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Altmetall am Laternenmast:
Ein zweites Leben für Fahrradleichen

16. März 2023
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Für die einen sind sie ein stän­di­ges Ärger­nis, für die ande­ren ein gro­ßer Ver­lust. Für man­che sind sie nur ver­bo­ge­nes Alt­ei­sen, für ande­re eine Ersatz­teil-Fund­gru­be. Fahr­rad­lei­chen, Schrott­rä­der und ver­ges­se­ne Schmuck­stü­cke fin­det man nach dem lan­gen Win­ter an jeder Stra­ße im Wed­ding. Und es wer­den immer mehr. Ganz unbe­merkt hat sich das Ord­nungs­amt dem Pro­blem ange­nom­men. Und so wird man­chem Schrott­rad ein zwei­tes Leben geschenkt.

Es ist immer trau­rig, ein ein­sa­mes Fahr­rad ster­ben zu sehen. Es steht es an einer Later­ne, einem Fahr­rad­bü­gel oder einem Stra­ßen­schild fest­ge­schlos­sen. Manch­mal hat es schon ein paar Macken, oft ist es aber noch ganz in Ord­nung, und über­ra­schend oft ist es sogar ein rich­tig gutes Rad, das eigent­lich nicht allei­ne auf die Stra­ße gehört. Zuerst fällt es nicht auf, dann sieht man es Tag für Tag und man weiß, dass etwas nicht stimmt. Es steht unbe­wegt an sei­ner Stel­le. Wem es gehört und wer es da hin gestellt hat, weiß nie­mand, aber man ahnt schon, dass es kei­ner mehr abho­len kommt. Und man ahnt, was mit ihm gesche­hen wird. Und es ist jedes Mal grau­sam. Immer ist es der Sat­tel, der zuerst weg ist, oft noch bevor die Rei­fen die Luft ver­lo­ren haben. Dann tritt jemand gegen das Vor­der­rad, das kraft­los zusam­men sinkt. Das ist dann das Zei­chen für die ande­ren Lei­chen­fled­de­rer. Len­ker, Schal­tung und Hin­ter­rad wer­den her­aus­ge­ris­sen, bis nur noch ein ver­ros­te­ter Rah­men übrig bleibt und ein Schloss, das nie­mand kna­cken konn­te. Irgend­wann, nach einer Zeit lan­gen Lei­dens, klebt dann ein wei­ßer Zet­tel mit gel­ben Punkt am Rah­men oder eine gel­be Ban­de­ro­le. Und irgend­wann ist es dann weg. Und nie­mand weiß wohin. Gibt es einen Fried­hof der ver­ges­se­nen Fahrräder?

Nein, aber es gibt das Ord­nungs­amt. Tau­send tote Räder hat das Ord­nungs­amt Mit­te im Jahr 2022 mar­kiert. Ein Höchst­stand für die­sen Bezirk. Und das sind nur die Räder, die im „öffent­li­chen Raum” gefun­den wur­den. Hin­zu kom­men noch die Räder, die von der BVG und der S‑Bahn von den Hal­te­stel­len ent­fernt oder von der Poli­zei sicher­ge­stellt wer­den. Wer sein Rad vor dem Bahn­hof Gesund­brun­nen ver­ges­sen hat, muss erst ein­mal das Grund­buch stu­die­ren, um her­aus­zu­fin­den, wer für den Abtrans­port zustän­dig war. Denn was dort der Deut­schen Bahn gehört und was „öffent­li­cher Raum” ist, kann noch nicht mal das Bezirks­amt auf Anhieb sagen. Die Flut von Schrott­rä­dern ist ein Trend, der sich in allen Groß­städ­ten seit Jah­ren ver­fol­gen lässt.

