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Die Flüchtlinge sind im Soldiner Kiez willkommen

17. Dezember 2014
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Der Unterstützerkreis „Wedding hilft“ traf sich erstmals in der NachbarschaftsEtage in der Osloer Straße. Ruth Ditschkowski (rechts) hatte dazu eingeladen.
Der Unter­stüt­zer­kreis „Wed­ding hilft“ traf sich erst­mals in der Nach­bar­schafts­Eta­ge in der Oslo­er Stra­ße. Ruth Dit­sch­kow­ski (rechts) hat­te dazu eingeladen.

Wie ein Dorn­rös­chen­schloss kommt die ehe­ma­li­ge Gebrü­der-Grimm-Schu­le an der Goten­bur­ger Stra­ße daher. Seit sie Mit­te Sep­tem­ber zu einem Refu­gi­um für Flücht­lin­ge umge­baut wur­de, lebt das zuvor leer ste­hen­de Gebäu­de wie­der auf. Vie­le der Fami­li­en waren gezwun­gen, die Hei­mat zu ver­las­sen und muss­ten aus Kriegs- und Kri­sen­ge­bie­ten wie Syri­en oder Paki­stan flie­hen. Nach trau­ma­ti­schen Mona­ten wis­sen sie sich nun in Sicher­heit. Mit Sach- und Klei­der­spen­den benach­bar­ter Schu­len und Kin­der­gär­ten wur­den sie von den Anwoh­nern emp­fan­gen. Ein Unter­stüt­zer­kreis ist dabei, sich zu formieren.

All­tag in der Not­un­ter­kunft – mit Hindernissen

So rich­tig will es aber mit der Wär­me in den umge­bau­ten Klas­sen­zim­mern noch nicht klap­pen. Die Hei­zung glu­ckert und rum­pelt vor sich hin. Eine sie­ben­köp­fi­ge Roma-Fami­lie aus Ser­bi­en steht vor dem gro­ßen Bett, über das noch rasch eine rote Decke gewor­fen wird. In den Armen eines zir­ka 40-Jäh­ri­gen liegt ein Neu­ge­bo­re­nes. Obwohl der stol­ze Groß­va­ter in sei­ner Hei­mat dis­kri­mi­niert wird, weil er als Roma von der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung und dem Arbeits­markt aus­ge­schlos­sen ist, wer­den er und sei­ne Fami­lie nach dem Win­ter­mo­ra­to­ri­um wahr­schein­lich abge­scho­ben: Vor kur­zem hat der Bun­des­rat die Bal­kan­staa­ten als siche­re Her­kunfts­län­der eingestuft.

Erstes Treffen von “Wedding hilft”.
Ers­tes Tref­fen von “Wed­ding hilft”.

Für die Ange­stell­ten der Arbei­ter­wohl­fahrt (AWO), die die Not­un­ter­kunft in der Goten­bur­ger Stra­ße betreibt, ist die Unge­wiss­heit über den Auf­ent­halt­sta­tus der Bewoh­ner eine per­ma­nen­te Qual. Sie regeln das Zusam­men­le­ben und den All­tag der Bewoh­ner, fan­gen Sor­gen und Ängs­te auf. Dabei haben Spra­chen­kennt­nis­se obers­te Prio­ri­tät. Der Haus­meis­ter ist Tune­si­er, die Sozi­al­ar­bei­te­rin kommt aus dem ehe­ma­li­gen Jugo­sla­wi­en, die Rei­ni­gungs­kraft aus dem Sene­gal. Zwei wei­te­re Mit­ar­bei­ter spre­chen Rus­sisch und Arabisch.

Nach­bar­schafts­mo­del­le sind gefragt

Die Stim­mung am ers­ten Schul­tag nach den Feri­en ist gespannt. Trotz Schul­un­ter­su­chung wur­de den Kin­dern noch kein Schul­platz zuge­teilt. Dabei liegt die Wil­helm-Hauff-Grund­schu­le genau gegen­über. Obwohl eini­ge der Flücht­lin­ge Leh­rer und Pro­fes­so­ren sind, dür­fen sie die Kin­der nicht unter­rich­ten. Nach­bar­schafts­mo­del­le, in denen Anwoh­ner Paten­schaf­ten bil­den und Deutsch­un­ter­richt geben, wären hier von gro­ßem Vor­teil. Bis dahin muss es anders gehen: Zwei Jun­gen aus Turk­me­ni­stan strei­ten sich um eine aus­ge­ris­se­ne Buch­sei­te. Mit ver­ständ­nis­vol­len Ges­ten erklärt eine Sozi­al­ar­bei­te­rin auf Deutsch, dass sie tei­len sollen.

Die­ser Text wur­de uns vom Kiez­ma­ga­zin Sol­di­ner zur Ver­fü­gung gestellt.

Eini­ge Tage spä­ter in der Nach­bar­schafts­eta­ge in der Oslo­er Stra­ße: Mit Mate­ri­al­spen­den umlie­gen­der Kitas haben Anwoh­ner und Doro­thee Fischer vom Fami­li­en­zen­trum ein Later­nen­bas­teln mit den Flücht­lings­kin­dern orga­ni­siert. Julia­ne und ihr Kol­le­ge Samu­el kni­cken, schnei­den, kle­ben. Auch Kiez­müt­ter sind dem spon­ta­nen Auf­ruf nach­ge­kom­men. Sofort wen­den sie sich den Kin­dern und Eltern zu und in Kür­ze zeigt sich eine Stär­ke des Wed­dings: Durch Erfah­run­gen mit Ein­wan­de­rern und eine gro­ße Spra­chen­viel­falt kön­nen Anwoh­ner dort hel­fen, wo staat­li­che Orga­ne oft versagen.

Die­ser Text wur­de uns vom Kiez­ma­ga­zin Sol­di­ner zur Ver­fü­gung gestellt, in des­sen neu­es­ter Aus­ga­be er ver­öf­fent­licht wur­de. Die Autorin Lena Reich ist Jour­na­lis­tin und setzt sich als Anwoh­ne­rin im Quar­tiers­rat im Sol­di­ner Kiez für ein nach­bar­schaft­li­ches Mit­ein­an­der mit Flücht­lin­gen ein. Die Fotos wur­den vom Sol­di­ner Kiez Kurier gemacht.

Hel­fen Sie mit!
Über win­ter­fes­te Klei­der- und Sach­spen­den freu­en sich die Bewoh­ner der Unter­kunft. Die­se kön­nen in der AWO Klei­der­werk­statt, Prin­zen­al­lee 74 abge­ben wer­den. Infor­ma­tio­nen über den Unter­stüt­zer­kreis gibt es ab sofort auf der Inter­net­sei­te www.wedding-hilft.de.

Gastautor

Als offene Plattform veröffentlichen wir gerne auch Texte, die Gastautorinnen und -autoren für uns verfasst haben.

1 Comment Leave a Reply

  1. […] Wed­ding hilft! Das ist auch des­halb ein tol­ler Name, weil er so viel Ver­ständ­nis, so viel Mit­ge­fühl trans­por­tiert. Und weil genau damit jene Tugen­den des soge­nann­ten christ­lich-jüdi­schen Abend­lan­des trans­por­tiert wer­den, die in Dres­den und anders­wo zwar beschrie­en, aber in Wirk­lich­keit mit Füßen getre­ten wer­den. Das Aller­schöns­te an die­sem Namen aber ist: Die Hel­fer aus dem Wed­ding selbst reprä­sen­tie­ren die Viel­falt unse­rer Welt. Und ihnen ist egal, ob sie dem Mor­gen- oder Abend­land entstammen. […]

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