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Alles ist vergänglich:
Buddhistischer Tempel im Wedding

Wer hätte gedacht, dass sich seit 1992 ein buddhistisches Kloster mitsamt Tempel in der Ackerstraße befindet? Nun muss die alte Halle einem Neubau weichen. Unser Autor hat sich dort einmal umgeschaut.
29. Mai 2023
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Mit sei­nem Licht­hof und der Fas­sa­de aus Kera­mik wirkt der Neu­bau des bud­dhis­ti­schen Fo-Guang-Shan-Tem­pels in der Acker­stra­ße wie ein aus Ver­se­hen im Wed­ding gepark­tes Muse­um für moder­ne Kunst. Schon der alte Tem­pel an glei­cher Stel­le, der selbst vie­len Wed­din­gern nicht bekannt war und nun im Juni abge­ris­sen wird, wirkt wie ein Por­tal in eine ande­re Welt. Von außen unschein­bar wie eine Lager­hal­le fin­det man sich auf ein­mal in Süd­ost­asi­en wie­der, wenn man über die Tür­schwel­le ins Inne­re tritt: Durch edle chi­ne­si­sche Holz­git­ter­fens­ter bricht sich das Licht und fällt auf einen Altar mit drei gol­de­nen Bud­dhas. Von der Decke hän­gen rote Lam­pi­ons. Bud­dhis­ti­sche Non­nen in brau­nen Roben emp­fan­gen den Besu­cher mit zusam­men­ge­fal­te­ten Hän­den und einer klei­nen Ver­beu­gung. Will­kom­men auf „Bud­dhas Berg des Lichts”, wie sich Fo Guang Shan über­set­zen lässt.

Schon 1992 hat­te der in den Sech­zi­ger­jah­ren in Tai­wan gegrün­de­te Orden im ehe­ma­li­gen Todes­strei­fen unweit der Lie­sen­brü­cken sei­ne ers­te Ber­li­ner Gebets­hal­le eröff­net. Der Tem­pel­bau war zuvor Teil einer Fabrik für Auto­tei­le gewe­sen. Die Non­nen waren neben­an in einer angren­zen­den Woh­nung unter­ge­bracht. „Noch immer fragt man uns, war­um wir über­haupt im Wed­ding sind”, lacht Mia­o­shiang Shih, die aus Tai­wan stam­men­de Meis­te­rin des Tem­pels. „Wir hat­ten damals kei­ne Ahnung. Wir such­ten ein­fach einen Ort, der groß genug war für das, was wir uns vor­ge­stellt hatten.” 

Frü­her kamen vor allem Aus­lands­chi­ne­sen, um zu medi­tie­ren und jeden Sonn­tag die bud­dhis­ti­schen Sutras auf Man­da­rin zu sin­gen. Heu­te fin­den sich auch nicht-asia­tisch­stäm­mi­ge Bud­dhis­ten und ande­re Neu­gie­ri­ge ein, um die Über­set­zun­gen in den aus­lie­gen­den Gebets­bü­chern mit­zu­le­sen oder sich ein­fach in der andäch­ti­gen Atmo­sphä­re zu ver­sen­ken. „Im Schnitt kom­men 40 bis 80 Men­schen zur Andacht. An Fei­er­ta­gen kom­men auch mal über 100 und an Bud­dhas Geburts­tag oder Chi­ne­sisch-Neu­jahr noch eini­ge mehr”, sagt die Meis­te­rin mit dem gescho­re­nen Kopf. Ein beson­de­rer Reiz ist auch das vege­ta­ri­sche chi­ne­si­sche Essen, das es am Sonn­tag nach der Andacht für die Besu­cher umsonst gibt.

Wie ande­re bud­dhis­ti­sche Orden Tai­wans legt Fo Guang Shan Wert auf einen huma­nis­ti­schen, wohl­tä­ti­gen Bud­dhis­mus. In Ber­lin betei­ligt sich der Tem­pel etwa an Klei­der- und ande­ren Spen­den­samm­lun­gen. Dabei wur­den Tai­wans Orden auch vom Chris­ten­tum inspi­riert, des­sen Mis­sio­na­re vor mehr als 100 Jah­ren Schu­len und Kran­ken­häu­ser auf der Insel errich­tet hat­ten. Heu­te ist Fo Guang Shan eine mil­lio­nen­schwe­re, glo­bal ope­rie­ren­de Orga­ni­sa­ti­on, die in 173 Län­dern aktiv ist, Tem­pel, Aka­de­mien, Ver­la­ge und Schu­len unter­hält und sogar eine eige­ne Zei­tung her­aus­bringt. Dass Tai­wans Bud­dhis­ten so glo­bal aus­ge­rich­tet sind, hat auch mit der poli­ti­schen Aus­nah­me­si­tua­ti­on der demo­kra­tisch regier­ten Insel zu tun. Das benach­bar­te Chi­na betrach­tet Tai­wan als abtrün­ni­ge Pro­vinz, die so bald wie mög­lich mit dem Mut­ter­land ver­eint wer­den muss. Die meis­ten Staa­ten erken­nen Tai­wan auf­grund des Drucks aus der Volks­re­pu­blik Chi­na nicht als sou­ve­rä­nen Staat an. Auch des­halb muss das Land auf ande­re Wei­se diplo­ma­ti­sche Kon­tak­te pfle­gen. Der wohl­tä­ti­ge Bud­dhis­mus, der sich vor allem auch im Kata­stro­phen­schutz enga­giert, ist dabei ein unver­fäng­li­cher Weg, der viel zum Pres­ti­ge Tai­wans im Aus­land beiträgt.

