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Karstadt am Leo:
“Dieses Haus schreibt keine roten Zahlen”

Der Betriebsrat des Karstadt Leopoldplatz warnt vor dem Leerstand
29. Dezember 2022
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Kaum zu Wort kamen beim Pla­nungs­ca­fé zur Zukunft des Kar­stadt am 1. Dezem­ber die Beschäf­tig­ten des Waren­hau­ses. Sie haben aber etwas zu sagen. Und nicht nur wegen der Arbeits­plät­ze: Wer jahr­zehn­te­lang am Leo­pold­platz gear­bei­tet hat, der hat auch eine star­ke Bin­dung zum Ort. Ein Inter­view mit Susan­ne Urban­sky, Jens Red­lich und Ange­la Möbi­us vom Betriebs­rat des Kar­stadt am Leopoldplatz.

Im August, so ver­kün­de­te Rei­ner Mül­ler von der Signa Real Estate beim Pla­nungs­ca­fé, endet die Zusa­ge sei­ner Fir­ma für einen Wei­ter­be­trieb des Waren­hau­ses am Leo. Haben Sie Hoff­nung, dass es trotz­dem wei­ter geht?

Der Miet­ver­trag läuft noch bis Janu­ar 2024. Das ist schon mal ein Punkt. Und wir haben auch Bezirks­stadt­rat Ephra­im Gothe auf der Ver­an­stal­tung gehört, der sich für einen Wei­ter­be­trieb ein­setzt, denn allein die Pla­nungs­pha­se wird meh­re­re Jah­re dau­ern. Wenn das Gebäu­de die gan­ze Zeit leer steht, kann das am Leo­pold­platz mit sei­ner Dro­gen­sze­ne zu einem rie­si­gen Pro­blem werden.

Der Platz braucht die Bele­bung, die von uns aus­geht. Und das ist dem Bezirk offen­bar klar. Wir sind für vie­le im Wed­ding ein sta­bi­ler Bezugs­punkt. Wir haben Stamm­gäs­te, die nahe­zu täg­lich kom­men. Und wir sind eine sehr enga­gier­te Beleg­schaft, die schon eini­ge Kri­sen über­stan­den hat und die auf den Wed­ding ein­ge­stellt ist. Die kriegt man nie wie­der zusam­men, wenn man sie ein­mal auf­ge­löst hat.

Was ist anders im Wed­ding als etwa in der Schloßstraße?

Es gibt Kun­din­nen und Kun­den, die muss man – sagen wir mal: direk­ter anspre­chen, damit sie einen ernst neh­men. In Ste­glitz wür­de die­se Art der Anspra­che ziem­li­chen Ärger ver­ur­sa­chen. Man lernt hier mit der Zeit, wen man wie behan­deln muss.

Die Gale­ria Kar­stadt Kauf­hof GmbH hat jetzt zum zwei­ten Mal in zwei Jah­ren die Insol­venz bean­tragt. Ein Drit­tel der 131 Kauf­häu­ser im Kon­zern soll geschlos­sen wer­den. Wie­so nicht auch die­ses hier?

Die­ses Haus war frü­her mal der Kar­stadt mit dem stärks­ten Umsatz in ganz Deutsch­land. Und auch jetzt schreibt es kei­ne roten Zah­len. Der Jah­res­ab­schluss 2021 war posi­tiv, trotz der lan­gen Schließ­zei­ten wegen Coro­na. Man muss zudem auch nicht die vol­le Ver­kaufs­flä­che von 16.000 Qua­drat­me­ter aus­nut­zen, die hier zur Ver­fü­gung steht. Wir sind inzwi­schen eigent­lich zu weni­ge für die­se rie­si­ge Flä­che.
Zu Spit­zen­zei­ten arbei­te­ten hier in den 1980er Jah­ren knapp 1000 Leu­te und im Weih­nachts­ge­schäft sogar bis zu 1200. Heu­te sind wir nur noch 85. Zusam­men mit den Beschäf­tig­ten der Fir­men, die hier ein­ge­mie­tet sind wie Go Asia, Fut­ter­haus und Gale­ria Markt­hal­le im Unter­ge­schoss oder Hugen­du­bel in der Buch­ab­tei­lung, wären knapp 200 Men­schen mit ihren Fami­li­en von der Schlie­ßung des Hau­ses betroffen.

In Tegel hat gera­de eine neue Kar­stadt-Filia­le eröff­net, mit einer redu­zier­ten Ver­kaufs­flä­che. Wäre das eine Lösung?

Das müss­te man genau­er und im Ein­zel­nen dis­ku­tie­ren. Wich­tig wäre es, nicht zu vie­le Sor­ti­men­te auf­zu­ge­ben. Da wur­den in der Ver­gan­gen­heit vie­le Feh­ler gemacht. Frü­her war unser Haus ja auch ein Kom­pe­tenz­zen­trum im Wed­ding: In der Fahr­rad­ab­tei­lung wur­de die Gang­schal­tung ein­ge­stellt, auf dem Dach konn­te man sei­nem Auto die Rei­fen wech­seln las­sen, es gab eine gut sor­tier­te Elek­tro­nik­ab­tei­lung. Alles weg.

