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Das Kaninchenfeld: Langohren zum Nachdenken

11. April 2014
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Wäh­rend nach und nach die Büros im über­di­men­sio­na­len BND-Gebäu­de bezo­gen wer­den, ahnt kaum jemand, dass nur weni­ge Meter davon noch ganz ande­re die Ohren spit­zen. Das Kunst­werk “Kanin­chen­feld” der Künst­le­rin Kar­la Sach­se hat seit sei­ner Instal­la­ti­on 1999 viel mit­ge­macht. Aber wer genau hin­schaut, kann sie noch ent­de­cken, die gol­de­nen Lang­oh­ren der Chausseestraße.

Kaninchenfeld-Chausseestr

Osterhase Leopoldpl SchulstrAm Leo­pold­platz thront wie jedes Jahr zu Ostern der gro­ße Lindt-Hase über KARSTADT und über­blickt das bun­te Wed­din­ger Trei­ben mit kom­mer­zi­el­ler Gelas­sen­heit. Wer der Mül­lerstra­ße wei­ter gen Süden folgt, fin­det kurz nach dem Bay­er-Kon­zern, an der Ecke Lie­sen­stra­ße, vie­le schüch­ter­ne, klei­ne Ver­wand­te des stol­zen Hasen, als Mes­sing­plat­ten in den Asphalt ein­ge­las­sen. Dahin­ter steckt eine berüh­ren­de Geschich­te, die eine Per­spek­ti­ve annimmt, mit der sel­ten auf die Ber­li­ner Ver­gan­gen­heit geschaut wird – die der Tiere.

Kaninchen_Straße

Das Kunst­werk wur­de genau an der Stel­le instal­liert, an der sich frü­her eine der “Grenz­über­gangs­stel­len” der DDR befand. Für Men­schen ohne Pas­sier­schein eine schein­bar unüber­wind­ba­re Gren­ze: der soge­nann­te Todes­strei­fen der Ber­li­ner Mau­er. Die Kanin­chen der Stadt brauch­ten aller­dings kei­nen Pas­sier­schein, um die­ses men­schen­lo­se Stück Land zu errei­chen. Sie kamen mühe­los über den unter­ir­di­schen Weg auf das Brach­land. Und allen Wid­rig­kei­ten zum Trotz führ­ten die Tie­re an die­sem geschichts­träch­ti­gen, gefähr­li­chen Ort ein völ­lig fried­li­ches Leben.

Kaninchenfeld_Kunstwerk

Künst­le­rin Sach­se schreibt in ihrem Kon­zept, dass die Kanin­chen wohl für bei­de Sei­ten als Pro­jek­ti­ons­flä­che funk­tio­nier­ten. Für die einen, weil sie so tap­fer immer wei­ter gru­ben, für die ande­ren, weil sie sich so frech über die mensch­li­chen Gren­zen hin­weg­setz­ten. Wie immer die Leu­te in Ost und West zu ihnen stan­den, so plötz­lich wie die Mau­er fiel, ver­schwan­den auch die klei­nen Nager. Die Men­schen hat­ten sich das Are­al an der Ecke Lie­sen­stra­ße zurück­er­obert: für neue Gebäu­de, für sich, für ihre Autos. Die klei­nen Bewoh­ner des ehe­ma­li­gen Todes­strei­fens hat­ten auf ein­mal kei­nen Platz mehr im Tru­bel der neu ver­ein­ten Stadt.

Selbst­ver­ständ­lich ist es in die­sem Fall gut, dass der Lebens­raum der Kanin­chen ver­schwun­den ist – kei­ne Fra­ge. Über die Stra­ße, in die die Mes­sing-Tie­re ein­ge­las­sen sind und über die stei­ner­ne Linie, die den ehe­ma­li­gen Ver­lauf der Mau­er anzeigt, kom­men mitt­ler­wei­le wie­der Autos, Fahr­rad­fah­rer und Fuß­gän­ger  unbe­küm­mert von einem Stadt­teil in den ande­ren. Aber das unschein­ba­re Kunst­werk, über das sie sich dabei bewe­gen, erin­nert uns dar­an, wie vie­le unter­schied­li­che Opfer ein rück­sichts­lo­ses poli­ti­sches Sys­tem haben kann – und wie vie­le von ihnen unbe­merkt bleiben.

Text & Bil­der: Alex­an­dra Resch

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: http://www.kaninchenfeld.de/

7 Comments Leave a Reply

  1. […] Die Kanin­chen der Stadt brauch­ten aller­dings kei­nen Pas­sier­schein, um die­ses men­schen­lo­se Stück Land zu errei­chen. Sie kamen mühe­los über den unter­ir­di­schen Weg auf das Brach­land. Und allen Wid­rig­kei­ten zum Trotz führ­ten die Tie­re an die­sem geschichts­träch­ti­gen, gefähr­li­chen Ort ein völ­lig fried­li­ches Leben. (Quel­le: Weddingweiser) […]

  2. Aus unse­rer – mensch­li­chen Per­spek­ti­ve – ist es natür­lich gut, in man­cher Hin­sicht, dass der Lebens­raum der Kanin­chen dort nicht mehr exis­tiert. Aus der Per­spek­ti­ve der Kanin­chen, die ja auch Bewohner*innen die­ser Stadt sind, war es wahr­schein­lich eher ein Ver­lust. Viel­leicht wäre tat­säch­lich ein Feld mit­ten in der Stadt auch für die Men­schen sinn­vol­ler, als die jetzt dort ste­hen­de Luxus Wohnanlage…?!

  3. […] gebo­ren, hat an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät in Ber­lin Kunst­wis­sen­schaft stu­diert. Ihr Kunst­werk „Kanin­chen­feld“ steht seit 1999 am ehe­ma­li­gen Grenz­über­gang Chaus­see­stra­ße und erin­nert an die Stadt­tei­lung und […]

  4. Vie­le Dank für die­sen Bei­trag! Ich habe mich schon lan­ge gefragt, über was für gol­de­ne Kanin­chen ich immer drü­ber fahre.

  5. Hier auch noch zur Erin­ne­rung: Es gibt den Film : “Mau­er­ha­se”. (Aus­schnit­te z.B. bei Vimeo), der das Leben der Hasen auf dem “Todes­strei­fen” aus­ge­zeich­net dokumentiert!!

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