Seit Frühjahr 2021 gibt es den Fungi Friday im Himmelbeet. Mit der Idee, interessierte Menschen aus dem Kiez zusammenzuholen, Wissen auszutauschen und voneinander zu lernen. Es werden Pilze gezüchtet, vermehrt und es gibt auch Pilzwanderungen. Im neuen Himmelbeet Standort (Grenz/Ecke Gartenstraße) und auch im Elisabeet sind Fungiecken bzw. Pilzgarten geplant.
Von Micha Alt, der diese AG mitgegründet hat, stammt dieser Text, der im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Rat für Zukunftsweisende Entwicklung der Berliner Hochschule für Technik (BHT) entstanden ist.
Willkommen im Reich der Pilze! Aber was wir bei einem Waldspaziergang entdecken, sind nur die Früchte eines weitaus größeren Lebewesens. Meist unsichtbar für unsere Augen leben die eigentliche Pilze in den verschiedensten Substraten. Auf der Suche nach Nahrung steht das spinnwebenartige weiße Geflecht (Myzel) stets in molekularer Kommunikation mit seiner Umwelt. Es wächst stetig weiter, teils bis zu gigantischen Ausmaßen, wie beispielsweise im Bundesstaat Oregon. Im Malheur National Forest ist der dunkle Hallimasch mit einem Alter von ca. 2400 Jahren und einer Ausdehnung von 9 km² das größte Lebewesen der Erde.
Pilze sind keine Pflanzen
Lange genug waren Pilze im Reich der Pflanzen eingegliedert, da sie mit ihren „pflanzenähnlichen“ Strukturen auch oft in erdigen Substraten leben, eine Zellwand besitzen und wie Farne auch Sporen für ihre Vermehrung nutzen. Aber: Pilze ernähren sich nicht wie Pflanzen autotroph, da sie aufgrund des fehlenden Blattgrüns keine Photosynthese betreiben können, sie müssen fressen. Somit stehen sie den Tieren also viel näher. Tiere und Pilze haben sich evolutionär ähnlich entwickelt. Wir tielen über 50 % mit dem der Pilze! Jedoch besitzen Pilze im Gegensatz zu Tieren eine hauchdünne aber extrem feste Zellwand. Das Chitin ist dafür verantwortlich. Innerhalb einer jeden Zelle finden sich zwei Zellkerne mit je einem einfachen Chromosomensatz.
Innige Partnerschaft zwischen Pilz & Pflanze – Mykorrhiza
Etwa 90 % aller Pflanzen sind im wahrsten Sinne des Wortes mit Pilzen vernetzt und profitieren von dieser Symbiose. Dabei umhüllen die feinen Pilzfäden die Feinwurzeln der Pflanze. Pilze gingen bereits vor 460 Mio. Jahren eine innige Beziehung mit den ersten Landpflanzen ein. Nach der Auffassung vieler Botaniker und Ökologen wurde der Landgang der Pflanzen erst mit der Hilfe der Pilze möglich.
Durch die Mykorrhiza wird die potentielle Wurzeloberfläche der Wirtspflanze um ein Vielfaches vergrößert und die Wasseraufnahme verbessert. Da der Pilz die Pflanze stets mit wichtigen Mineralen, Spurennährstoffen und Stickstoffverbindungen versorgt, führt dies zu einem schnellen und gesundem Pflanzenwachstum, sowie einer früheren Blüte und größeren Früchten. Vor allem Nadelbäume auf nährstoffarmen Standorten freuen sich über einen starken Pilzpartner. Zusätzlich bietet dieser einen gewissen Schutz vor Wurzelkrankheiten, ausgelöst durch Bakterien oder phytopathogene Pilze. Diese natürliche Barriere kann schädliche Stoffe wie Schwermetalle oder andere Umweltgifte aus der Nährstofflösung herausfiltern. Doch was hat der Pilz davon? Da Pilze kein Blattgrün, sondern lediglich Melanin enthalten, können sie keine Photosynthese betreiben. Zudem kommt, dass viele Mykorrhizapilze nicht über die Enzyme verfügen, welche die Zersetzer einsetzen um komplexe Kohlenhydrate abbauen zu können. Sie sind sie also auf die Hilfe von Pflanzenpartnern und deren „Zucker“ angewiesen. Bis zu 25 % der produzierten Glukose erhält der Pilz für seine Dienstleistungen. Energie´, die der Pilz gut für seinen Stoffwechsel und Zellaufbau gebrauchen kann.
Allein in einem cm³ Waldboden können bis zu mehreren Kilometern Pilzfäden vorkommen. Das unterirdische Netz fungiert dabei als ein Nährstoffres,ervoir, welches in Verbindung mit den Bäumen steht und auch in harten Zeiten angezapft werden kann. Junge Bäume können am Waldboden kaum Photosynthese betreiben und werden mit Zucker über das Netzwerk mitversorgt, genau wie Bäume die einen Nährstoffmangel aufweisen. Doch nicht nur intraspezifisch, sondern auch unter verschiedenen Baumarten findet dieser Austausch statt.
