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Susanne Terhardt engagiert sich für Nachhaltigkeit:
“Die Bäume tun mir leid!”

11. Juli 2023

Susan­ne Ter­hardt wid­met sich schon etli­che Jah­re der Nach­hal­tig­keit in unse­rem Stadt­teil. Ein Gespräch mit der Akti­ven der Initia­ti­ve “Tag des guten Lebens” (TdgL) im Brüs­se­ler Kiez und von der Stadt­teil­ver­tre­tung mensch.müller.

Susan­ne, seit wann wohnst du im Wed­ding und mit wem bist du zusam­men in Sachen Nach­hal­tig­keit unter­wegs?
Susan­ne Ter­hardt: Ich bin Wed­din­ge­rin, gera­de nach dem Mau­er­bau im Wed­ding gebo­ren, mit mei­nen Eltern leb­te ich direkt an der Mau­er in der Ber­nau­er Stra­ße. Zwi­schen­zeit­lich leb­te ich auch ein­mal in Kreuz­berg und Moa­bit kehr­te aber in den Wed­ding zurück.

Die Initia­ti­ve “Tag des guten Lebens” hat mich in mei­nem poli­ti­schen Bewusst­sein akti­viert. Seit­her bin ich in meh­re­ren Gebie­ten aktiv: den Psy­cho­lo­gists for Future (Kli­ma), der Stadt­teil­ver­tre­tung mensch.müller (Demo­kra­tie), der Food­Coop Wed­ding West und nun seit einem Jahr auch im Behin­der­ten­bei­rat des Bezirks­amts Mit­te von Ber­lin (Gerech­tig­keit und Men­schen­rech­te). Die für mich ver­bin­den­de Über­schrift über allem ist die sozi­al-öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on, die der Wis­sen­schaft­li­che Bei­rat der Bun­des­re­gie­rung (WBGU) seit 20 Jah­ren fordert.

Wann erst­mals hast du Unbe­ha­gen wegen der über­zo­ge­nen Lebens­wei­se der Men­schen gespürt? Was hat dich moti­viert an die­sen Fra­gen dran­zu­blei­ben?
Susan­ne Ter­hardt: Sehr früh in mei­ner Kind­heit durch die Nähe zur Mau­er in Mit­te-West und dem West­ber­lin, in dem ich auf­wuchs, was ich als Pro­vinz­nest ech­te lieb­te, kam mir das ers­te Unbe­ha­gen mit elf Jah­ren schon. Und die all­ge­mei­ne Unacht­sam­keit der Men­schen mach­te mich auf­merk­sam. Durch die Auf­ent­hal­te in der Idyl­le des Gar­tens mei­ner Eltern trat die Natur im Gegen­satz zu den Demos der 1968er und was ich als Kind in der Stadt mit­er­leb­te immer mehr in mein Leben und blieb latent poli­tisch in mir. Ein regel­rech­ter Schock war für mich eine Rück­kehr aus den Feri­en in schwe­di­schen Wäl­dern und das Heim­fah­ren über die beto­nier­te Avus.

Und über­haupt ging mir das zer­stö­re­ri­sche Ver­hal­ten der Mensch­heit schon immer sehr nahe. Aber ich wuss­te nicht was ich tun könn­te, außer indi­vi­du­el­le Maß­nah­men dage­gen zu set­zen. So trat ich in den 1980er Jah­ren Green­peace bei und schaff­te mein Auto bereits nach kur­zer Zeit wie­der ab, nutz­te bei­spiels­wei­se nie Weich­spü­ler, trat gegen AKWs ein und ver­such­te immer der Erde nicht noch mehr Scha­den zuzu­fü­gen. Ich mach­te mir damit nicht immer nur Freun­de oder erhielt Ver­ständ­nis. Damals in mei­nem Leben war ich sonst eher nicht poli­tisch aktiv. Aber die Ver­ket­tung von Beob­ach­tun­gen hielt für mich an.

