Wie ein Dornröschenschloss kommt die ehemalige Gebrüder-Grimm-Schule an der Gotenburger Straße daher. Seit sie Mitte September zu einem Refugium für Flüchtlinge umgebaut wurde, lebt das zuvor leer stehende Gebäude wieder auf. Viele der Familien waren gezwungen, die Heimat zu verlassen und mussten aus Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien oder Pakistan fliehen. Nach traumatischen Monaten wissen sie sich nun in Sicherheit. Mit Sach- und Kleiderspenden benachbarter Schulen und Kindergärten wurden sie von den Anwohnern empfangen. Ein Unterstützerkreis ist dabei, sich zu formieren.
Alltag in der Notunterkunft – mit Hindernissen
So richtig will es aber mit der Wärme in den umgebauten Klassenzimmern noch nicht klappen. Die Heizung gluckert und rumpelt vor sich hin. Eine siebenköpfige Roma-Familie aus Serbien steht vor dem großen Bett, über das noch rasch eine rote Decke geworfen wird. In den Armen eines zirka 40-Jährigen liegt ein Neugeborenes. Obwohl der stolze Großvater in seiner Heimat diskriminiert wird, weil er als Roma von der medizinischen Versorgung und dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, werden er und seine Familie nach dem Wintermoratorium wahrscheinlich abgeschoben: Vor kurzem hat der Bundesrat die Balkanstaaten als sichere Herkunftsländer eingestuft.
Für die Angestellten der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die die Notunterkunft in der Gotenburger Straße betreibt, ist die Ungewissheit über den Aufenthaltstatus der Bewohner eine permanente Qual. Sie regeln das Zusammenleben und den Alltag der Bewohner, fangen Sorgen und Ängste auf. Dabei haben Sprachenkenntnisse oberste Priorität. Der Hausmeister ist Tunesier, die Sozialarbeiterin kommt aus dem ehemaligen Jugoslawien, die Reinigungskraft aus dem Senegal. Zwei weitere Mitarbeiter sprechen Russisch und Arabisch.
Nachbarschaftsmodelle sind gefragt
Die Stimmung am ersten Schultag nach den Ferien ist gespannt. Trotz Schuluntersuchung wurde den Kindern noch kein Schulplatz zugeteilt. Dabei liegt die Wilhelm-Hauff-Grundschule genau gegenüber. Obwohl einige der Flüchtlinge Lehrer und Professoren sind, dürfen sie die Kinder nicht unterrichten. Nachbarschaftsmodelle, in denen Anwohner Patenschaften bilden und Deutschunterricht geben, wären hier von großem Vorteil. Bis dahin muss es anders gehen: Zwei Jungen aus Turkmenistan streiten sich um eine ausgerissene Buchseite. Mit verständnisvollen Gesten erklärt eine Sozialarbeiterin auf Deutsch, dass sie teilen sollen.
Dieser Text wurde uns vom Kiezmagazin Soldiner zur Verfügung gestellt.Einige Tage später in der Nachbarschaftsetage in der Osloer Straße: Mit Materialspenden umliegender Kitas haben Anwohner und Dorothee Fischer vom Familienzentrum ein Laternenbasteln mit den Flüchtlingskindern organisiert. Juliane und ihr Kollege Samuel knicken, schneiden, kleben. Auch Kiezmütter sind dem spontanen Aufruf nachgekommen. Sofort wenden sie sich den Kindern und Eltern zu und in Kürze zeigt sich eine Stärke des Weddings: Durch Erfahrungen mit Einwanderern und eine große Sprachenvielfalt können Anwohner dort helfen, wo staatliche Organe oft versagen.
Dieser Text wurde uns vom Kiezmagazin Soldiner zur Verfügung gestellt, in dessen neuester Ausgabe er veröffentlicht wurde. Die Autorin Lena Reich ist Journalistin und setzt sich als Anwohnerin im Quartiersrat im Soldiner Kiez für ein nachbarschaftliches Miteinander mit Flüchtlingen ein. Die Fotos wurden vom Soldiner Kiez Kurier gemacht.
Helfen Sie mit!
Über winterfeste Kleider- und Sachspenden freuen sich die Bewohner der Unterkunft. Diese können in der AWO Kleiderwerkstatt, Prinzenallee 74 abgeben werden. Informationen über den Unterstützerkreis gibt es ab sofort auf der Internetseite www.wedding-hilft.de.
[…] Wedding hilft! Das ist auch deshalb ein toller Name, weil er so viel Verständnis, so viel Mitgefühl transportiert. Und weil genau damit jene Tugenden des sogenannten christlich-jüdischen Abendlandes transportiert werden, die in Dresden und anderswo zwar beschrieen, aber in Wirklichkeit mit Füßen getreten werden. Das Allerschönste an diesem Namen aber ist: Die Helfer aus dem Wedding selbst repräsentieren die Vielfalt unserer Welt. Und ihnen ist egal, ob sie dem Morgen- oder Abendland entstammen. […]