Die Beleg­schaft wird unter­ta­rif­lich bezahlt. Gleich­zei­tig sucht man über­all Arbeits­kräf­te, der Bezirk zum Bei­spiel für die Über­wa­chung der Park­raum­be­wirt­schaf­tung. Was hält Sie eigent­lich noch bei Karstadt?

In den letz­ten bei­den Jah­ren haben uns tat­säch­lich etwa 20 % bis 25 % der Beleg­schaft ver­las­sen. Mit einer kauf­män­ni­schen Aus­bil­dung ste­hen einem in Ber­lin vie­le Mög­lich­kei­ten offen. Etli­che sind zum Bei­spiel bei der Deut­schen Ren­ten­ver­si­che­rung gelan­det und ver­die­nen jetzt deut­lich mehr als wir. Aber die meis­ten wol­len nicht im Büro arbei­ten, sie haben sich den Beruf ja aus­ge­sucht, weil sie den Kon­takt mit Men­schen mögen. Außer­dem sind wir hier fast schon eine Fami­lie. Man hängt auch an den Kol­le­gin­nen und Kollegen.

Das Inter­view führ­te Chris­tof Schaf­fel­der. Der Bei­trag erschien zuerst in der Zeit­schrift Ecke Mül­lerstra­ße Aus­ga­be Dez. 22 / Jan. 23

Gastautor

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4 Comments Leave a Reply

  1. Es ist sehr scha­de um das Haus, der Ein­käu­fer hat sich zu sehr um den Geschmack von unse­ren aus­län­di­schen Bür­ger bemüht. Die letz­ten Jah­re hat­te ich den Ein­druck , hier wird alles ver­ramscht. Kei­ner aus der Chef­eta­ge hat sich die Mühe gemacht, ein­fach mal das Per­so­nal zu fragen….diese hät­ten bestimmt den Hin­weis gege­ben , dass der Ein­käu­fer schon 100 Jah­re alt sein muss.

    • Was hat denn das schon wie­der mit den soge­nann­ten “aus­län­di­schen” Bür­gern zu tun. Auch inlän­di­sche Kun­den stür­zen sich auf die Schnäpp­chen wie auf war­me Sem­mel beim Bäcker.
      Bei die­sem AFD-haf­ten Getue könn­te ich kotzen.
      Mitt­ler­wei­le wur­den Pro­zes­se bei fast allen Ein­zel­händ­ler zen­tra­li­siert, um Kos­ten zu spa­ren. Natür­lich mit der Pro­ble­ma­tik, das man nicht mehr auf indi­vi­du­el­le Wün­sche der Kun­den ein­ge­hen kann.

  2. “Und wir sind eine sehr enga­gier­te Beleg­schaft, die schon eini­ge Kri­sen über­stan­den hat und die auf den Wed­ding ein­ge­stellt ist. ”
    Also enga­giert ist ja wohl was ande­res. Enga­giert waren sie nur zu einem Zeit­punkt, als das ers­te Mal die Schlie­ßung bevor stand.
    Ansons­ten sind sie lei­der sehr demo­ti­viert und pissig.
    Wenn sie damit meint “auf den Wed­ding ein­ge­stellt”, dann absolut.
    Ansons­ten ein fan­tas­ti­sches Bei­spiel von Eigen- und Fremdwirkung.

  3. Dan­ke an den Wed­ding­wei­ser für den Abdruck des Inter­view aus dem “Ecke Mül­lerstra­ße”. Gut, dass die Betriebs­rä­te zu Wort kom­men. Und als Anwoh­ner mei­ne nicht nur ich: Es darf nicht sein, dass Kar­stadt auch nur vor­über­ge­hend geschlos­sen wird. Es wür­de wei­te­re Ver­ödung am Leo­pold­platz bedeuten. 

    Das Waren­haus ist die Nah­ver­sor­gung der umlie­gen­den Kieze der Mül­lerstra­ße. Es hält den Platz und die Kieze am Leben und macht die Gegend lebens­wert. Egal was benö­tigt wird, erst­mal führt der Weg nach Kar­stadt. Kau­fen oder nicht, die Ent­schei­dung läßt sich bei einem Kaf­fee bei Kar­stadt. Der­weil kann frau/mann sich noch die Schu­he repa­rie­ren las­sen. Das ist auch nachhaltig, 

    Vie­le tref­fen sich im Restau­rant, das auch gleich­zei­tig Kan­ti­ne für die Beschäf­tig­ten ist. Das gro­ßes Inter­es­se am Erhalt besteht, hat schon der Andrang beim Pla­nungs­ca­fe im Restau­rant gezeigt. So ein­fach darf es nicht gehen, mal eben for­mal betei­li­gen und dann Deckel drauf und danach bestimmt Signa, was passiert.

    Bezirks­stadt­rat Ephra­im Gothe muss dage­gen hal­ten. Ange­sicht der anste­hen­den Wah­len kann frau/man aber über­le­gen, ob auf ihn wohl Ver­lass ist. Also wäh­len gehen und dranbleiben!

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