In der BVV hat es nur zwei Themen am letzten Donnerstag gegeben. Die Bezirksverordneten diskutierten über die Ukraine, insbesonders über die Frage, wie der Bezirk als Behörde den am Hauptbahnhof ankommenden Flüchtlingen helfen kann. Schule, Sozialhilfe und Gesundheitsversorgung waren die Stichworte. Und im zweiten Teil wurde der Haushalt für die Jahre 2022 und 2023 diskutiert. Eines wurde dabei klar: Während Christian Lindner als Bundesfinanzminister den nie versiegenden Geldtopf aus dem Märchen zu besitzen scheint, beginnt im Bezirk der Geldquell zu versiegen. Quietschen tat es nicht, aber nach vielen Jahren der Erholung ging es plötzlich wieder ums Sparen.
Nicht am Donnerstag, sondern am Freitag um 0:17 Uhr ist es geschafft. Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hat den Haushalt für den Bezirk beschlossen. Auf den ersten Blick geht es um viel Geld: 1,2 Milliarden Euro kann Mitte pro Jahr ausgeben. Auf den zweiten Blick geht es um wenig Geld: wirklich frei verfügbar ist für den Bezirk nur wenig. Und von diesem kleinen freien Budget soll abgeknappst werden. So lautet die Vorgabe des Senats. Der Bezirk muss acht Millionen Euro einsparen. Ein Betrag, der angesichts der frei verfügbaren Positionen viel Geld darstellt. Im nächsten Jahr soll Mitte zehn Millionen Euro einsparen. Das Wort “Unterfinanzierung”, bekannt aus den Sparjahren, kehrt in den Sprachgebrauch der Bezirks(!)-politik zurück.
Die altvertraute Frage: Sparen mit der Gießkanne?
Der Streit in der Versammlung der Bezirksverordneten drehte sich zum einen die Frage, wie das Minus aufgeteilt werden soll. Sollen die einzusparenden Gelder bei den Fachämtern gestrichen werden oder sollen sie auf einen Schlag bei allgemeine Finanzangelegenheit untergebracht werden? Für letzteres hat sich die Partei Die Linke starkgemacht. Unermüdlich warb der Sprecher für Finanzen, Thilo Urchs, für diese Idee. Er sagte, durch eine Aufteilung der Einsparungen auf einzelne Bereiche wird die Konkurrenz zwischen diesen forciert. Die Bezirkspolitik solle stattdessen die weitere Entwicklung abwarten und anschließend entscheiden. Er führte als Beispiel mehrmals die Jugendhilfe an. Er sagte, dass es bisher Konsens gewesen sei, die Gelder bei den Schwächsten einzusetzen und nun werde gespart.
Die Parteien der Zählgemeinschaft, das Grüne und SPD, verteidigten ihren Vorschlag, die Einsparungen aufzuteilen. Dies sei ein Haushalt, der eben nicht auf rote oder grüne Theme schaue, sagte Hoang Anh Nguyen von den Grünen. Susanne Fischer von der SPD sagte, der künftige Haushalt sei zukunftssicher und setze die richtigen Schwerpunkte. Bei der Schulbildung, bei Grünflächen, bei den Obdachlosen, bei der ehrenamtlichen Gremienarbeit.
Fazit: Zu beobachten war eine von früher vertraute Rotstift-Debatte.
Handwerkliche Mängel oder weise Voraussicht?
Ein anderer Streitpunkt war der Vorwurf “handwerklicher Mängel”, die Sebastian Pieper von der CDU bemängelte. Zu konkreten Punkten wie das Beratungsangebot MachBar im Brunnenviertel habe das Bezirksamt lediglich vage Listen zur Verfügung gestellt. Es falle das Wort “voraussichtlich”, es fehlten konkrete Summen für konkrete Fragen. Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel antwortete, nur durch “ca. und vage” lasse sich in der augenblicklichen Situation überhaupt ein Haushalt aufstellen. Es drohe, dass der Bezirk Regulierungswünschen des Senats nachkommen müsse; deshalb müsse der Haushalt “atmen” können. Sebastian Pieper hielt dagegen, dass nicht das Bezirksamt über den Haushalt entscheide, sondern die Verordneten. Tatsächlich ist laut Gesetz der Beschluss des Bezirkshaushalts eines der wenigen Punkte, über die die BVV ausdrücklich entscheiden darf.
