Unsere Autorin ist von Hamburg nach Berlin gezogen. Die Wahl der Wohnlage fiel auf den Wedding. Nach einem Jahr zieht sie eine Bilanz.
Die Wohnung liegt nicht in Prenzlberg, Kreuzberg oder Mitte, sondern im Wedding. Und das auch nicht im bereits gut durchgentrifizierten Sprengelkiez oder irgendwie dicht genug dran an Mitte oder Prenzlberg, dass die Hipster es noch akzeptabel finden (ein Kollege wollte sich neulich ernsthaft lieber in Mitte treffen, den Wedding möge er nicht so).
Nee, wir sind schon im tiefsten Wedding, genauer: im Afrikanischen Viertel, dem ich persönlich noch zehn Jahre gebe, bis die ersten Cafés kommen, wo man Soya-latte kaufen kann. wobei es hier beileibe nicht unattraktiv ist. Ich finde unsere Straße sogar sehr hübsch. Schöne Jugendstil-Altbauten, alte Bäume davor, Kopfsteinpflaster und kaum Verkehr. Und, ihr Angeber aus Mitte & Co, nehmt das: WIR haben Parkplätze!
Ein Nachteil ist der Hang unserer Nachbarn zum Nikotin. Zum Alkohol zwar auch, aber davon bekommen wir nicht viel mit, bis auf den nächtlichen Lärm, wenn die Nachbarn ihre Flaschen in die Altglastonne unter unterm Schlafzimmerfenster werfen. Blöderweise bringt es auch nix, wenn man dann morgens die Balkontür aufreißt, denn auch die Leute auf der Straße rauchen. Zumindest die, die schräg unter uns vor der Spielhalle sitzen. Dagegen ist der Duft der Mülltonnen, der im Hochsommer aus dem Hinterhof zu uns ins Wohnzimmer zieht, ein Wohlgeruch.
Jetzt zu den Vorteilen. Die Wohnung ist 50% größer als unsere alte Wohnung in Hamburg und kostet doch weniger. Sie ist mindestens genauso hübsch, mit alten Dielenböden und Stuckverzierungen an der Decke und die Decken sind so hoch, dass die Möbel plötzlich viel kleiner aussehen. Die Wohnung ist saniert, d.h. es gibt jede Menge Steckdosen, die Kabel liegen unter Putz, die Fenster sind neu und Türen und Fensterrahmen sind frisch lackiert.
Merkwürdige Lebensmittel, frisch vom Markt
Nächster Vorteil: wer im Wedding lebt, kann keine Nahrungsmittelunterversorgung beklagen. Es gibt Supermärkte, türkische Gemüsemärkte und Dönerbuden, wohin das Auge reicht. Während wir früher mit der S‑Bahn zum Einkaufen fuhren, erreichen wir jetzt alles zu Fuß. Man muss nicht mal aufs Rad steigen, Aldi, Edeka, Kaufland, Real, Penny, Lidl sind alle im Umkreis von 250 Metern. Es gibt zwei Wochenmärkte, einen Öko- und einen, wie ich ihn nenne, Türkenmarkt. beide sind zweimal die Woche. Den Türkenmarkt hinterm Weddinger Rathaus finde ich ganz großartig. Riesengroß und erinnert ein bisschen an den Fischmarkt: je später man kommt, desto lauter das Geschrei und desto doller das Gedrängel. Insgesamt ist das Angebot aber orientalischer als der Fischmarkt. Im Augenblick ist gerade Granatapfel-und Kaki-Saison. Guten deutschen Boskop gibt es auf dem Markt keinen.
Es gibt dafür einen Fleischstand, der aussieht, als hätte man eine LKW-Ladung Fleisch von oben reinfallen lassen, einen Stand, der ausschließlich Kräuter, Datteln und Okkraschoten verkauft, einen nur mit Lokum („turkish delight“) und Oliven in Kilosäcken und einen, wo man frisch gebackene Gözleme bekommt. Es gibt einen Maiskolben-Stand, einen Honig-Stand und einen mit gefühlten hundert verschiedenen sorten Kartoffeln. Dazwischen jede Menge Stände mit Stoffballen und Kopftüchern. Und Preise gibt es, von denen man in Hamburg nicht mal zu träumen wagt. Ich liebe diesen Markt, wir gehen jeden Samstag hin und rollen einen vollen Trolley nach Hause.
Apropos Trolley: im Wedding hat jeder einen. In manchen Supermärkten gibt es dafür sogar eine extra Garderobe, wo man eine Nummer bekommt.
