Alexanderplatz verbracht. Über die Zwischenstation Strafanstalt Plötzensee wird er in das KZ Sonnenburg überstellt, aus welchem er erst zum Jahresende, am 24. Dezember 1933 entlassen wird. Obwohl unter der Bedingung, sich nicht mehr politisch zu betätigen entlassen, beteiligt sich Benjamin auch weiterhin an den Aktivitäten der illegalen KPD-Bezirksleitung Berlin-Brandenburg, indem er wahrscheinlich ausländische Berichte und Zeitungsartikel aus dem Englischen und Französischen ins Deutsche übersetzt.
Am 14. Mai 1936 wird Benjamin aufgrund dieser Tätigkeit abermals von der Gestapo verhaftet und schließlich vom Berliner Kammergericht zu sechs Jahren Gefängnishaft wegen Hochverrat verurteilt. Diese Strafe verbringt er im Zuchthaus Brandenburg-Göhrden, zeitweise in Einzelhaft.
Tod im Konzentrationslager Mauthausen 1942
Im Mai 1942 steht Benjamin vor seiner Entlassung, wird aber routinemäßig nicht in die Freiheit entlassen, sondern in das KZ Mauthausen überstellt. Während der “Überstellung” verbringt er einige Zeit in den Gestapo-Gefängnissen Prinz-Albrecht-Str. und Alexanderplatz. Während dieser Zeit wird er zur Zwangsarbeit im “AEL (Arbeitserziehungslager) Berlin-Wuhlheide” heran gezogen, dessen Einsatzort der Deutschen Reichsbahn zuzuordnen ist. Dort hat er zum letzten Mal Kontakt zu seiner Frau Hilde und dem gemeinsamen Sohn Michael, bevor er in das KZ Mauthausen verbracht wird.
Am 26. August 1942 stirbt Georg Benjamin. In den Akten der Lagerleitung ist sein Tod als “Selbstmord durch Berühren der Starkstromleitung” vermerkt. Ein gängiger Euphemismus, der die systematische Misshandlung durch Individuen der Wachmannschaften vertuschen soll. Unter welchen Umständen Benjamin verstarb, ist aus heutiger Sicht nicht eindeutig zu klären. Das er im Konzentrationslager Mauthausen ermordet wurde, scheint jedoch sehr wahrscheinlich.
Roter Wedding in Brandenburg
Der Rote Wedding ist vielen seiner heutigen Bewohner sicherlich ein Begriff. Die meisten seiner Protagonisten indes sind längst untergegangen. Und mit ihnen auch Georg Benjamin. Man hat heute vielleicht Schwarzweiß-Bilder von Straßenschlachten vor Augen. So, wie sie auch Georg Benjamin als Augenzeuge erlebt haben wird, gleichwohl der Straßenkampf nicht sein Mittel der Wahl war. Es sind Bilder von Schlachten, die sich heute so mancher zurück wünscht. Angesichts der immer stärker werdenden Neonaziszene im Wedding ein durchaus nachvollziehbarer Wunsch. Dass ein Teil der Kommunisten in den 1930er Jahren mit den Nationalsozialisten gemeinsame Sache gemacht haben, wird ohnehin gern ausgeblendet – von beiden Seiten.
Heute ist Georg Benjamin nicht im Wedding, sondern in Brandenburg anzutreffen: Feld B I‑W II‑6 auf dem Waldfriedhof Stahnsdorf. Dort befindet sich seine letzte Ruhestätte. Unweit von Berlin und von Heinrich Zille übrigens. Der Rote Wedding hingegen, der, den Benjamin erlebt und in dem er gewirkt hat, der hat noch kein Ehrengrab erhalten.
[…] steht. Doch auch der Lebensweg des Kinderarztes ist interessant, wie Weber in dem schönen Text „Dr. Georg Benjamin – der Schularzt vom Wedding“ zeigt, der auf Weddingweiser veröffentlicht […]