Hat dein Enga­ge­ment mit dei­ner Berufs­aus­bil­dung zu tun? Falls ja, wel­cher und wie?
Susan­ne Ter­hardt: Ich bin Psy­cho­lo­gin gewor­den, was mir im Stu­di­um den Blick noch­mals wei­te­te und sehe einen gro­ßen Schwer­punkt bei den Bezie­hun­gen der Men­schen unter­ein­an­der. Die Kul­tur der Bezie­hun­gen soll­te ver­än­dert wer­den, im Sinn von erwei­tert und unter­ein­an­der zuge­wand­ter sein. Vor allem dem Aus­beu­te­ri­schen der Men­schen unter­ein­an­der soll­te ent­ge­gen­ge­wirkt wer­den. Aus sei­ner Rol­le im eige­nen Sein kann jeder anset­zen, hier­zu kon­struk­ti­ver zu sein. Im Zusam­men­hang mit der Behin­der­ten­be­we­gung wur­de all dies auf­ge­bro­chen und ich erkann­te, wie grund­le­gend die Men­schen­rech­te sind.

Wie kamst du zum Tag des guten Lebens im Brüs­se­ler Kiez? Was hat dich dar­an so inspi­riert? Was haben dir die Anre­gun­gen von Davi­de Broc­chi gebracht?
Susan­ne Ter­hardt: Durch den von Davi­de Broc­chi aus Köln nach Ber­lin ein­ge­führ­ten Tag des guten Lebens hat­te ich end­lich die kon­kre­te Gele­gen­heit, mei­ne The­men gesamt auf­zu­grei­fen. Davi­de Broc­chi kam Ende 2017 mit einem Vor­trag in die Schil­ler­bi­blio­thek, und so inspi­riert pack­te ich end­lich am Schopf, was in mir schlum­mer­te, und ich fand Mitstreiter*innen im Wohn­ge­biet. Es gab dann Bezie­hungs­kul­tur live, um mei­ne Idee vom nach­hal­ti­gen Umgang mit­ein­an­der anzugehen.

Ich war von Anfang 2018 an in der Initia­ti­ve des TdgL dabei und wir hat­ten bereits bald 50 Initia­ti­ven als Unter­stüt­zer. Wir ver­an­stal­te­ten 201819 ins­ge­samt sie­ben Nach­bar­schafts­tref­fen in anlie­gen­den Insti­tu­tio­nen, wie der BHT, dem Atze Musik­thea­ter, der Ernst-Sche­ring-Schu­le, der Kaper­na­um Gemein­de, dem Zep­pe­lin­platz, im Him­mel­beet. Akti­vi­tä­ten wie ein Stra­ßen­fest im gesam­ten Kiez, der dafür kom­plett abge­sperrt wer­den soll­te, war geplant – und dann kamen ab März 2020 die Lock­downs und die vie­len behörd­li­chen Auflagen. 

Es gab dann auch den Brü­ki-Plausch (Brü­Ki steht für Brüs­se­ler Kiez, also das Bel­gi­sche Vier­tel im Wed­ding) nur noch online und abso­lut schwie­rig und auf­wän­dig vor­zu­be­rei­ten­de Tref­fen auf der gesperr­ten, von Autos befrei­ten Ant­wer­pe­ner Stra­ße, die eine schat­ti­ge Lin­den­al­lee ist.

Was mir schon in den 1990er ein­leuch­te­te war das UN-Mot­to von 1992, näm­lich „think glo­bal­ly, act local­ly“. Es gab wei­ter­hin auch die Vor­trä­ge zu loka­ler Nach­hal­tig­keit, die Vik­tor und ich dann als Online Talks ins Inter­net brach­ten. Was bie­tet ihr nun für nach­hal­ti­ges Ver­hal­ten an?
Susan­ne Ter­hardt: Mitt­ler­wei­le bie­ten wir durch eine wei­ter­hin akti­ve Grup­pe Ange­bo­te wie Pflanz­ak­tio­nen, den Tau­Schenk­markt mit frei­em Tausch an: man bringt gute Sachen zu den The­men­ti­schen mit, die man abge­ben möch­te und nimmt sich im Gegen­zug mit, was man gern haben möch­te. Eben­so ein­mal monat­lich den Brü­ki-Plausch im Old Style am Leo und neben ande­ren Ange­bo­ten den Kiez­putz. Vor allem geht es uns um den dro­hen­den Kli­ma­wan­del und dar­um, die Hit­ze­wel­len und die Extrem­wet­ter­er­eig­nis­se und Schä­den an Bäu­men in Stadt und Land durch das Gie­ßen abzuwenden.

Die Bäu­me sind mir per­sön­lich ein gro­ßes Anlie­gen, denn es macht mich trau­rig, zu sehen, wie die Natur lei­det, ver­trock­net und schließ­lich ster­ben wird. Das ist abseh­bar, wenn die Mensch­heit so wei­ter­macht wie bisher.

