Über die stille Post hat sich die Kunde im Wedding so weit verbreitet, dass es auch an mein Ohr gelangt ist: Es gibt eine neue Bar im Soldiner Kiez, versteckt in einem Hinterhof in der Koloniestraße. Irgendein abgefahrenes Konzept, irgendwie familär und supertoll, vor allem bis jetzt unbekannt für die meisten im Stadtteil. Ich denke spontan an Ninas Sektbar in der Prinzenallee, bei der ich zu lange gezögert hatte und die ich am Ende nicht mehr geschafft hatte, zu besuchen bevor sie wieder geschlossen hat, und ergreife die erste Gelegenheit beim Schopf. Die Stadtteilkoordination Osloer Straße hatte den neuen Ort im Wedding auf ihrem Kiezspaziergang Ende Juli. Dann los!
Blick ins Studio… Eine Künstlerin aus London nimmt gerade eine Sendung über zeitgenössische afrikanische Musik auf. Fotos (2): Hensel
Der Weg führt die völlig ahnungslose Gruppe in eine Remise im Hinterhof der Koloniestraße. Das ist direkt gegenüber dem Büro des Quartiersmanagement, das auch noch nichts von dem interessanten Nachbarn weiß. „Cashmere Radio“ steht am Klingelknopf, Giacomo Gianetta öffnet uns die Tür. Er ist ein freundlicher Italiener, der bitte nicht aufs Foto möchte. Wir müssen zunächst die Schuhe ausziehen, der Teppiche wegen. Am Anfang der kleinen Vorstellung dann eine echte Überraschung: es ist überhaupt gar keine Bar, die wir hier besichtigen.
Das „Cashmere Radio“ ist eine Art künstlerisches Medienprojekt, ein Online-Radio mit mehr als 100 verschiedenen regelmäßigen Sendungen und einem Rund-um-die-Uhr-Programm. „Wir sind ein gemeinnütziger Verein, gegründet 2015. Wir waren sieben Jahre lang in Lichtenberg und wurden dort weggentrifiziert“, skizziert Giacomo den Werdegang des Projekts. Auf dem Weg zum neuen Standort im Wedding war das Projekt erst neun Monate in der Gerichtstraße und zog am 5. Februar 2023 in die Koloniestraße. Hier gebe es einen langfristigen Mietvertrag und so eine Chance auf Weiterentwicklung und ganz viel experimentelles Radio.
Als die Gruppe das Studio besichtigt, beginnt eine Künstlerin aus London gerade mit der Aufnahme der Sendung „Afro Electronics“ über zeitgenössische afrikanische Musik. Die Besuchergruppe kann ihr bei der Arbeit durch eine Glasscheibe zusehen und zuhören, denn die Musik wird über Lautsprecher in den Raum vor dem Studio übertragen, dem Raum mit dem Tresen und den Lautsprechern und Sitzgelegenheiten. Doch eine Bar? „Das ist keine Bar“, stellt Giacomo klar. Es gehe hier um Radio. Aber wer hier Radio macht, das bekommt auch einen Drink.
Drei Mal im der Woche werden die Türen des unabhängigen Radioprojekts aber für Besucher:innen geöffnet. Wer die Schuhe auszieht und es sich auf dem Sofa oder den Teppichen gemütlich macht (und nichts dagegen hat, dass geraucht wird), der kann bei „Live in Wedding“ dabei sein. So sind die öffentlichen Termine im Sendeplan markiert. Dienstag, Donnerstag und Samstag ist das in der Regel, von 18 bis 24 Uhr. Hier kann jede:r beim Radiomachen zuhören und ‑sehen und Menschen aus aller Welt treffen. Denn Menschen aus aller Welt gehen im „Cashmere Radio“ ein und aus, es gibt ständig Künstlerresidenzen und somit mitgebrachte und weitgereiste Musik. Bei „Live in Wedding“, den offenen Studiotagen, kann das hautnah erlebt werden.
Blick in die Räume des Radioprojekts… Hinweisschild am Eingang … Klingel. Fotos (3): Hensel
Die Besuchergruppe, die mit der Stadtteilkoordination in die Remise gestolpert ist, erfährt noch einiges über das gemeinnützige Radioprojekt. „Wir haben 150 aktive Mitglieder, die Sendungen machen“, sagt Giacomo, der auch der Vereinsvorsitzende ist. „Wir sind online 24⁄7 zu hören und jeden Freitagabend ab 21 Uhr auch auf UKW auf 88,4“, sagt er. Zu hören bekommen die, die dem Programm folgen, ganz verschiedene Sendungen. Es gibt sehr experimentelle Klangexperimente, aber auch ganz klassische Radioformate. Meist ist es Musik, manchmal auch Reportagen wie zum Beispiel das „Stadtgeschehen“. Das wird ein Mal im Monat gesendet. Eine über 80-jährige Berlinerin nimmt die Hörer:innen dabei mit durch die Stadt. Abends gibt es manchmal die „Bedtime Stories“ mit Text und Klang und allem, was zum experimentellen Gute-Nacht-sagen gehört. Mehr zum umfangreichen Programmspektrum findet sich auf der Webseite www.cashmereradio.com.
In der Koloniestraße durch diese Toreinfahrt … zu den Remisen … und zur Tür des Cashmere Radios. Fotos (3): Hensel
Man spürt sofort, dass das Projekt, das jetzt in der Koloniestraße in die Remise eingezogen ist, viel Internationalität und Kreativität mitgebracht hat. Von hier aus drehen musikalische Ideen eine Runde im Internet und finden auf dem Weg ihre Hörer:innen. Hier sind Leute, die auch für das Medium Radio eine Leidenschaft haben. Im kommenden Jahr soll es deshalb ein Radiofestival geben, im silent green Kulturquartier. Doch bis dahin werden noch ganz viele Sendungen produziert und gesendet und auch interessierte Besucher:innen an den „Live in Wedding“-Tagen gegrüßt worden sein.
Das „Cashmere Radio“ kann rund um die Uhr auf der Seite www.cashmereradio.com gehört werden. Freitag ab 21 Uhr bis Samstag um 11 Uhr kann das Programm auch auf der UKW-Frequenz 88,4 verfolgt werden. Wer live dabei sein möchte, wenn eine Sendung entsteht, der kann die genaue Adresse per E‑Mail unter [email protected] erfahren oder den “Join Chat”-Knopf auf der Webseite für Nachfragen nutzen.
Hallo
alter Schwede wat für eene Box… wat für´n Bass… wenn die richtich uffdrehen , dann bebt der janze Wedding und kann mithören!! ohne uff 88,4 sein zu müssen :)))
netten Tag noch