Susanne Terhardt widmet sich schon etliche Jahre der Nachhaltigkeit in unserem Stadtteil. Ein Gespräch mit der Aktiven der Initiative “Tag des guten Lebens” (TdgL) im Brüsseler Kiez und von der Stadtteilvertretung mensch.müller.
Susanne, seit wann wohnst du im Wedding und mit wem bist du zusammen in Sachen Nachhaltigkeit unterwegs?
Susanne Terhardt: Ich bin Weddingerin, gerade nach dem Mauerbau im Wedding geboren, mit meinen Eltern lebte ich direkt an der Mauer in der Bernauer Straße. Zwischenzeitlich lebte ich auch einmal in Kreuzberg und Moabit kehrte aber in den Wedding zurück.
Die Initiative “Tag des guten Lebens” hat mich in meinem politischen Bewusstsein aktiviert. Seither bin ich in mehreren Gebieten aktiv: den Psychologists for Future (Klima), der Stadtteilvertretung mensch.müller (Demokratie), der FoodCoop Wedding West und nun seit einem Jahr auch im Behindertenbeirat des Bezirksamts Mitte von Berlin (Gerechtigkeit und Menschenrechte). Die für mich verbindende Überschrift über allem ist die sozial-ökologische Transformation, die der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung (WBGU) seit 20 Jahren fordert.
Wann erstmals hast du Unbehagen wegen der überzogenen Lebensweise der Menschen gespürt? Was hat dich motiviert an diesen Fragen dranzubleiben?
Susanne Terhardt: Sehr früh in meiner Kindheit durch die Nähe zur Mauer in Mitte-West und dem Westberlin, in dem ich aufwuchs, was ich als Provinznest echte liebte, kam mir das erste Unbehagen mit elf Jahren schon. Und die allgemeine Unachtsamkeit der Menschen machte mich aufmerksam. Durch die Aufenthalte in der Idylle des Gartens meiner Eltern trat die Natur im Gegensatz zu den Demos der 1968er und was ich als Kind in der Stadt miterlebte immer mehr in mein Leben und blieb latent politisch in mir. Ein regelrechter Schock war für mich eine Rückkehr aus den Ferien in schwedischen Wäldern und das Heimfahren über die betonierte Avus.
Und überhaupt ging mir das zerstörerische Verhalten der Menschheit schon immer sehr nahe. Aber ich wusste nicht was ich tun könnte, außer individuelle Maßnahmen dagegen zu setzen. So trat ich in den 1980er Jahren Greenpeace bei und schaffte mein Auto bereits nach kurzer Zeit wieder ab, nutzte beispielsweise nie Weichspüler, trat gegen AKWs ein und versuchte immer der Erde nicht noch mehr Schaden zuzufügen. Ich machte mir damit nicht immer nur Freunde oder erhielt Verständnis. Damals in meinem Leben war ich sonst eher nicht politisch aktiv. Aber die Verkettung von Beobachtungen hielt für mich an.
Hat dein Engagement mit deiner Berufsausbildung zu tun? Falls ja, welcher und wie?
Susanne Terhardt: Ich bin Psychologin geworden, was mir im Studium den Blick nochmals weitete und sehe einen großen Schwerpunkt bei den Beziehungen der Menschen untereinander. Die Kultur der Beziehungen sollte verändert werden, im Sinn von erweitert und untereinander zugewandter sein. Vor allem dem Ausbeuterischen der Menschen untereinander sollte entgegengewirkt werden. Aus seiner Rolle im eigenen Sein kann jeder ansetzen, hierzu konstruktiver zu sein. Im Zusammenhang mit der Behindertenbewegung wurde all dies aufgebrochen und ich erkannte, wie grundlegend die Menschenrechte sind.
Wie kamst du zum Tag des guten Lebens im Brüsseler Kiez? Was hat dich daran so inspiriert? Was haben dir die Anregungen von Davide Brocchi gebracht?
Susanne Terhardt: Durch den von Davide Brocchi aus Köln nach Berlin eingeführten Tag des guten Lebens hatte ich endlich die konkrete Gelegenheit, meine Themen gesamt aufzugreifen. Davide Brocchi kam Ende 2017 mit einem Vortrag in die Schillerbibliothek, und so inspiriert packte ich endlich am Schopf, was in mir schlummerte, und ich fand Mitstreiter*innen im Wohngebiet. Es gab dann Beziehungskultur live, um meine Idee vom nachhaltigen Umgang miteinander anzugehen.
Ich war von Anfang 2018 an in der Initiative des TdgL dabei und wir hatten bereits bald 50 Initiativen als Unterstützer. Wir veranstalteten 2018⁄19 insgesamt sieben Nachbarschaftstreffen in anliegenden Institutionen, wie der BHT, dem Atze Musiktheater, der Ernst-Schering-Schule, der Kapernaum Gemeinde, dem Zeppelinplatz, im Himmelbeet. Aktivitäten wie ein Straßenfest im gesamten Kiez, der dafür komplett abgesperrt werden sollte, war geplant – und dann kamen ab März 2020 die Lockdowns und die vielen behördlichen Auflagen.