Für so eine Flut von Schrott muss es Grün­de geben. Ganz sicher hat sich jeder und jede nach einer hef­ti­gen Knei­pen­tour oder nach einem lan­gen Urlaub schon mal die Fra­ge gestellt, wo er oder sie sein Fahr­rad abge­stellt hat. Und wenn es nicht mehr das Aller­neu­es­te und Aller­schöns­te war, wird sich der Auf­wand für die Suche in Gren­zen hal­ten. Das Fund­bü­ro der Poli­zei anzu­ru­fen oder anzu­kli­cken, ver­spricht wenig Erfolg. Weni­ger als hun­dert her­ren­lo­se Damen­rä­der oder damen­lo­se Her­ren­rä­der wer­den dort gelis­tet. Die Poli­zei sor­tiert wirk­lich noch nach die­sen alt­mo­di­schen Geschlech­ter-Kate­go­rien. Immer­hin gibt es auch noch die Lis­te „sons­ti­ge Fahr­rä­der”, sozu­sa­gen die Diver­sen unter den Rädern. Da fin­det man dann Klapp­rä­der und Moun­tain­bikes. Aber meist endet die Suche nach dem ver­schwun­de­nen Draht­esel mit einer Dieb­stahls­an­zei­ge bei der Poli­zei, und wer Glück hat kann damit dann zu sei­ner Ver­si­che­rung gehen. Das war’s dann meist. 

Aber mehr als 1000 ver­ges­se­ne Fahr­rä­der. So besof­fen kann man selbst im Wed­ding nicht stän­dig sein. Mit­ar­bei­ter des Ord­nungs­am­tes skiz­zie­ren in einer rbb-Repor­ta­ge einen ande­ren mög­li­chen Ver­lauf. Es sei­en oft gestoh­le­ne Räder, die als Schrott­rad enden. Sie wür­den eine Zeit­lang von den Die­ben genutzt, dann irgend­wo abge­stellt. Anschei­nend wer­den sie vor­her oft vor­her noch mut­wil­lig zer­stört. Die Wracks sind dann Opfer für ande­re Die­be, die die Ein­zel­tei­le abschrau­ben. Trau­ri­ges Ende eines Joyrides.

Eine stei­le, aber nicht unwahr­schein­li­che The­se stellt der Zwei­rad-Indus­trie-Ver­band (ZIV) auf. Er ver­mu­tet, dass vie­le Räder ein­fach von Anfang an kei­ne lan­ge Lebens­dau­er hat­ten. In sei­ner Spra­che heißt das „Die Käu­fer haben nicht in Qua­li­tät inves­tiert.” Auf Deutsch heíßt das: Es gibt Räder, die waren von Anfang an Schrott, Schrott im Schau­fens­ter. Ein Blick auf einen belie­bi­gen Fahr­rad­stän­der an einem S‑Bahnhof, oder die Nach­fra­ge bei einer Fahr­rad­werk­statt bestä­tigt das. Obwohl in den letz­ten Jah­ren der Trend zu immer hoch­wer­ti­ge­ren und teu­re­ren Rädern, vor allem E‑Bikes geht, ist in den letz­ten Jahr­zehn­ten von Bau­märk­ten oder Dis­coun­tern auch sehr viel Ramsch auf zwei Rädern ver­kauft wor­den. Und so kul­tig und lei­den­schaft­lich die schnit­ti­gen Renn­rä­der aus den 70er-Jah­ren der­zeit gehan­delt und gepflegt wer­den, so acht­los wird mit den klo­bi­gen City­bikes aus den 90ern umge­gan­gen. „Bei dem fünf­ten Plat­ten inner­halb kur­zer Zeit wird das Fahr­rad dann ein­fach an irgend­ei­ne Ecke gestellt.”, ver­mu­tet Rai­ner Kol­berg vom ZIV. Sind Fahr­rä­der zu Weg­werfar­ti­keln geworden?

