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Der Brauseboys-Jahresrückblick (Teil 3)

16. Dezember 2018

Die Brau­se­boys schau­en wie­der wochen­lang bis zum Anfang des Jah­res noch fast täg­lich von der Büh­ne auf das Jahr zurück. Für den Wed­ding­wei­ser wagen Sie den Blick auf ihr Jahr im Kiez. Was hat sich ver­än­dert, was hat für sie auf­ge­hört, was hat ange­fan­gen. Die Wed­din­ger Autoren berich­ten schonungslos.

Wo denkt man hin

Manch­mal schaue ich vom Bal­kon auf die See­stra­ße und stel­le mir vor, dass hier nur Elek­tro­au­tos fah­ren. Es sind dann immer noch vie­le, aber wie lei­se könn­te das sein im Ver­gleich? Es wür­de natür­lich viel weni­ger stin­ken, womög­lich wäre die Sicht auf die Stra­ße kla­rer. Manch­mal stel­le ich mir vor, dass dann sogar weni­ger Elek­tro­au­tos dort fah­ren, und wenn ich mir ganz ver­we­gen noch etwas dazu vor­stel­le, dann, dass an den Sei­ten kein Auto mehr parkt.

Manch­mal schaue ich vom Bal­kon und stel­le mir vor, dass gar kei­ner mehr oben fährt, son­dern in auto­no­men U‑Bahn-Wagen unter der See­stra­ße, die jetzt ein grü­ner Fla­nier­strei­fen ist, mit Fahr­rad­we­gen und Kin­der­spiel­plät­zen mit Null-Gravitations-Hüpfburg.

An einem Sonn­tag zur frü­hen Stun­de schau­te ich auf die hel­le Stra­ße und nie­mand fuhr vor­bei, alles wirk­te wie leer­ge­fegt. Nur ein Betrun­ke­ner wank­te, ohne die Ampeln zu beach­ten, quer über die Stra­ße, auf der ande­ren Sei­te schlurf­te ein Mann mit Hüft­scha­den über den Geh­weg. Das war eine ande­re Zukunft, die nach der Zom­bie­ka­ta­stro­phe. Schnell ging ich wie­der hin­ein und schlief wei­ter. Manch­mal schaue ich vom Bal­kon auf die See­stra­ße und stel­le mir  lie­ber gar nichts vor.

Frank Sor­ge


Lifestyle

Die Kin­der sit­zen auf der Couch und gucken You­tube-Vide­os auf dem Tablet. „Habt ihr nicht noch Haus­auf­ga­ben zu machen?“, fra­ge ich, obwohl ich selbst frü­her nie Haus­auf­ga­ben gemacht, son­dern immer vor dem Unter­richt abge­schrie­ben habe. „Nein, noch nicht“, sagen die Kin­der, und dann sagen sie: „Aber jetzt wol­len wir erst mal unse­ren Life­style chil­len.“ Ver­blüfft schaue ich sie an. „Ihr wollt was?“ „Wir wol­len unse­ren Life­style chil­len!“ Ich hole tief Luft, aber dann sage ich doch lie­ber nichts. Es sind emp­find­sa­me See­len, die noch rei­fen müs­sen. Dafür braucht man viel­leicht nicht zwin­gend kor­rek­te deut­sche Sätze. 

