Viele Verlage gibt es in unserer Stadt, aber keiner ist so wie der Verlag Walter Frey auf Publikationen über den Wedding spezialisiert. Den Verlag mit dem ursprünglichen Schwerpunkt Spanien und Portugal gibt es seit 1986; in ihm erschien auch die Zeitschrift Tranvía – Revue der Iberischen Halbinsel. Seit 2017 gibt es die Buchreihe „Wedding-Bücher“. Unsere Autorin Renate Straetling führte ein Gespräch mit Walter Frey, dem Gründer und Inhaber des Verlags.
Herr Frey, wie kam es zur Gründung des Verlags und diesem Schwerpunkt?
Walter Frey: Die edition tranvía und auch die Zeitschrift waren meine Idee. Zu der Gründung zusammen mit einem Studienfreund kam es, weil ich schon zuvor in zwei kleinen Verlagen gearbeitet hatte und auch in Setzereien und Druckereien, zum Beispiel bei der damaligen links-alternativen Druckerei „Oktoberdruck“ in Kreuzberg. Damit hatte ich einen gewissen Einblick in diese Branchen. Außerdem habe ich später, ab Mitte der 1980er Jahre, parallel zur Anfangsphase meiner Verlagstätigkeit einige Jahre in der Anzeigenabteilung der taz gearbeitet.
Was war die Initialzündung für dieses Vorhaben?
Walter Frey: Während meines Studiums war ich für zwei Semester in Barcelona, was für die Spezialisierung auf Spanien und Portugal ausschlaggebend war. Dort stieß ich an einem Büchertisch auf den Ramblas, dem berühmten Flanierboulevard, auf ein Buch über die Anfangsphase des Spanischen Bürgerkriegs 1936. Der Autor war der jüdische Berliner Journalist Hanns-Erich Kaminski, der 1933 nach Frankreich emigrieren musste. Das Buch war 1937 in Paris auf Französisch erschienen, und wir haben es erstmals ins Deutsche übersetzt. Das war die allererste Buchveröffentlichung der edition tranvía, im Frühjahr 1986.
Wie hängen die Wedding-Bücher und die edition tranvia zusammen? Sind es eigenständige Verlage?
Walter Frey: Nein, es ist ein Verlag – der “Verlag Walter Frey” – mit zwei Bereichen, die jeweils unter einem eigenen “Label” firmieren. Der Zusammenhang stellt sich über mich her.
Wie viele Publikationen gibt es bisher insgesamt?
Walter Frey: Bisher sind in meinem Verlag insgesamt gut 230 Bücher erschienen sowie in den Jahren 1986 bis 2003 70 Ausgaben der Vierteljahreszeitschrift Tranvía.
Wie gewinnen Sie die Autor:innen?
Walter Frey: Autor:innen kommen entweder von sich aus auf mich zu oder ich spreche welche an, wenn ich glaube, dass der eine oder die andere ein Buchprojekt, das mir interessant und wichtig erscheint, realisieren könnte.
Wie legen Sie das thematische und wie das politische Spektrum fest?
Walter Frey: Die Bücher in der edition tranvía gehören zu verschiedenen Genres, von Belletristik über Sachbuch bis Wissenschaft. Mit den Belletristik-Titeln – allesamt Übersetzungen aus dem Portugiesischen und Spanischen – habe ich jedoch nicht weitergemacht, es war zu aufwendig. In den letzten Jahren hat sich der Schwerpunkt der edition tranvía auf wissenschaftliche Veröffentlichungen verlagert, das heißt hauptsächlich Kultur- und Literaturwissenschaft sowie Sozialwissenschaften.
Mein Verlagsprogramm hat – alles in allem betrachtet – eine progressiv-linke Ausrichtung, ohne Dogmatismus und ohne dass dies auf jede einzelne Buchveröffentlichung zuträfe.
Warum verlegen Sie politische Bücher zum Wedding?
Walter Frey: Ich war von 2011 bis 2018 Mitglied der Stadtteilvertretung Müllerstraße und auch eine Zeitlang deren Sprecher. In dieser Zeit habe ich mich unter anderem für eine angemessene Würdigung der beiden Weddinger Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime Elise und Otto Hampel engagiert und mich dabei auch eingehender mit der Weddinger Zeitgeschichte befasst. Daraus ergab sich schließlich die Idee, die Buchreihe „Wedding-Bücher“ herauszugeben.
Allerdings gehörten zeitgeschichtliche Themen bereits während meines Studiums der Politikwissenschaft an der FU Berlin zu meinen Interessenschwerpunkten. Und so war es auch kein Zufall, dass das erste Buch, das 1986 in der edition tranvía erschien, die bereits erwähnte Reportage aus dem Spanischen Bürgerkrieg von Hanns-Erich Kaminski war.