Das Hyphengeflecht tauscht aber auch Nachrichten aus, welche andere Individuen z.B. vor Borkenkäfern warnen. Mit chemischen Botenstoffen können die Bäume in weniger als 6 Stunden ihre Verteidigung vorbereiten.
24⁄7 – Transformatoren zwischen Tod und Leben
Pilze sind auch Spezialisten für jeden noch so harten Recycling-Auftrag. Die Zersetzerpilze (Saprobionten) sind zahlenmäßig am meisten unter den Pilzen vertreten. Denn aufgrund ihrer speziellen Lebensweise sind sie für alles gerüstet: tote Pflanzen, Früchte, Samen, Insekten, Säugetiere und deren Hinterlassenschaften. Pilze zersetzen bis zu 90 Prozent. Dabei zerlegen sie organische Verbindungen durch spezielle Säuren und Enzyme, welche sie über mikroskopisch feine, spinnenartige Zellfäden absondern. Über diese nehmen sie Kohlenhydrate, Proteine und Fette durch Osmose zu sich und bauen ihre Zellwände auf. Pilze machen Kohlenstoff, Stickstoff, Phosphor und Minerale als Nährstoffe für Pflanzen wieder verfügbar. Je nach Zersetzungsgrad werden organische Stoffe in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt.
Ihr ständiger Appetit wird im professionellen Pilzanbau sehr geschätzt. Champignon, Shiitake, Kräuter- und Austernseitling sind in vielen Supermärkten zu finden. Sie bereichern unsere Speisekarte. Um jedoch an die Vitamine und Mineralstoffe zu kommen ist ausreichendes Erhitzen und Kauen angesagt.
Entgifter, Baustoffe und Lebensmittel
Aufgrund ihrer Spezialisierung werden einige Saprobionten von Wissenschaftlern im Rahmen der biologischen Sanierung eingesetzt. Kontaminierte Böden oder Gewässer können durch Pilze bereinigt werden. Ein gesunder Mutterboden ist mit seinem unterirdischen Myzelgeflecht in der Lage, Bakterien aus dem Wasserstrom zu filtern und zu entfernen. Sogar der Abbau von Plastik ist durch Pilze möglich.
Auch in anderen Bereichen kommen wir ohne Pilze nicht mehr aus. Zum Beispiel werden mit ihnen Waschmittel optimiert. Aber nicht nur dessen Enzyme, sondern auch das Myzelium selbst wird immer häufiger verwendet. Dabei durchwächst der vegetative Teil des Pilzes die jeweiligen Substrate in den unterschiedlichsten Formen. Weitere Anwendungen finden sich unter anderem im biologischen Pflanzenschutz, in Medikamenten und natürlich der Lebensmittelindustrie.
Mit einem Pilz haben wir dabei eine ganz besondere innige Beziehung. Hefen sind einzellige Pilze und mit bloßem Auge nicht sichtbar. So unscheinbar wie sie sind, so bedeutend sind sie in unserer kulturgeschichtlichen Entwicklung. Bis heute sind sie bei der Bier- und Weinherstellung als auch beim Brot- und Kuchenbacken oder Fermentieren nicht wegzudenken.
Pilze und Gesundheit
Im Jahr 1928 entdeckte der Bakteriologe Alexander Fleming zufällig die keimtötende Wirkung eines Schimmelpilzes der Gattung Penicillium. 1942 war das erste Antibiotikum mit dem Namen Penicillin geboren, welches Hunderten Millionen von Menschen das Leben rettete. Allerdings birgt der heutzutage massenhafte, oft unbedachte Einsatz solcher Medikament große Risiken. Neueste Forschungen haben gezeigt, dass der sogenannte Gießkannenschimmel die Wirkung von Antibiotika wieder herstellen kann.
Wie steht es eigentlich mit uns? Pilze leben auf unserer Haut, Schleimhäuten und im Darm. Für ein gesundes Immunsystem stellen sie keine Gefahr dar, sie sind sogar sehr wichtig. Ist der Körper allerdings über einen längeren Zeitraum geschwächt, entsteht ein Ungleichgewicht und sie können unsere Gesundheit bedrohen.
Pilze gehören zu den ältesten Lebewesen der Erde und haben sich im Laufe der Evolution stets weiter entwickelt und spezialisiert. Sie überdauerten jede Katastrophe und ermöglichten immer wieder die Entwicklung neuen Lebens. Sie sind omnipräsent, sogar auf und in unserem Körper. Wir können einfach nicht ohne sie leben.
Text/Fotos: Micha Alt. Der Text wurde von der Redaktion gekürzt.
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