Es gab dann auch den Brüki-Plausch (BrüKi steht für Brüsseler Kiez, also das Belgische Viertel im Wedding) nur noch online und absolut schwierig und aufwändig vorzubereitende Treffen auf der gesperrten, von Autos befreiten Antwerpener Straße, die eine schattige Lindenallee ist.
Was mir schon in den 1990er einleuchtete war das UN-Motto von 1992, nämlich „think globally, act locally“. Es gab weiterhin auch die Vorträge zu lokaler Nachhaltigkeit, die Viktor und ich dann als Online Talks ins Internet brachten. Was bietet ihr nun für nachhaltiges Verhalten an?
Susanne Terhardt: Mittlerweile bieten wir durch eine weiterhin aktive Gruppe Angebote wie Pflanzaktionen, den TauSchenkmarkt mit freiem Tausch an: man bringt gute Sachen zu den Thementischen mit, die man abgeben möchte und nimmt sich im Gegenzug mit, was man gern haben möchte. Ebenso einmal monatlich den Brüki-Plausch im Old Style am Leo und neben anderen Angeboten den Kiezputz. Vor allem geht es uns um den drohenden Klimawandel und darum, die Hitzewellen und die Extremwetterereignisse und Schäden an Bäumen in Stadt und Land durch das Gießen abzuwenden.
Die Bäume sind mir persönlich ein großes Anliegen, denn es macht mich traurig, zu sehen, wie die Natur leidet, vertrocknet und schließlich sterben wird. Das ist absehbar, wenn die Menschheit so weitermacht wie bisher.
Susanne, was wünschst du dir noch als lokale Aufgaben im Kiez?
Susanne Terhardt: Weitere gute Projekte sind Balkon-Kraftwerke, zu denen man beraten sollte, Brunnen an den Plätzen und die Essbare Stadt mit Früchten für alle. Auf jeden Fall sollte es einen ausgearbeiteten Hitzeplan für unsere Stadtbäume geben. Eine Anleitung für Aktionen im Falle großer Hitzewellen, die mittlerweile sichtbar zu Schäden führen, die unsere Stadtnatur aufs Spiel stellen.
Hast du eigene Schwerpunkte und Beteiligungen in Vereinen, in denen du deine Interessen wahrgenommen siehst?
Susanne Terhardt: Ich lege meinen Augenmerk auf die sozial-ökologische Transformation. Wichtig ist mir, die Beziehungskultur anzuregen. Also die soziale Seite der nachbarschaftlichen Zusammenhänge anzuregen und zu entwickeln.
Habt ihr ein neues Konzept für die Nachbarschaftsangebote begründet? Was sind eure Angebote an die Nachbarn in diesem Jahr 2023?
Susanne Terhardt: Wir sind nun eine etwas kleinere, aber beständige Gruppe von Nachbarn, die sich regelmäßig treffen, um Aktionen zu organisieren. In diesem Sommer hatten wir unter anderem schon einen Vortrag zur Balkonbepflanzung, im Mai gab ein großes Picknick mit Mondschau in Rehberge, Mitte Juni gab es einen weiteren TauSchenkmarkt und am 16. September gibt es eine Straße der Nachbarschaft.
Unsere Konzepte entwickeln sich lebendig mit unseren Erfahrungen und Ideen stetig weiter, das macht viel Freude. Jeder der teilnimmt, kann eigene Ideen einbringen. Wir suchen noch Menschen, die Lust haben Teil der Nachbarschaft zu sein und mit uns Aktionen zu planen und durchzuführen.
Susanne, du bist nun Anfang 60. Was wünschst du dir jetzt vom Leben in unseren Stadtteilen?
Susanne Terhardt: Es ist mit wichtig, vernetzt zu sein. Der gesamte Stadt sollte grüner werden und man sollte sich auch in der Wohnumgebung und auf den Straßen kennenlernen können. Auch mehr Gemeinsamkeiten in interkultureller Hinsicht ist uns ein Wunsch. Am meisten schmerzt mich, wie nachlässig und schäbig wir mit den Stadtbäumen umgehen, manchmal rührt es mich sogar zu Tränen.
Gespräch und Text © Renate Straetling, Fotos: Susanne Terhardt
Links und Hinweise
- Der BrüKi-Plausch findet immer öffentlich am zweiten Freitag im Monat um 19 Uhr im Simit Evi/ Old Style, Müllerstraße 147 statt.
- Facebook-Seite der Initiative Tag des guten Lebens im Brüsseler Kiez: https://www.facebook.com/bruesselerkiez/
- Link zu den Psychologists for Future: http://www.psychologistsforfuture.org