Eine Familie – zwei Sprachen. Seit mehr als 40 Jahren zeigt der Deutsch-Französische Kindergarten in der Afrikanischen Straße, dass Kinder aus diesen Familien mühelos in beiden Sprachen zu Hause sein können. Aber warum gibt es im multikulturellen Wedding nicht mehr solcher Kitas?
„Wenn zu Hause zwei Sprachen gesprochen werden, ist es für ein Kind schön, wenn es sich nicht für eine entscheiden muss, wenn es in die Kita kommt.“, sagt Caréna Ronceray. Sie ist Leiterin des Deutsch-Französischen Kindergartens, der am Rande des Rehbergeparks liegt und von dem landeseigenen Träger „Kindergärten City“ betrieben wird. 1969 als Betriebskindergarten für die Kinder der Angehörigen und der Mitarbeiter der französischen Streitkräfte in Berlin gegründet, werden hier die Kinder seit 1979 bilingual betreut. Voraussetzung für die Aufnahme ist, dass mindestens bei einem Elternteil Französisch die Muttersprache ist.
Die Kinder kommen aus allen Teilen Berlins und die Eltern aus allen Teilen der französischsprachigen Welt. Das Konzept ist einfach: Jede Erzieherin spricht mit den Kindern nur in einer Sprache – ihrer Muttersprache. Wenn ein Kind eine deutschsprachige Erzieherin mit „Je voudrais une pomme“ nach einem Apfel fragt, bekommt es die Antwort auf Deutsch – und umgekehrt. „Die Kinder finden sich schnell zurecht.“, erklärt Frau Ronceray. „Sie tauchen bei uns in ein Sprachbad ein. Und ohne dass sie es merken, lernen und sprechen sie beide Sprachen.“ Vor der Einschulung werden die Deutschkenntnisse in allen Berliner Kitas getestet. Und in der Deutsch-Französischen Kita bestehen so gut wie alle Kinder den Test, auch die, bei denen zu Hause nur Französisch gesprochen wird. „Aber bei der Zusammenstellung der Gruppen achten wir schon darauf, dass immer auch Kinder dabei sind, die schon von zu Hause aus Deutsch sprechen. Sonst funktioniert es nicht so gut.“ Deswegen stellt das neue Kita-Konzept, das am Berliner Bildungsprogramm ausgerichtet ist und den Prinzipien der offenen Arbeit folgt, die zweisprachigen Kitas auch vor besondere Herausforderungen. Denn es erlaubt es den Kindern, selbst zu entscheiden, welche Angebote sie wahrnehmen. Das bedeutet das Ende der Organisation in Gruppen. „Manchmal müssen wir uns dann etwas einfallen lassen, damit sich die Kinder und die pädagogischen Fachkräfte nicht nach ihren Sprachen aufteilen.“ sagt Frau Ronceray. Derzeit haben 12 pädagogische Fachkräfte Französisch als Muttersprache und 12 sind mit Deutsch aufgewachsen. Zwei von ihnen sind sogar als Kinder selber in der Afrikanischen Straße 121 in die Kita gegangen. Und fast alle haben ihre Ausbildung in Deutschland gemacht. „Aber am beliebtesten ist der Koch.“, sagt mir die Leiterin schon am Telefon. „Den lieben wirklich alle.“ Es ist in der Einrichtung Tradition, dass die Kinder exklusiv bekocht werden. Nicht umsonst steht am Eingang auf einem himmelblauen Schild „Ecole maternelle Élysée“, was eigentlich auf die Förderung durch das Deutsch-Französische Élysée-Programm hinweist, aber wörtlich übersetzt „Kita Insel der Seligen“ heißt. Der Koch ist übrigens Deutscher.
Klingt das nicht wunderbar? Klingt das nicht so, als müsse zweisprachige Erziehung und vielfältige Esskultur in Kitas der Normalfall sein, gerade in einem Bezirk wie Mitte? Nach einer Untersuchung von 2018 (Zeitschrift für amtliche Statistik Berlin Brandenburg, Heft 3+4 2018) gibt es hier in mehr als der Hälfte der Familien, deren Kinder kurz vor der Einschulung stehen, mindestens ein Elternteil, das eine andere Sprache als Deutsch spricht. Dieses Potential könnte man nutzen. Aber die Wirklichkeit sieht leider anders aus.
Das Berliner Bildungsprogramm verlangt im Abschnitt Kommunikation und Sprache:
„Gute Kompetenzen in der deutschen Sprache sind für den weiteren Bildungsverlauf eines Kindes entscheidend. Besonders Kinder, deren erste Sprache nicht Deutsch ist, profitieren von einem mehrjährigen Kitabesuch.“ Das ist sicher sinnvoll, auch wenn man weiß, dass der Anteil der Kinder mit Sprachförderbedarf bei Nicht-deutschsprachigen Eltern in Mitte bei etwa einem Drittel liegt, und damit doppelt so hoch wie der bei Kindern aus deutschsprachigen Elternhäusern.
Aber liegt es vielleicht auch daran, dass die am stärksten vertretenen Sprachen in Mitte Türkisch (21 %) und Arabisch (17 %) sind (mit deutlichem Abstand folgen Englisch (8 %) und Russisch (5 %)? Türkisch sei keine der „Prestigesprachen“, wie es die Autorin Kübra Gümüsay in ihrem Buch „Sprache und Sein“ nennt. „Türkisch lernt man nicht, man verlernt es.“ Und so kommt es, dass auf der einen Seite Eltern bereit sind, viel Geld zu bezahlen, um ihre Kinder in eine Deutsch-Englische Kita unterzubringen, während es im Wedding für andere Sprachen nur eine handvoll kleiner Elterninitiativ-Kitas gibt, die versteckt in alten Ladengeschäften zweisprachige Erziehung anbieten. Die ehrenamtlichen Vorstände dieser Kitas haben meist wohl nichts anderes zu tun, als Wartelisten von Eltern abzuarbeiten. Auf Presseanfragen reagieren sie eher genervt. Wir können hier deshalb nur die Adressen der zweisprachigen Kitas Im Wedding aufnehmen, die auf ihrer Webseite ausdrücklich auf ihr zweisprachiges Angebot hinweisen. Wer noch eine kennt, kann die Adresse gerne in den Kommentaren posten.
Französisch
Kindergärten City Eigenbetrieb
Afrikanische Straße 121
13351 Berlin
Englisch
PHORMS Berlin Mitte e.V.
Ackerstraße 76
13355 Berlin
Italienisch
Kita RoKoKids
Ofener Straße 4–5
13349 Berlin
Arabisch
Bäumchen e.V.
Brüsseler Straße
13353 Berlin
Portugiesisch/Brasilianisch
Kita Primavera
Glasgower Str. 25
13349 Berlin–Wedding
Primavera | DaKS (daks-berlin.de)
Eine umfangreichere, ungeprüfte Liste gibt es von der Wirtschaftsförderung Berlin.
https://www.businesslocationcenter.de/informationen-fuer-neu-berliner/tagesbetreuung-von-kindern/mehrsprachige-kitas
Auch wenn unsere Kinder schon groß sind, finde ich den Bericht sehr interessant. Mir war nicht bewusst, dass es überhaupt Kitas mit dem vorgestellten Konzept gibt.