Weil wir den ganzen Krempel jetzt direkt vor der Haustür kaufen können und nicht mehr quer durch die Stadt fahren müssen, so wie in Hamburg-Neustadt, wo es keine Gemüsetürken, keinen Asia-Supermarkt und keinen Bioladen gibt, werden die Rezepte, die wir kochen, immer seltsamer. Die merkwürdigsten Lebensmittel werden angeschleppt, nach denen ich schon das eine oder andere mal lange googeln musste (gekrümmte gelbe schrumpelige Gurken?). In Hamburg hätte ich Südfrüchte außerdem niemals auf dem Markt gekauft, weil sie mir dort einfach zu teuer waren. Ich hab sie im Netz bei Aldi gekauft, wo Mandarinen in 9 von 10 Fällen gammelig schmecken, Melonen unreif oder überreif sind und Tomaten nur noch wie Tomaten aussehen. Hier ist Obst auf dem Markt nicht nur billiger als der vertrocknete Plastikfraß aus’m Discounter, man kann es obendrein auch noch alles probieren.
Gut leben im Wedding
Der Wedding mag verdreckt sein und in den Augen von Berlin-Mitte-Mögern uncool, aber es lebt sich hier gut. Wir haben plötzlich mehr Geld zur Verfügung und ich kann besser einschlafen. Es gibt im Wedding zwar immer noch mehr Spielhallen als schöne Cafés oder Restaurants, aber hier und da gibt es schon ein paar Oasen. Im Spätsommer saß ich zum Beispiel mit meiner Nachbarin draußen vor einer Bar gegenüber von der Nazarethkirche, wir tranken portugiesischen Rosé in der Abendsonne und kamen uns vor wie auf ‘nem spanischen Dorfplatz in der Nebensaison. Als es spät wurde und die Tische reingestellt werden sollten, schlug der Kellner vor, wir könnten ja im Park gegenüber weitermachen, dort gebe es Bänke, die Gläser könnten wir mitnehmen.
Seitdem wir im Wedding leben, esse ich mehr, scheiß auf meine schlanke Linie und auch sonst auf so einiges. Ich hab aufgehört mir die Haare zu färben, schmink mich nur noch in Notfällen, geh aber dafür – nur dass sich das jetzt so anhört, als würde ich komplett verwahrlosen – joggen. Das mach ich aber nicht, um schlanker zu werden, sondern das hat auch wieder mit dem Wedding zu tun: wenn man unsere Straße runterläuft, kommt man in die Rehberge, ein traumhaft schöner Park, mitten in der Stadt. Und für den Wedding fast zu schön.
Nur an die Kampfhunde muss ich mich noch gewöhnen und aufhören, beim Laufen zu versuchen, die Hundekacke rechtzeitig zu sehen.
(leicht gekürzte Fassung)
Autorin: Katia Kelm
Den ganzen Text und weitere Beiträge gibt es auf ihrem Blog katiakelm.de/blog
Als wir vor zehn Jahren nach Berlin kamen, sind wir als erstes nach Hermsdorf gezogen. Wie es so ist, wenn man in einer neuen Stadt ist: man zieht mindestens einmal um. Mein Mann und ich wollten unbedingt in den Wedding. Nach zwei Jahren hat es geklappt und seither sind wir hier. Wir haben es nie bereut! Auch wenn wir an einer nicht so hippen Ecke wohnen: genau auf der Grenze zu Gesundbrunnen. Ein paar Minuten vom Leo entfernt.
Träumt nicht vom goldenen Wedding.Hier existiert bis jetzt nur Döner und Falafel.Wo sind die anderen kulturen?? die werden hier boykottiert von den Islamischen völkern.Was nicht helal ist hat hier keine chance.Und wo soll da multi kulti sein.
Naja es kommt drauf an wo man in Wedding wohnt. In Nord-Wedding zur Grenze zu Reinickendorf ist es recht ruhig. Hab da auch nen guten Kumpel, das einzige was stört sind die Flugzeuge. Kommen Sie mal in den Brunnenviertel (speziell Badstr. und deren Quer- und Parallelstraßen) da geht alles unter. Möbel, Schränke, Fernseher und sogar ne Badewanne hatte ich letztens beobachten müssen.Alle halbe Stunde die gleiche Musik: Polizeisirenen, Krankenwagen usw. Die ganzen Jugendlichen, die meinen, die müssen Ihre Songs der ganzen Straße vorführen, naja…
Dort gibt es fast keine Deutschen mehr, die die können ziehen alle weg. Die Lebensqualität ist enorm gesunken.
Ich habe zwar meine These warum das so ist, aber das hier öffentlich kund zu tun, wäre nicht so angebracht.
das ist kein multi kulti hier.hier hat sich bis jetzt nur durchgesetzt döner und falafel.der originale italiener ist hier nicht angekommen. wo sind die mexikaner? brasilianer? thailänder hier? DAS IST KEIN MULTI KULTI!!!
[…] Das erste Jahr im Wedding Wie eine Neu-Berlinerin den Wedding erlebt […]
Viel Spaß weiterhin hier im Wedding Katia. Ich lebe schon mein ganzes Leben hier. Komme einfach nicht weg. Verdammte Liebe, das ist wie ne Sucht, denke ich manchmal 🙂