Wenn verschiedene Kulturen zusammenleben, leben sie manchmal ziemlich aneinander vorbei. Doch wer wie unser Autor aus zwei Kulturen zugleich kommt und sich in beiden mühelos bewegen kann, verzweifelt schon mal an der Realität.…
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Neulich im Frisörsalon: ich frage meine Frisörin, die im Wedding aufgewachsen ist, ob sie gerne hier wohnt und wenn ja, weshalb. “Ich wohne halt hier”, sagt sie, “ist nah bei der Arbeit”. Sie hat mir früher schon erzählt, dass ihre Eltern in den 1970ern aus der Türkei kamen. Wie gefällt’s den Eltern hier, weshalb kamen sie damals ausgerechnet in den Wedding? Weiß nicht, meint sie. Obwohl sie sonst so fit im Smalltalken ist, habe ich den Eindruck, sie fühlt sich nicht wohl bei dem Thema. “Meine Cousinen wohnen in Charlottenburg, sie würden aber nicht im Wedding wohnen wollen. Zu viele Ausländer, sagen sie.” – Welche Attribute die zitierten Cousinen (ebenfalls mit türkischen Eltern!) mit dem diffamierungstauglichen “Ausländer” verknüpfen, bleibt ein Geheimnis. Ich traue mich nicht nachzufragen, ich wundere mich nur über die Pauschalisierung. Während ich zahle, versichert mir meine Frisörin, dass sie einen Blog über den Wedding nicht lesen würde…
Neulich im türkischen Supermarkt: “Ich möchte die Oliven probieren, bevor ich sie kaufe”, sage ich selbstbewusst auf türkisch. Absolut gängige Praxis in der Türkei, hingegen nicht üblich bei Edeka an der Frischetheke. Brauchst erst gar nicht, sagt der Mann hinterm Tresen, die taugen nichts. Kurz darauf schäme ich mich fremd, als eine Kundin die gleichen Oliven auf deutsch bestellt und kommentarlos bekommt. Ich weiß zwar auch, dass der deutsche Olivengeschmack ein anderer ist – mit entsteinten Oliven brauchst du den Türken erst gar nicht zu kommen – aber ich will die Unverschämtheit nicht kleinreden. Derweil beschwert sich der Verkäufer auf türkisch bei seiner Kollegin über die Arbeitsbedingungen. Psst, Kundschaft, meint sie. Ist doch niemand Fremdes da, meint er. Ich schaue mich um – stimmt, außer mir steht keiner mehr da.- Äh, Moment, wir kennen uns?
Neulich, bei Çarık auf der Müllerstraße: ich möchte geröstete Sonnenblumenkerne kaufen, mehr nicht. Ich hole ganz schlau die frisch Gerösteten von der Straße und nicht die Alten, die hinterm Tresen liegen. Als ich die Kassiererin auf türkisch anspreche, schreit hinter mir eine Kundin aufgeregt: “Siehst du, Malte*, ich hab’ dir doch gesagt, manchen sieht man es gar nicht an!” Leider habe ich keinen Spiegel dabei, um mich auf Unsichtbarkeit zu testen. Ich wundere mich und packe die Kerne in meine Jutetasche.
Vorurteile haben wir alle. Das zu akzeptieren, ist der erste Schritt. Der zweite ist es, unsere Nachbarn genauer zu betrachten, differenzierter. Positivdiskriminierungen stinken nämlich fast genauso wie negative. Ach, übrigens: ich bin halb türkisch, halb deutsch und neu im Wedding, ich darf das!
*Der Name wurde zur Schonung des Unbeteiligten von der Redaktion geändert.
Autor: A. Bükey
[…] “Der Wedding ist dein coolster Freund” Lukas ist auf der Suche nach s(einer) deutschen Identität – mithilfe von Schnappschüssen seiner Handykamera, die ihm ganz plötzlich und zufällig ins Auge springen, immer und überall. […]
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Schöner Beitrag. Die Richtung stimmt.