Susan­ne, was wünschst du dir noch als loka­le Auf­ga­ben im Kiez?
Susan­ne Ter­hardt: Wei­te­re gute Pro­jek­te sind Bal­kon-Kraft­wer­ke, zu denen man bera­ten soll­te, Brun­nen an den Plät­zen und die Ess­ba­re Stadt mit Früch­ten für alle. Auf jeden Fall soll­te es einen aus­ge­ar­bei­te­ten Hit­ze­plan für unse­re Stadt­bäu­me geben. Eine Anlei­tung für Aktio­nen im Fal­le gro­ßer Hit­ze­wel­len, die mitt­ler­wei­le sicht­bar zu Schä­den füh­ren, die unse­re Stadt­na­tur aufs Spiel stellen.

Hast du eige­ne Schwer­punk­te und Betei­li­gun­gen in Ver­ei­nen, in denen du dei­ne Inter­es­sen wahr­ge­nom­men siehst?
Susan­ne Ter­hardt: Ich lege mei­nen Augen­merk auf die sozi­al-öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on. Wich­tig ist mir, die Bezie­hungs­kul­tur anzu­re­gen. Also die sozia­le Sei­te der nach­bar­schaft­li­chen Zusam­men­hän­ge anzu­re­gen und zu entwickeln.

Habt ihr ein neu­es Kon­zept für die Nach­bar­schafts­an­ge­bo­te begrün­det? Was sind eure Ange­bo­te an die Nach­barn in die­sem Jahr 2023?
Susan­ne Ter­hardt: Wir sind nun eine etwas klei­ne­re, aber bestän­di­ge Grup­pe von Nach­barn, die sich regel­mä­ßig tref­fen, um Aktio­nen zu orga­ni­sie­ren. In die­sem Som­mer hat­ten wir unter ande­rem schon einen Vor­trag zur Bal­kon­be­pflan­zung, im Mai gab ein gro­ßes Pick­nick mit Mond­schau in Reh­ber­ge, Mit­te Juni gab es einen wei­te­ren Tau­Schenk­markt und am 16. Sep­tem­ber gibt es eine Stra­ße der Nachbarschaft.

Unse­re Kon­zep­te ent­wi­ckeln sich leben­dig mit unse­ren Erfah­run­gen und Ideen ste­tig wei­ter, das macht viel Freu­de. Jeder der teil­nimmt, kann eige­ne Ideen ein­brin­gen. Wir suchen noch Men­schen, die Lust haben Teil der Nach­bar­schaft zu sein und mit uns Aktio­nen zu pla­nen und durchzuführen.

Susan­ne, du bist nun Anfang 60. Was wünschst du dir jetzt vom Leben in unse­ren Stadt­tei­len?
Susan­ne Ter­hardt: Es ist mit wich­tig, ver­netzt zu sein. Der gesam­te Stadt soll­te grü­ner wer­den und man soll­te sich auch in der Wohn­um­ge­bung und auf den Stra­ßen ken­nen­ler­nen kön­nen. Auch mehr Gemein­sam­kei­ten in inter­kul­tu­rel­ler Hin­sicht ist uns ein Wunsch. Am meis­ten schmerzt mich, wie nach­läs­sig und schä­big wir mit den Stadt­bäu­men umge­hen, manch­mal rührt es mich sogar zu Tränen.

Gespräch und Text © Rena­te Straet­ling, Fotos: Susan­ne Terhardt

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Renate Straetling

Ich lebe seit dem Jahr 2007 in Berlin-Wedding, genauer gesagt im Brüsseler Kiez - und ich bin begeistert davon. Wir haben es freundlich, bunt ohne Überspanntheit.
Jg. 1955, aufgewachsen in Hessen. Seit dem Jahr 1973 zum Studium an der FU Berlin bin ich in dieser damals noch grauen und zerschossenen Stadt. Mittlerweile: Sozialforschung, Projekte. Seit 2011 auch Selfpublisherin bei www.epubli.de mit fast 60 Titeln. Ich verfasse Anthologien, Haiku, Lesegeschichten, Kindersachbücher und neuerdings einen ökologisch orientierten Jugend-SciFi (für Kids 11+) "2236 - ein road trip in einer etwas entfernteren Zukunft" (Verlagshaus Schlosser, 28.11.22).-
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