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Beobachtungen eines Weddingers:
Die saufen, die Nachbarn.

6. Oktober 2024
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Ein typischer Spätsommerabend. Die Sonne steht noch hoch genug am Himmel, um eine wohlige Wärme zu erzeugen, aber nicht mehr so hoch, um einem nach zehn Minuten die Nasenspitze weg zu brennen. Das Licht schimmert durch die ihr Grün verlierenden Blätter. Leicht golden, wie ein frisch gezapftes Bier. Nicht weit weg von zu Hause, der Straßenrand gesäumt von Auto an Auto und viel beschäftigten Fußgängern auf dem Gehweg, da stehen sie: Die Nachbarn. Ein bisschen grölend, ein bisschen beschwipst und ordentlich am Picheln.

Dieser Platz hier mitten im Kiez ist voll mit ihnen – kleine Gruppen, große Gruppen. Kleine Schlucke, große Schlucke. Direkt aus der Flasche, oder vorab, möglicherweise aus Gründen der Eleganz, in Becher umgefüllt. Dazwischen vereinzelte Marktstände, die so langsam den wohl verdienten Feierabend einläuten, ein paar Bäume und Tischtennisplatten. Doch man fühlt sich nicht zugehörig. Eher fremd zwischen diesen Figuren. Man fühlt sich beobachtet, dabei ist man doch von „umme Ecke“ – nur ein paar Minuten entfernt. Und dennoch gucken alle so komisch, mit ihrem vermeintlichen Feierabendgetränk in der Hand. Die saufen, die Nachbarn.

Ganz in der Nähe ein kleiner Imbiss, davor ein paar Stühle und Tische, gut besucht. Direkt gegenüber ein Spielplatz: Kinder und Erwachsene, bunt gemischt. Die wenigen Sitzgelegenheiten neben dem Klettergerüst gesäumt von Alkohol in vollen Flaschen, halbleeren Flaschen und Spuckschlücke in leeren Flaschen. Die Nachbarn hier, die saufen alle. Egal ob auf dem Spielplatz, mitten auf dem Markt, neben den Kindern, vor den Kindern. Und dann gucken sie einen noch komisch an. Nur weil man mit Pizza in der einen und das Fahrrad in der anderen Hand durch ihr Revier schlendert. Die dritte Hand für die Flasche war halt nicht mehr frei. Sorry.

Die Sonne geht langsam unter, es wird kalt. Das Bier verliert in den wenigen Minuten, bevor die Dunkelheit hereinbricht, das vertraut goldene Leuchten. Reicht dann auch, denke ich mir. Genug Nachbarn für heute. Zurück aufs Rad. Zurück in meinen Kiez. Tschau Karl-Theodor und Dörte-Daniela. Tschau Prenzlauer Berg – du saufender Nachbar.

Das ist natürlich alles ein Klischee, aber auch eine Momentaufnahme. Während man auf den Wedding manchmal mitleidig herabblickt, gilt alles ab der Bösebrücke als Heilsversprechen im Kosmos des Lebens. Zumindest medial. Und ja, der Wedding hat Probleme, das sieht jeder. Aber auch ihr da drüben beherbergt einen Berg voller Probleme. Ein Bierchen in der Hand eines Weddingers, asozial. Ein Gläschen Wein vor dem sanierten Gründerzeithaus Bohème. Und damit keine Missverständnisse aufkommen, es geht dem Autor nicht um wir gegen die, trinken gegen nicht-trinken, dafür steht auch er viel zu oft und viel zu lange in seinen Lieblingskneipen. Es geht um unterschiedliche Wahrnehmungen.

Ihr im feinen Prenzlauer Berg sauft euren Winzerwein aus großen Bechern mit Sand zwischen den Füßen. Wir trinken unser Bierchen mit Scherben unter den Schuhen, am Späti oder am Tresen. Im Herzen ehrlich wärst du gern wie wir hier im Wedding. Aber was würden dann deine Nachbarn von dir denken, so mit ner Molle in der Hand? So etwas, nee, so etwas macht man nicht.

Also Prost - oder wie ihr es umschreibt: Stößchen!

Andaras Hahn

Andaras Hahn ist seit 2010 Weddinger. Er kommt eigentlich aus Mecklenburg-Vorpommern. Schreibt assoziativ, weiß aber nicht, was das heißt und ob das gut ist. Macht manchmal Fotos: @siehs_mal
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4 Comments

  1. Also bei uns auf dem Block kiffen bloß alle .. also alle echt entspannt und so zerstört man seine grauen Zellen wenigstens nicht ganz so schnell + fatal wie beim eff... Allohol .. und man ist mit THC nicht halb so peinlich unterwegs + kann sich am Morgen danach wenigstens noch an alles errinnern ! Schlimm finden viele auch dass dieser Schei.. Allohol auch nochüberall öffentlich beworben wird/ werden darf, stimmt, gibt`s ja 80% Steuern drauf,und kostet unsere Soli-KVs wegen all seiner krassen Nebenwirkungen Milliarden an Euro ,alles mega incool! Cannabis is cool, Alkohol dagegen überhaupt nicht. Deshalb an dieser Stelle kein PRÖSTerchen, sondern ein gepflegtes PÜFFchen!

  2. Ihre Phantasie und ihre wohlmeinenden Zeilen nehme ich zur Kenntnis, aber auf die Idee, die Penner und Säufer vom Leo zum einen als meine „ Nachbar“ zu betrachten und dann alles auch noch in einen Topf mit den Genießern vom P.-Berg zu werfen … Sorry, aber das ist mir nun wirklich zu weltfremd!
    Man kann „seinen“ Kiez ja verklären, aber sich in die eigene Tasche zu lügen - das geht garnicht!

    • die Bevölkerunggschichten im Wedding die dem Alkohol nicht abgeneigt sind beschränkt sich ja nicht auf die Trinkerszene vom Leo. Da gibt es noch genug dazwischen

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