Neues Leben für Schrotträder

Die­sen Trend will man in Mit­te zumin­dest im Umgang mit den Fund­rä­dern von den öffent­li­chen Plät­zen und Räu­men etwas ent­ge­gen­set­zen. Seit 2019 arbei­tet der Bezirk Mit­te mit der gemein­nüt­zi­gen Gold­netz GmbH zusam­men. Vier Wochen nach der Mar­kie­rung mel­det das Ord­nungs­amt die Schrott­rä­der an Gold­netz. Die­se sol­len in der Regel inner­halb von zwei Wochen von den Later­nen oder Fahr­rad­bü­geln abge­flext wer­den. Wer aller­dings zur Zeit durch die Stra­ßen des Wed­ding fla­niert, sieht, dass weder Ord­nungs­amt noch Gold­netz mit der Arbeit hin­ter­her kom­men. In einer medi­en­wirk­sa­men Akti­on von Bezirks­stadt­rä­tin Almut Neu­mann wur­den im Janu­ar vor dem Haupt­bahn­hof Schrott­rä­der vom Ord­nungs­amt mit gel­ben Ban­de­ro­len mar­kiert. Für die Mül­lerstra­ße oder Gesund­brun­nen haben die Kapa­zi­tä­ten dann anschei­nend nicht mehr gereicht. Hier fin­det man jede Men­ge Schrott­rä­der, aber kaum eins hat eine gel­be Markierung.

In den Sozi­al­werk­stät­ten des Bil­dungs­trä­gers in Span­dau und Moa­bit wer­den die Räder dann für das Pro­jekt „Good Bikes” auf­ge­ar­bei­tet. “Good Bikes” ist ein Pro­jekt zur Beschäf­ti­gung von Lang­zeit­ar­beits­lo­sen. Die Rah­men­num­mern wer­den der Poli­zei gemel­det, um sicher­zu­ge­hen, dass die Räder nicht als gestoh­len gemel­det sind. Nach der Frei­ga­be durch die Poli­zei beginnt in den Werk­stät­ten die Aus­le­se: Wo es mög­lich ist, wer­den die Fahr­rä­der repa­riert, oder ver­wend­ba­re Tei­le wer­den demon­tiert, mit dem Ziel, mög­lichs­te vie­le instand gesetz­te Räder zu pro­du­zie­ren. Allein 2022 wur­den 560 Schrott­rä­der ein­ge­sam­melt und 9 Ton­nen sor­tier­ter Schrott recy­celt. Die repa­rier­ten Fahr­rä­der gibt „Good Bikes“ an gemein­nüt­zi­ge Ein­rich­tun­gen kos­ten­frei ab. So konn­ten bei­spiels­wei­se Geflüch­te­te bei Rücken­wind e.V. mit über 30 Rädern unter­stützt werden.

Noch einen Tipp vom Ord­nungs­amt: Die mit dem weiß-gel­ben Punkt mar­kier­ten Fahr­rä­der sind nicht vogel­frei. Sie dür­fen nur von Gold­netz oder einem ande­ren Beauf­trag­ten ent­fernt wer­den. Auch wenn es noch so schwer ist, einem Rad beim Ster­ben zuzu­se­hen: Ein­fach mit nach Hau­se neh­men darf man ein ver­las­se­nes Fahr­rad nicht. Aber man kann sein Lei­den ver­kür­zen, indem man es online beim Ord­nungs­amt meldet.

Rolf Fischer

Ich lebe gerne im Wedding und schreibe über das, was mir gefällt. Manchmal gehe ich auch durch die Türen, die in diesem Teil der Stadt meistens offen stehen.

4 Comments Leave a Reply

  1. Hal­lo,
    Ergän­zung von mir , ja das ist ein selt­sa­mes Phä­no­men wel­ches ich auch über­all beob­ach­te . Ob es der fal­len gelas­se­ne zum-mit­neh­men-Papp­be­cher ist oder die zu tau­sen­den Ziga­ret­ten­stum­mel , eben­so die wil­de Ver­mül­lung der Stadt durch Sperr­müll oder eben die Fahr­rä­der, die irgend­wer irgend­wann am Zaun anschließt und es ver­ros­ten lässt … mög­lich das die Men­schen immer aso­zia­ler werden !!??

    früh­lings­haf­te Restwoche

  2. Unse­re HV (Heim­sta­den) hat zuletzt auch den Innen­hof von alten Fahr­rad­lei­chen beräu­men las­sen – eine Akti­on, die schon längst über­fäl­lig war! Nun ist wie­der Platz!

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