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Das Be-Fremd-liche

3. Juni 2013
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Wenn ver­schie­de­ne Kul­tu­ren zusam­men­le­ben, leben sie manch­mal ziem­lich anein­an­der vor­bei. Doch wer wie unser Autor aus zwei Kul­tu­ren zugleich kommt und sich in bei­den mühe­los bewe­gen kann, ver­zwei­felt schon mal an der Realität.…

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DSCN5672Neu­lich im Fri­sör­sa­lon: ich fra­ge mei­ne Fri­sö­rin, die im Wed­ding auf­ge­wach­sen ist, ob sie ger­ne hier wohnt und wenn ja, wes­halb. “Ich woh­ne halt hier”, sagt sie, “ist nah bei der Arbeit”. Sie hat mir frü­her schon erzählt, dass ihre Eltern in den 1970ern aus der Tür­kei kamen. Wie gefällt’s den Eltern hier, wes­halb kamen sie damals aus­ge­rech­net in den Wed­ding? Weiß nicht, meint sie. Obwohl sie sonst so fit im Small­tal­ken ist, habe ich den Ein­druck, sie fühlt sich nicht wohl bei dem The­ma. “Mei­ne Cou­si­nen woh­nen in Char­lot­ten­burg, sie wür­den aber nicht im Wed­ding woh­nen wol­len. Zu vie­le Aus­län­der, sagen sie.” – Wel­che Attri­bu­te die zitier­ten Cou­si­nen (eben­falls mit tür­ki­schen Eltern!) mit dem dif­fa­mie­rungs­taug­li­chen “Aus­län­der” ver­knüp­fen, bleibt ein Geheim­nis. Ich traue mich nicht nach­zu­fra­gen, ich wun­de­re mich nur über die Pau­scha­li­sie­rung. Wäh­rend ich zah­le, ver­si­chert mir mei­ne Fri­sö­rin, dass sie einen Blog über den Wed­ding nicht lesen würde…

Neu­lich im tür­ki­schen Super­markt: “Ich möch­te die Oli­ven pro­bie­ren, bevor ich sie kau­fe”, sage ich selbst­be­wusst auf tür­kisch. Abso­lut gän­gi­ge Pra­xis in der Tür­kei, hin­ge­gen nicht üblich bei Ede­ka an der Fri­sche­the­ke. Brauchst erst gar nicht, sagt der Mann hin­term Tre­sen, die tau­gen nichts. Kurz dar­auf schä­me ich mich fremd, als eine Kun­din die glei­chen Oli­ven auf deutsch bestellt und kom­men­tar­los bekommt. Ich weiß zwar auch, dass der deut­sche Oli­ven­ge­schmack ein ande­rer ist – mit ent­stein­ten Oli­ven brauchst du den Tür­ken erst gar nicht zu kom­men – aber ich will die Unver­schämt­heit nicht klein­re­den. Der­weil beschwert sich der Ver­käu­fer auf tür­kisch bei sei­ner Kol­le­gin über die Arbeits­be­din­gun­gen. Psst, Kund­schaft, meint sie. Ist doch nie­mand Frem­des da, meint er. Ich schaue mich um – stimmt, außer mir steht kei­ner mehr da.-  Äh, Moment, wir ken­nen uns?

Neu­lich, bei Çarık auf der Mül­lerstra­ße: ich möch­te gerös­te­te Son­nen­blu­men­ker­ne kau­fen, mehr nicht. Ich hole ganz schlau die frisch Gerös­te­ten von der Stra­ße und nicht die Alten, die hin­term Tre­sen lie­gen. Als ich die Kas­sie­re­rin auf tür­kisch anspre­che, schreit hin­ter mir eine Kun­din auf­ge­regt: “Siehst du, Mal­te*, ich hab’ dir doch gesagt, man­chen sieht man es gar nicht an!” Lei­der habe ich kei­nen Spie­gel dabei, um mich auf Unsicht­bar­keit zu tes­ten. Ich wun­de­re mich und packe die Ker­ne in mei­ne Jutetasche.

Vor­ur­tei­le haben wir alle. Das zu akzep­tie­ren, ist der ers­te Schritt. Der zwei­te ist es, unse­re Nach­barn genau­er zu betrach­ten, dif­fe­ren­zier­ter. Posi­tiv­dis­kri­mi­nie­run­gen stin­ken näm­lich fast genau­so wie nega­ti­ve. Ach, übri­gens: ich bin halb tür­kisch, halb deutsch und neu im Wed­ding, ich darf das!

*Der Name wur­de zur Scho­nung des Unbe­tei­lig­ten von der Redak­ti­on geändert.

Autor: A. Bükey

Über­set­zung des Arti­kels in tür­ki­scher Sprache

Gastautor

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