Für die Zählgemeinschaft um Grüne und SPD ist der “atmende” Haushalt wichtig, denn der Senat war bei der Debatte um das liebe Geld der stets unsichtbare Verhandlungspartner. Immer wieder spekulierten die Politiker, was der Senat als Nächstes tun werde. Grund dafür ist, dass der Bezirk nur wenige Möglichkeiten hat, um selbst an Geld zu kommen. Er darf keine Steuern erhöhen oder einführen. Die Höhe der Gebühren ist festgelegt. Den Löwenteil seiner Einnahmen bekommt er vom Senat zugewiesen wie ein VEB-Betrieb in einem Kombinat der DDR.
Beschluss in letzter Minute
Nach zahlreichen Anträgen schafften es die Verordneten in beinahe letzter Minute die alles entscheidende Drucksache 3374 noch vor 23 Uhr aufzurufen. Damit durfte 3374 noch bis zu Ende verhandelt werden. Und das dauerte deutlich mehr als eine Stunde. Es gab ungewöhnliche zahlreiche Änderungsanträge, Beschlussempfehlungen und Unterpunkte. Dabei den Überblick zu behalten ist auch ein Grund von vielen, warum Haushaltsberatungen im politischen Geschäft als Königsdisziplin gelten. Und das auch dann – oder vor allem dann – wenn das Verteilen von Mehreinnahmen aufhört.
1200 Millionen Euro ist die Zahl die man sich besser vorstellen kann. Eintausendzweihundertmillionen. Diese Zahl verspricht das der Bezirk keines Wegs an Armut leidet. So könnte man aus dem Schillerpalais ein Parkhaus machen
und die Müllerstr. hätte endlich seinen Radweg. Ferner könnte es vielmehr Galerieräume geben und der Freie Szene
bessere Förderungen vergeben.
Ja, 1,2 Milliarden Euro sind viel Geld. Dennoch ist der Großteil davon an einen bestimmten Zweck gebunden. Der größte Brocken sind 800 Millionen (0,8 Milliarden) für den Bereich Soziales. Darunter fallen unter anderen Kosten für Kita, Arbeitsmarktpolitik und Unterkunftskosten Hartz IV. Das sind Gelder, die der Bezirk vom Senat zugewiesen bekommt und die er als Behörde vor Ort ausgibt. Er kann an diesen Stellen sehr wenig frei entscheiden, sondern erfüllt Rechtsansprüche.
Der Bezirk ist nur sehr begrenzt eigenständig, eher vergleichbar mit einer Schule. Die zwar viel Umsatz macht, wenn man die Gehälter der Lehrer addiert. Aber dennoch hat der Direktor nur die Portokasse zur freien Verfügung. Deshalb führen kleine Kürzungen dazu, dass im Bezirk das Geld knapp wird wie im Artikel beschrieben.
Zu allererst sollte innerhalb des Bezirkes geschaut werden, unnötige kosten zu vermeiden.z.B.
Durch Baugerüste, die schon länger als 2 ganze Jahre an den schulgebäuden Antonstr./Plantagenstr. stehen.
Inzwischen mußten die Sicherheitsnetze sogar erneuert werden, weil vom Wind zerfetzt.
Jetzt sieht man hier u.da , dass etwas getan wird…die deutschen Mühlen malen einfach viel zu lange !
Da sprechen Sie die grundsätzliche Frage an, wie Verantwortung statt formale Pflichterfüllung in die Verwaltung zu bringen sei. Das ist die nächste Herkulesaufgabe, die auf Corona und Ukraine folgen müsste. Ich bin gespannt, welche Partei sich dieses Problems auf seriöse Weise annimmt.
Und nun ist das Mantra vom Grünflächenamt noch stärker “Kein Geld, kein Personal” also können die Grünanlagen im Kiez weiter wuchern und verfallen.. Glückwunsch!!
Ich glaube, Cecilia, hier kommt die Kritik zu früh. Ich jedenfall beobachte genau das Gegenteil. Derzeit sieht man ja überall, dass das SGA (anders als in den Vorjahren) die Grünflächen bearbeitet. Sogar bei Dir vor der Haustür ist das so. Hast Du mal die Stralsunder angesehen? Ich war sehr überrascht, dass man sogar dort tätig geworden ist. Wann war da zum letzten Mal jemand, vor zehn Jahren? Ich sehe das gerade an vielen Stellen im Wedding, dass Grünflächen gepflegt werden. Ob das so bleibt, ist eine andere Frage. Aber im Moment sieht es eher besser als schlechter aus, finde ich.