Dass Fo Guang Shan in Ber­lin nun in einen neu­en Tem­pel inves­tiert, hat auch mit der Bau­sub­stanz zu tun, die durch schlecht abflie­ßen­des Schich­ten­was­ser über die Jah­re hin­fäl­lig gewor­den ist. Fast hät­ten sie ihren Stand­ort in der Acker­stra­ße ver­las­sen. Intern dis­ku­tier­te man, ob der neue Tem­pel nicht zu groß für die etwas abge­le­ge­ne, indus­tri­ell gepräg­te Ecke ist. Ent­wor­fen hat den schi­cken Neu­bau das Büro des fran­zö­si­schen Archi­tek­ten Fré­de­ric Rolland, das auch den größ­ten bud­dhis­ti­schen Tem­pel Euro­pas nahe Paris gebaut hat. Ein Relo­ka­li­sie­rung nach Tem­pel­hof wur­de in Betracht gezo­gen. Dass man sich schließ­lich doch ent­schloss, hier zu blei­ben, habe auch mit den guten Erfah­run­gen in der Nach­bar­schaft zu tun, sagt Shih. Über all die Jah­re sei es außer klei­nen Dieb­stäh­len und Graf­fi­ti-Schmie­re­rei­en nicht zu Pro­ble­men gekom­men. Die Nach­barn, von denen vie­le Mus­li­me sind, wüss­ten dass sich hier eine reli­giö­se Stät­te befin­det und wür­den das sehr respek­tie­ren, sagt sie.

Auf­grund finan­zi­el­ler Pro­ble­me des Gene­ral­un­ter­neh­mers und Mate­ri­al­eng­päs­sen durch die Covid-Pan­de­mie wird der Tem­pel nun erst vier Jah­re spä­ter fer­tig als geplant. Im Som­mer soll es eine Eröff­nungs­ze­re­mo­nie für das Haupt­haus geben. Wenn die alte Hal­le abge­tra­gen ist, soll dort ein Zen-Gar­ten mit Sitz­ge­le­gen­hei­ten und klei­ner Büh­ne ent­ste­hen. Dann könn­te der bis­her unschein­ba­re Tem­pel noch mehr Besu­cher anzie­hen, hofft Shih. Ein biss­chen Weh­mut herr­sche in der Gemein­de aber trotz­dem ange­sichts des Abris­ses der über die Jah­re lieb gewon­nen Werk­statt­hal­le. „Alle sagen Scha­de”, erklärt die Meis­te­rin. „Aber im Bud­dhis­mus sagen wir auch: Alles ist ver­gäng­lich. Der Abriss ist so auch eine Leh­re für die Gläu­bi­gen. Die schö­nen Erin­ne­run­gen blei­ben im Herz erhalten.”

Fabian Peltsch

Seit Jugendtagen wollte Fabian Peltsch in immer größeren Städten leben. Vom Dorf am Bodensee arbeitete er sich langsam hoch bis nach Peking. 2013 verschlug es ihn in den Wedding, wo er endlich die Balance zwischen urbanem Wahnsinn und nachbarschaftlicher Heimeligkeit gefunden hat. Hauptberuflich schreibt er als China-Experte für das Medienhaus Table.Media und als Kulturjournalist für den Rolling Stone und den Musikexpress. Sein Hauptquartier liegt am Nordufer.

4 Comments

  1. Nicht scha­de son­dern toll!
    Wenn es die­se Läden nicht gäbe, hat­ten Sie jetzt über­all McDo­nalds und Star­bucks. Fin­den sie am Zoo noch Mittagslokale?! 

    Die Zei­ten ändern sich nun Mal, da bringt es nicht zu mecken und zu heulen.

  2. Hal­lo , ich bin eine Ur Weddingerin.
    Es macht much trau­rig und wütend was aus dem Wed­ding gewor­den ist.
    Die Mül­lerstr. vom Kut­schi bis zum Leo war mal eine Ein­kaufs­mei­le wie am Kudamm. Heu­te sehe ich NUR Essen­lä­den die kei­nen ein­zi­gen tra­di­tio­nel­len Mit­tags­tisch anbieten.
    Der Wed­ding ist LEIDER nicht mehr für die Men­schen die dort gebo­ren wur­den und wei­ter­hin dort leben.
    Schade………

    • Was genau hat das mit dem bud­dhis­ti­schen Tem­pel zu tun? Der belebt ja eine Ecke, die vor­her abso­lut tot war – und ein Essens­la­den ist das auch nicht. Bit­te beim The­ma bleiben!

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