Aber dann will ich ihnen wenigs­tens noch etwas Gesun­des unterschieben.„Wollt ihr Erd­bee­ren?“, fra­ge ich daher. Sie schau­en nicht mal­auf: „Nö.“ „Aber Obst ist gesund!“, hake ich nach, und da wer­den sie zu mei­ner Über­ra­schung plötz­lich mun­ter und schau­en sogar vom Tablet auf. „Obst?“, quiekt der Klei­ne, „Erd­bee­ren sind doch kein Obst! Erd­bee­ren sind Nüs­se!“ Ich bin fas­sungs­los, „Erd­bee­ren sind also Nüs­se und kein Obst, so, so. Wer hat euch das denn erzählt? Die­se You­tuber, die Sät­ze sagen wie: Ich chil­le mei­nen Life­style? Ernst­haft?“ Die Kin­der schau­en mich irri­tiert an. „Aber Erd­bee­ren sind nun mal Nüs­se“, sagt der Klei­ne­re, „die ver­meint­li­che rote Frucht ist in Wahr­heit nur eine Schein­frucht. Die eigent­li­chen Früch­te sind die klei­nen Kör­ner da drauf. Und das sind Nüs­se.“ Ich glau­be, es hackt. „Eure You­tuber sol­len lie­ber erst­mal spre­chen ler­nen, bevor sie sich den Kopf über Pflan­zen­mor­pho­lo­gie zer­bre­chen! Über Schein­früch­te räso­nie­ren, aber Ich chil­le mei­nen Life­style sagen! Und was kommt als Nächs­tes? Dass sie nicht süß schme­cken, son­dern scharf?“ Der Gro­ße ruft:„Scharf ist doch kein Geschmack! Scharf ist ein Schmerz! Es gibt nur süß, bit­ter, sal­zig und sau­er, mehr kön­nen unse­re Geschmacks­re­zep­to­ren nicht wahr­neh­men!“ „Eure viel­leicht nicht! Weil ihr eure Geschmacks­re­zep­to­ren von die­sen You­tubern ver­kleis­tern lasst!“, bin ich all­mäh­lich rich­tig in mei­nem Ele­ment, „nicht rich­tig spre­chen kön­nen, aber das dann neun­mal­klug, die­se korin­ten­ka­cken­den Arsch­lö­cher!“ „Ey Alter“, sagt mein Älte­rer, „jetzt geh mal nicht so krass ab. Ist doch alles nice. Setz dich ein­fach dazu. Gera­de haben Lar­so­der­so und Araz­hul das neue Süßig­kei­ten­vi­deo aus Thai­land released.“ „Ich soll mir angu­cken, wie die­se sprach­ge­stör­ten Schwach­ma­ten thai­län­di­sche Süßig­kei­ten in sich rein­stop­fen und dabei sinn­lo­ses Zeug plappern?“Aber mein Jün­ge­rer hält mir das Tablet vor, und ver­se­hent­lich schaue ich kurz drauf und den­ke: Bääääh, was ist das denn?, und auf dem Bild­schirm ploppt in Comic-Schrift ein gro­ßes Bäääh auf, und ich den­ke, das Zeug sieht aber wirk­lich krass eklig aus, und Araz­hul sagt, dass das aber wirk­lich krass eklig aus­sieht, und dann den­ke: ach Schei­ße, was soll’s, und setz­te mich mit aufs Sofa. Haus­auf­ga­ben kön­nen sie mor­gen ja noch irgend­wo abschrei­ben. Und viel­leicht soll­te ich auch ein­fach mal ein biss­chen mei­nen Lifestylechillen.

Hei­ko Werning

Babylon Berlin

Bei der Sze­ne, wo der edle Kom­mis­sar sich auf den Weg macht, um sei­nen eben­falls edlen Chef auf den dro­hen­den Staats­streich durch mon­ar­chis­ti­sche Reichs­wehr-Put­schis­ten auf­merk­sam zu machen und das Drosch­ken-Taxi zur Eile mahnt, erwi­sche ich mich bei dem Aus­ruf: „Mann, ruf den an oder schi­cke eine Message.“

Ich brau­che einen Moment, um mir klar zu machen, dass die Serie 1929 spielt.

Robert Res­cue


„Sie haben mich ins Gesicht gefilmt, das dür­fen Sie nicht!“, dik­tier­te der säch­si­sche LKA-Pegi­dist Maik G. der Lügen­pres­se ins Mikro­fon. Die Brau­se­boys las­sen sich das nicht zwei­mal sagen und fil­men dem Jahr 2018 voll ins Gesicht: Was bleibt, und was ver­hallt unge­hört in der Geschichte?

Bild: http://www.brauseboys.de/?page_id=388

In ihren wöchent­li­chen Lese­shows haben Thi­lo Bock, Robert Res­cue, Frank Sor­ge, Vol­ker Sur­mann und Hei­ko Wer­ning 2018 inten­siv beob­ach­tet und kom­men­tiert, nun prä­sen­tiert die Wed­din­ger Vor­le­se-Boy­group ihren Jah­res­rück­blick. Ein Abend zwi­schen Die­sel und Chem­nitz, über­ra­schen­den Gip­feln und spie­le­ri­schen Nie­der­la­gen, zwi­schen Trumpt­weets, Erdog­an­fo­tos und Gau­lands ver­schwun­de­ner Badehose.


Sati­re vom Blatt, Lied­gut vom Kla­vier und Bil­der von der Wand. – Ein Multimediaereignis!

Alle Vor­stel­lun­gen im Come­dy­club Kooka­bur­ra
Schön­hau­ser Allee 184, Ber­lin-Mit­te
Kar­ten: 0304862 3186, Ticket-Link

Gastautor

Als offene Plattform veröffentlichen wir gerne auch Texte, die Gastautorinnen und -autoren für uns verfasst haben.

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