Damit ein Denkmal als historisch wertvoll in der Öffentlichkeit angesehen wird, braucht es nicht unbedingt die Eintragung in die Denkmalliste. Zum einen sind die Kriterien hier sehr hoch angelegt, zum anderen ist auch der Denkmalbegriff selbst ständig im Wandel. Vieles, was in den 1960/70er-Jahren noch abgerissen worden wäre, gilt heute als schützenswert. So gibt es viele Denkmale, die von Privatpersonen als Zeugnisse der Geschichte instandgesetzt und erhalten werden, die unterhalb der von Landesdenkmal gesetzten Schwellen liege. Dazu gehört im Wedding z.B. die Mittelinsel auf der Gleimstraße, die Gleim-Oase genannt wird.
Es gibt viele Argumente, die für den Erhalt der Mittelinsel aus geschichtlichen, künstlerischen und städtebaulichen Gründen sprechen. Wichtig ist, dass die Anlage die aus den 1980er Jahren stammt, einer bereits abgeschlossenen Epoche angehört.
Historische Bedeutung
Die Mittelinsel befand sich bei ihrer Errichtung auf der Gleimstraße in unmittelbarer Nähe zur Sektorengrenze. Ihr historischer Wert liegt vor allem darin, dass sie das seit Mitte der 1970er-Jahre geänderte Verhältnis West-Berlins zur DDR zum Ausdruck bringt.
In der Zeit des Kalten Krieges entstanden nicht nur entlang der Sektorengrenze sowohl in Ost- als auch in West-Berlin eine Vielzahl von Denkmalen, die als Ausdruck oder besser als Medium der Konfrontation der politischen Systeme bezeichnet werden können. Dies änderte sich zunehmend seit den Ostverträgen und dem Transitabkommen im Jahre 1972 sowie mit dem Grundlagenvertrag mit der DDR im Jahre 1974. Auch wenn sich die Politik die Forderung nach einer Wiedervereinigung offen hielt, so wurde nun (ab Mitte der 1970er Jahre) in West-Berlin alles vermieden, was auf der Seite Ost-Berlins als Provokation aufgefasst werden konnte. Im damaligen West-Berlin wurde die Mauer zunehmend als gegeben akzeptiert. Vor allem richtet man sich im Schatten der Berliner Mauer ein.
So wurde auf der Gleimstraße einerseits der Mittelstreifen (einer durch den Mauerbau nicht genutzten Straßenführung) in eine Erholungs- und Freizeitfläche umgewandelt. Andererseits wurden rechts und links des Grünstreifens jeweils Fahrspuren offen gehalten. Dies diente nicht nur dazu, dass, wie es überall gehandhabt wurde, die Polizei sowie die Feuerwehr mit ihren Rettungsfahrzeugen an die Mauer gelangen konnte. Die Straßenführung blieb offen, damit sie auch weiterhin dem Straßenverkehr dienen kann, vor allem falls es zu einer Öffnung der Mauer käme.
Damit drückt mit dem Anlegen des Mittelstreifens jenes ambivalente Verhältnis von West-Berlin gegenüber Ost-Berlin und der DDR aus, das aus dem einerseits Sich-Einrichtens mit der Mauer und andererseits dem Offenhalten aller Möglichkeiten bestand, falls es zu einer Wiedervereinigung kommen würde.
Dem entsprechend beziehen auch die skulpturalen Arbeiten Carlinis, anders als vorausgegangene Skulpturen oder Denkmalsetzungen an der Sektorengrenze in Berlin, keine direkte politische Stellung gegenüber der Berliner Mauer. Allerdings ist die Arbeit trotzdem als ein politisches Statement zu werten.
Aussage zur Berliner Mauer
Die sitzenden Figuren wurden von den Künstlern als eine Art Hinweis auf die Grünanlage bezeichnet. Das ist folgerichtig, da der Besucher an dieser Stelle, nur wenige Meter von der Berliner Mauer entfernt, damals keine Erholungsfläche erwartet hätte.
Den fünf Vogelgruppen wurde von den Carlinis eine rein kontemplative Funktion zugeordnet. Angesichts der Silhouette des Gleimtunnels sowie der dahinterliegenden Sektorengrenze, kann in diesem Kontext die Darstellung unterschiedlicher Vogelarten als ein Symbol der Freiheit gesehen werden. Denn den Vögeln ist es möglich, anders als den Menschen in Berlin, ohne Behinderung die wenige Meter entfernten Sperranalagen der DDR zu überwinden, unbeschadet nach Ost-Berlin und auch unbeschadet wieder nach West-Berlin zurück zu gelangen. Eine solche Interpretation liegt vor allem deshalb nahe, da ja der Bau der Berliner Mauer erst das Anlegen der Mittelinsel auf der Gleimstraße ermöglichte.
Von da her ist auch die stilisierte Darstellung des Gleimtunnels nicht als eine einfache, reduzierte Wiedergabe des Brücken-Bauwerkes (das hier einen Tunnel bildet) zu sehen. In dem diese Elemente aufgesockelt sind, erscheinen sie nicht als Tunnel oder Brückenbauwerk sondern als drei durch Metallrahmen neben einander angeordnete geöffnete Tore. Dies wiederum kann als Wunsch gelesen werden, dass sich hier bald die Mauer und damit der Gleimtunnel für die Menschen öffnen werde.
