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Berliner Mauer: Eine Geschichte von anno dazumal?

5. November 2014
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Blick auf den ehemaligen Mauerstreifen an der Bernauer Straße. Foto: Hensel
Blick auf den ehe­ma­li­gen Mau­er­strei­fen an der Ber­nau­er Stra­ße. Foto: Hensel

Kolum­ne Die bei­den Halb­wed­din­ge­rin­nen wis­sen ver­mut­lich nicht, wovon ich spre­che. Fast jeden Tag über­que­ren sie die ehe­ma­li­ge Gren­ze nahe der Ber­nau­er Stra­ße. Mal lau­fen sie hin­über zum Mit­te-Wohn­sitz, mal radeln sie zurück zum Wed­ding-Domi­zil. Manch­mal fah­ren sie mit der U‑Bahn unten durch, gele­gent­lich fol­gen sie dem Grenz­strei­fen mit der Stra­ßen­bahn in Rich­tung Prenz­lau­er Berg ohne einen Gedan­ken an die Bedeu­tung des his­to­ri­schen Schauplatzes.

Die Mau­er ist für die Kin­der nur eine Geschich­te von frü­her. Es ist wie damals, als mein Urgroß­va­ter immer vom Kai­ser (dem ech­ten Kai­ser, nicht der Super­markt!) sprach. Auch die Gedenk­stät­te an der Ber­nau­er Stra­ße sagt ihnen wenig. Es ist ein Ziel von lang­wei­li­gen Schulex­kur­sio­nen oder eine Art Skulp­tu­ren­park, nur ohne rich­ti­ge Skulp­tur. Für sie gibt es kei­ne Gren­ze, kei­ne ech­te und kei­ne gefühlte.

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Die Stä­be mar­kie­ren den Mau­er­ver­lauf. Für den klei­nen Wed­din­ger ein pri­ma Ort zum durchschlängeln.

Die Halb­wed­din­ge­rin­nen ver­bin­den nichts mit der Mau­er, sie sind zu jung. Oder zu alt, denn der klei­ne Wed­din­ger ist ganz begeis­tert davon. Er läuft gern durch die ros­ti­gen Stä­be, steigt auf den Beob­ach­tungs­turm und will dann wis­sen, auf wel­cher Sei­te der Böse gewohnt hat. Völ­lig unver­ständ­lich ist für ihn beim Blick auf die Land­kar­te, wie man einen so gro­ßen Teil der Stadt ein­mau­ern konn­te. Beson­ders inter­es­siert ihn, wie das alles genau von­stat­ten gegan­gen ist: Haben die Leu­te das denn nicht gemerkt? Wie lan­ge hat das denn gedau­ert, eine so lan­ge Mau­er zu bau­en? Hast Du auch mit­ge­baut, Mama?

Ein belieb­tes Spiel ist auch, zu über­le­gen, auf wel­cher Sei­te die Omas und Opas gewohnt haben. Sehr fas­zi­niert hat ihn die Infor­ma­ti­on mit den zuge­mau­er­ten Fens­tern. Immer wie­der fragt er: Waren alle Fens­ter in der DDR zuge­mau­ert? Nein, sage ich, nur die direkt an der Mau­er. Aber wie­so denn das bloß, fragt er zurück, und ich könn­te die Lis­te sei­ner Fra­gen belie­big fort­set­zen … Den klei­nen Wed­din­ger inter­es­siert die Mau­er. Aber ihn inter­es­sie­ren auch Schif­fe, und man kann ja nie wis­sen, wel­ches The­ma er aus sei­ner Kind­heit mit­neh­men wird in die Welt der Erwach­se­nen. Aber ich wür­de sagen, die Mau­er hat gute Chancen.

Ich selbst war vor zwei Jah­ren mal auf einer Büh­ne zu Gast, um von mei­ner Ost­bio­gra­fie zu erzäh­len und davon, wie ich im ehe­ma­li­gen West-Ber­lin zurecht­kom­me und wie sich des Kurio­sum anfühlt, dass mein Wes­ten (Wed­ding) nun der arme Wes­ten ist, der an den rei­chen Osten (Mit­te) grenzt. Zusam­men­fas­send kann ich sagen, dass ich froh bin, dass die Mau­er weg ist und dass ich gut zurechtkomme.

Anders als die Halb­wed­din­ge­rin­nen kann ich, das erklär­te ich damals auch dem Mode­ra­tor, die Mau­er füh­len, wenn ich die Ber­nau­er Stra­ße über­que­re. Wegen der Mau­er ist mein Vier­tel irgend­wann zur Sack­gas­se gewor­den und eine Sack­gas­se ist es bis heu­te, auch wenn ich die Brun­nen­stra­ße von Ost nach West und wie­der zurück ent­lang gehen kann sooft ich

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Tou­ris­ten schau­en vom Aus­sichts­turm in der Ber­nau­er Stra­ße auf die Muse­ums­mau­er. Auch wir stei­gen hier ab und zu gern hin­auf und gucken runter.

will. Es tref­fen hier noch immer zwei Sack­gas­sen auf­ein­an­der, die bei­de Brun­nen­stra­ße hei­ßen. Das liegt sicher an der stark befah­re­nen Ber­nau­er Stra­ße, die eine städ­te­bau­li­che Bar­rie­re ist. Es liegt aber auch an der lan­gen Tei­lung, die auch den Sozi­al­raum bru­tal zer­schnit­ten hat.

Ich weiß nicht mehr genau, ob ich Wes­si oder Ossi bin. Ich bin ver­mut­lich ein Wed­din­ger Ossi gewor­den. Ganz sicher weiß ich aber, dass ich bestimmt noch mal 25 Jah­re brau­che, bis ich mich so unbe­fan­gen durch die Stadt bewe­ge. So wie die Kin­der es heu­te schon tun.

Foto/Text: Domi­ni­que Hensel

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