Herr Frey, welchen Weddingbezug haben Sie selbst?
Walter Frey: 1970, nach meiner Berufsausbildung zum Industriekaufmann, bin ich als junger Arbeitnehmer nach Berlin gekommen und zufällig im Wedding gelandet. Ich wohnte in der Nähe des Louise-Schröder-Platzes. Damals war ich auch für kurze Zeit Mitglied der SPD und etwas später in einer trotzkistischen Organisation engagiert. Nach ein paar Jahren im Wedding absolvierte ich „eine Runde“ durch Westberlin: Kreuzberg, Schöneberg, Wilmersdorf.
Als ich Anfang der 1980er Jahre in Schöneberg lebte, war ich fast drei Jahre lang Hausbesetzer in der Bülowstraße. Durch die Besetzung konnte unsere etwa 50-köpfige Besetzer:innengruppe den Abriss des Gebäudes verhindern. Heute leben in dem Haus um die 60 Bewohner:innen in einem selbstverwalteten Hausprojekt. Seit gut zwölf Jahren lebe ich nun wieder im Wedding.
Welche Themenwünsche haben Sie, die noch offen geblieben sind?
Walter Frey: Ich denke, eine zusammenhängende Darstellung der Geschichte der Zuwanderung von Arbeitsmigrant:innen in den Wedding wäre ein interessantes und wichtiges Projekt. Ansonsten: In der Reihe „Wedding-Bücher“ erscheint noch dieses Jahr eine Neuauflage der Georg-Benjamin-Biografie von Bernd-Peter Lange. Und im kommenden Frühjahr dann mit Band 10 das nächste Wedding-Buch, das bereits in Arbeit ist. Auch dabei geht es wieder um die Zeitgeschichte – mehr möchte ich noch nicht verraten. Und bei dieser Schwerpunktsetzung auf die Zeitgeschichte möchte ich, was die „Wedding-Bücher“ angeht, auch vorerst bleiben.
Herr Frey, darf man fragen, wie Sie in den kommenden Jahren mit dem Verlag weiterverfahren möchten? Haben Sie Übergabepläne?
Walter Frey: Ich will diese Tätigkeit ausüben, so lange mir das möglich ist. Es gibt ja keine vorgeschriebene Altersgrenze hierfür. Außerdem ist diese Tätigkeit ausgesprochen interessant und abwechslungsreich. Natürlich tritt man auch ein bisschen kürzer: vor 12, 15 Jahren habe ich noch zirka zehn Bücher pro Jahr verlegt, inzwischen ist es etwa die Hälfte.
Links zum Weiterlesen
- Link zu der Wedding-Buchreihe des Verlags Walter Frey: www.wedding-buecher.de
- Link zum Wikipedia-Eintrag über Hanns-Erich Kaminski: https://de.wikipedia.org/wiki/Hanns-Erich_Kaminski
- Link zur Verlagsseite mit Büchern zu Spanien, Portugal, Lateinamerika & Frankreich: https://www.tranvia.de/
- Link zum Wikipedia-Eintrag über Otto Hampel: https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Hermann_Hampel
- Beim Weddingweiser sind zahlreiche Bücher aus der Weddingreihe besprochen worden. Sie sind über diesen Suchlink zu finden.
Gespräch, Text und Fotos: Renate Straetling
Sehr geehrter, lieber Walter Frey
ich wünsche Ihnen weiterhin BESTES, also auch das Nicht-aufhören-wollen.
Mittlerweile bin ich selbst Altersrentner und finde die stattfindende Aufarbeitung bzw. Herausstellung kiezspezifischer Geschichte äußerst bereichernd, dockt an Synapsen an. Zeitzeugen-Berichte/Biografisches (auch Feuilleton-Sammlung, themen‑, ortsbezogen) macht sie interessant, identifizierbar; denn nichts ist aus dem Nichts entstanden in unserer Lebensumgebung.
„Geschichte der Zuwanderung von Arbeitsmigranten in den Wedding“ gehört unbedingt dazu. Weil als Kollege neben uns dies ebenso zum Arbeitsalltag, zu unserer Arbeitskultur gehörte. Hier vermisse ich unbedingt (Alters-)Reflexionen Arbeitsmigrierter! Leider trifft man in Begegnungsstätten nicht aufeinander, schade. Als gäbe es nur deutsche Senioren.
https://domid.org/ebook-das-gedaechtnis-der-migrationsgesellschaft/