Künstlerische Bedeutung
Die Arbeit der Carlinis steht exemplarisch für die Kunstauffassung der Zeit. Sie bildet eine Symbiose aus Op-Art und künstlerischen Arbeiten, die sich kritisch mit der Umweltzerstörung auseinandersetzt.
Die Carlinis schreiben, dass das Erscheinungsbild ihrer Skulpturen je nach Standort des Betrachters variieren würde, was für Werke der Op-Art typisch ist. Die Elemente würden zunächst transparent und leicht erscheinen, sie würden sich jedoch für das Auge des Betrachters beim Standortwechsel wieder schließen. Denn indem der Betrachter vor der Silhouette und dem Rost steht erkennt er nur die Stäbe dieses Rostes. Erst bei einem Standortwechsel und der Blickrichtung von ca. 45 Grad zum Objekt, lassen sich die vertikalen Verstrebungen als Flächen und die Schattenrisse als Begrenzung erkennen.
Motiv Natur /Grün
Alessandro Carlini galt damals als Kritiker des modernen Städtebaus. Er leitete im Deutschen Werkbund eine Arbeitsgruppe die sich mit Fehlentwicklungen, Konflikte und Zerstörungen dem Erhalt von vier Berliner Wohngebieten befasste. Carlini setzte unter anderem auf die Natur als Lösungsansatz zur Verbesserung von Architektur und Städtebau. In der Ausstellung „Berlin-Los Angeles- working together in culture, signs and industry“ die im November/Dezember 1980 gezeigt wurde, finden sich Architekturskizzen von ihm. Diese Skizzen zeigen Wohngebäude, deren Fassade zu einem kleinen Teil aus Backsteinen, zu einem größeren Teil aus Gitterwerk und Rankepflanzen besteht. Hier findet sich das Motiv des Gitterwerkes mit Rankepflanzen – allerdings noch mit Architektur verbunden – das die Carlini als skulpturalen Schmuck im Jahre 1983 für die gartenkünstlerische Anlage auf der Gleimstraße verwenden.
An anderer Stelle sind zu Anfang der 1980er Jahre Werke der Carlini in West-Berlin aufgestellt worden. Hierbei handelt es sich um aus Gitterrosten bestehende Silhouette zum Teil männlicher Figuren die mit Rankepflanzen bewachsen sind. Diese Figurengruppen werden von dem Künstlerehepaar (wie auch die Figuren auf der Mittelinsel), als „grüne Menschen“ bezeichnet. Grün steht für die Carlinis für die Natur, in der sie eine Antwort auf die negativen Entwicklungen u.a. des modernen Städtebaus sehen
Dem Jahr 1983 kommt in der Bundesrepublik im Hinblick auf die Entwicklung eines gewachsenen Umweltbewusstseins und einem sinnvollen Umgang mit Ressourcen die Bedeutung eines Wendepunktes zu. Die aus Bürgerinitiativen und der Umweltbewegung entstandene neue Partei, die Partie der „Grünen“ war in diesem Jahr erstmalig im Deutschen Bundestag vertreten. In Berlin hingegen zog die Alternative Liste (gegründet 1978) bereits im Jahre 1979 in verschiedenen Bezirksverordnetenversammlungen und ab 1981 im Berliner Abgeordnetenhaus ein.
Bewertung der Gesamtanlage
Der Landschaftsarchitekt Bernd Vogel nutzt für die Einfassung der Beete und als Stützelemente der Bänke standardisierte, gekehlte Betonpalisaden, wie sie in der damaligen Zeit vielfach verwandt wurden. Sie stehen symbolisch für den Einsatz von vorgefertigten Betonsegmenten wie sie sich beim Wohnungsbau in Ost- und West-Berlin, als auch beim Bau Berliner Mauer, der „Grenzmauer 75“, finden. Damit stehen sie für jene industrialisierte Architektur und einen uniformen Städtebau, den der Künstler Carlini überwinden möchte.
Das Anordnen der Werke der Carlinis auf Beeten, die mit Betonpalisaden gehalten werden, erschient zunächst als Widerspruch. Dieser Widerspruch kann als Ausdruck eines zu der Zeit spürbaren Wendepunktes gelesen werden. Darin liegt einer der historischen Werte der Gesamtanlage. Er zeigt damit deutlich den Wechsel von einer bis dahin an technischem Fortschritt und Zukunftsglauben geprägten Auffassung (Verwendung der Palisaden) hin zu einer neuen an Ressourcen und Umweltschutz orientierten Grundhaltung der Menschen in der Bundesrepublik der 1980er-Jahre sowie einem Umdenken in der Architektur und der Stadtplanung (Werke der Carlinis).
Bilder und Grafiken als PDF
Autor: Eberhard Elfert
Der Gleim-Oase ist eine Ausstellung gewidmet, die am 4. März im Rathaus Mitte eröffnet wird und bis zum 24. März zu sehen ist.
[…] Elfert im Weddingweiser mit dem Bauwerk und dessen Geschichte auseinandersetzt. In dem Text „Die Gleim-Oase als zeitgeschichtliches Kunstwerk“ erläutert er, wie an dem Weddinger „Bauwerk“ aus den 1980ern das veränderte Verhältnis […]