30.08.2019 Ein Abend in einer Weddinger WG. Ein Brief der Hausverwaltung liegt seit 2 Tagen ungeöffnet auf dem Küchentisch, die Angst vor dem, was drin stehen könnte, ist groß. Währenddessen schäumen FDP, AfD und CDU vor Wut – offenbar ist gerade etwas wirklich soziales seitens der Berliner Politik geplant. Am Montag dann titelt die Berliner Morgenpost „Herr Müller, stoppen sie diesen neuen Sozialismus“, AutorInnen der taz sind hin und hergerissen, Finanzmagazine reden vom Wahnsinn und die Wörter radikal und verfassungswidrig geistern durch die Kommentarspalten.
Es geht um durchgesickerte – vorläufige – Eckdaten zum Mietendeckel. 7,97€ Höchstmiete kalt steht dort. Je nach Alter der Wohnung, wenn es beispielsweise keine Heizungsanlage gibt, auch niedriger. Einige halten diesen Entwurf von Bausenatorin Lompscher für radikal und das dürfen Gedankenspiele auch gerne sein.
Gerne erst mal radikal
Die meisten Mieter haben genug von irgendeiner Mietpreisbremse, die durch hunderte Ausnahmen eher einem Netz, als einem Windfang gleicht. Sie wollen ein Gesetz, das wirkt. Das keine Ausnahmen hat und darum, denn es ist erst mal nur ein Vorschlag, gerne etwas radikaler sein kann. Im Sozialkundeunterricht lernte man, dass Gewerkschaften in Gehaltsverhandlungen gerne etwas übertreiben, um sich am Ende in der Mitte zu treffen. Warum denn nicht auch hier? Zumal es nur ein Entwurf ist.
Die einzige Ausnahme: Kein Mietendeckel für Bauten ab 2014, das verschont die meisten renditegetriebenen Investoren und wird auch keinen Neubau verhindern, denn diese Assoziationskette wird immer wieder als Drohkulisse aufgebaut. Der Neubau würde erlahmen. Sei es nun beim aktuellen Mietenstopp, der Neubauten doch davon ausnimmt, oder eben beim Mietendeckel. Bis genug Neubauten fertiggestellt sind, dauert es noch Jahre. Nicht nur weil die Politik träge ist, sondern auch Handwerker fehlen. Des Weiteren hat kein Investor Interesse daran, Wohnungen zu bauen, mit denen er nicht die maximale Rendite herausholt. Der Mietmarkt verlangt aber jetzt ein Handeln. Unverzüglich.
Das Bundesverfassungsgericht hat vor wenigen Tagen die Mietpreisbremse bestätigt und angemahnt, dass der Staat in den Mietenmarkt eingreifen dürfe. Wohnraum ist kein unendlich vermehrbares Gut. Es gibt kein Recht auf unendliche Rendite mit Wohnungen. Es gibt auch kein Recht auf Rendite am Aktienmarkt. Denn so werde Wohnungen mittlerweile überwiegend gesehen.
Mietendeckel Chance für die Mischung
Alle anderen Vermieter werden es doch in den Jahren davor hinbekommen haben, eine Miete zu verlangen, mit der sie sozial verträglich agieren können und gleichzeitig das Haus nicht verfallen muss. Für Käufer, die zum Eigenbedarf gekauft haben, ändert sich nichts. CDU und FDP sorgen sich mehr um Investoren und (Neu)Wohnungskäufer, als um die Bestandsvermieter, die seit 20 oder 30 Jahren das machen, was im Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet, und die in der Masse der Miethaie und Spekulanten untergehen.
Gleichzeitig schreibt der Tagesspiegel, dass gerade Gutverdienern geholfen wird, da ihre Miete ebenfalls sinkt. Das mag sein, das setzt aber auch voraus, dass die imaginäre 30%-Regel bisher wirklich existierte. Eine Familie, die sich heute ihre Wohnung nur noch leisten kann, weil sie mittlerweile 40 oder 50% ihres Einkommens aufbringen muss und laut Lohnzettel alles andere als gutverdienend ist, wird ebenso profitieren, um endlich aus dieser misslichen Lage herauszukommen.
Man denke an die berühmte Berliner Mischung. In den Vorderhäusern die Gutverdienenden, in den Höfen dahinter die, deren Einkommen für keine großen Sprünge reicht. Was würde bei einem Mietendeckel passieren, bei dem sich eine Busfahrerin oder ein Krankenpfleger eine Wohnung in Mitte direkt an der Charité leisten kann und nicht mehr 1 Stunde Anfahrt in Kauf nehmen muss?
Die berühmte Mischung wäre wieder möglich. Schulklassen würden nach und nach Kinder aus jeder „Schicht“ haben. Die Ärmeren nicht mehr unter sich, ebenso die Reicheren. Weil sich auch die Quartiere mischen. Berlin hat kein richtiges Zentrum, Berlin hat Kieze.
Der Musiker Olli Schulz sagte in einer Talkshow über den Prenzlauer Berg: Alle sind sie gleich alt, alle haben sie Kinder, es gibt keine älteren Leute mehr auf der Straße, […] man sieht alles Leute, die irgendwie gleich aussehen. […], es gibt keine Leute mehr, die kein Geld haben, das ist doch das Traurige, wenn die alten Leute aus dem Stadtbild verschwinden. Ich will, dass mein Kind in einem Viertel aufwächst, wo es Leben und Tod versteht, wo alte und junge Leute leben.
Das war 2013 – und die Politik redet bis heute meist über ein könnte und müsste oder über das Verschärfen von Gesetzen und nachjustieren. Es wird Zeit. Und wenn das Wort radikal heute schon bedeutet, Gesetze ohne Schlupflöcher zu verabschieden, weil es gerade dringend ist – dann gern auch das. Wo ist der Mut geblieben.
Dass der Deckel genauso kommt ist unklar, möglicherweise hat er auch vor Gericht gar keinen Bestand – es ist wie erwähnt ein Entwurf. Im Abgeordnetenhaus wurde am Donnerstag schon zwischen den Koalitionspartnern heiß diskutiert. Die Linke will auf jeden Fall einen Deckel, Grüne und SPD zögern noch. Im Oktober soll es Genaueres geben.
In der WG wurde der Brief endlich geöffnet. Eine Mieterhöhung wegen Anbringung von Rauchmeldern: 58 Cent mehr im Monat. Alles gut gegangen. Dieses Mal.
Die Aufregung also umsonst. CDU, FDP und AfD könnten etwas Weitsicht und ein besonnenes Reagieren – auf einen durchgesickerten Entwurf – in diesen Tagen gut zu Gesicht stehen, und nicht nur der Blick auf den schnellen Taler von einigen Wenigen. Ein Vorschlag ohne Schlupflöcher wäre schon mal ein Anfang, um guten Willen zu signalisieren. Denn ein Weiter so kann auch nicht in deren Interesse sein.
Berlin ist nun mal eine Mieterstadt.