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“Berliner Macht”: Mörderjagd im Wedding

20. Februar 2013
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Da heißt es immer, der Wedding sei kriminell. In diesem Fall wird aber zunächst einmal nur die verweste Leiche im Wedding, genauer gesagt in Gesundbrunnen, gefunden….

Ullrich Wegerich
Der Autor Ull­rich Wegerich

Manch­mal stellt sich die­ses Gefühl beim „Tatort“-Schauen ein: man kennt viel­leicht den Schau­platz, der da in Sze­ne gesetzt wird. Weil man den Stadt­plan im Kopf hat, ärgert man sich aber viel mehr über unrea­lis­ti­sche Regie-Knif­fe oder unlo­gi­sche Hand­lungs­strän­ge als über den Fall selbst. Das, so denkt man, wür­de einem bei die­sem Kri­mi, der im Wed­ding spielt, ganz genau­so pas­sie­ren. Aber der Roman stellt in jeder Hin­sicht eine posi­ti­ve Über­ra­schung dar.

Das (ers­te) Opfer in „Ber­li­ner Macht“ ist ein Hartz IV-Emp­fän­ger aus einer armen Gegend, die dafür den umso klang­vol­le­ren Namen Gesund­brun­nen trägt. Auch wer die Stadt nicht kennt, steigt schnell in die Milieus des neu­en Ber­lin ein, wenn er das Buch „Ber­li­ner Macht“ von Ull­rich Wege­rich liest. Die Ermitt­lun­gen füh­ren den Kri­po-Kom­mis­sar Mann­heim und sei­ne Kol­le­gin in Lebens­wel­ten, die hart von­ein­an­der abge­grenzt sind: der arme Wed­ding, der neu­rei­che Prenz­lau­er Berg und die poli­ti­sche Sze­ne der Bun­des­haupt­stadt. Alle Figu­ren sind sorg­sam aus­ge­ar­bei­tet, die Umfel­der der Prot­ago­nis­ten sehr genau in Sze­ne gesetzt. „Ich stel­le mir für jede Roman­fi­gur immer eine Per­son vor, die ich ken­ne, und dich­te etwas hin­zu“, beschreibt der Autor den Ent­ste­hungs­pro­zess. So habe auch die jun­ge pol­ni­sche Kin­der­gärt­ne­rin aus dem Roman ein rea­les Vor­bild – Ull­rich Wege­richs Nach­ba­rin in Char­lot­ten­burg. Und auch mit dem Kom­mis­sar hat der 57-Jäh­ri­ge etwas gemein­sam – die Her­kunft aus Mainz am Rhein und den Wohn­ort in Charlottenburg.

„Ich ken­ne das Umfeld der Jus­tiz- und Poli­zei­be­am­ten aus mei­ner eige­nen Bio­gra­phie her­aus sehr gut“, erklärt Ull­rich Wege­rich. Wie es in deut­schen Amts­stu­ben abgeht, auf­ge­zeigt am Bei­spiel der unkla­ren Hier­ar­chien und wech­seln­den Befind­lich­kei­ten hin­ter den Mau­ern der Ber­li­ner Poli­zei­be­hör­den, wird im Roman der­art prä­zi­se beschrie­ben, dass es der Leser dem Autor sofort abkauft. Das ist kein Wun­der, denn die Milieu­be­schrei­bun­gen las­sen durch­schim­mern, dass der Autor stu­dier­ter Sozio­lo­ge ist. Und auch sei­ne Orts­kennt­nis beruht auf eige­ner Erfah­rung: Anfang der 1980er Jah­re hat Ull­rich Wege­rich im Moa­bi­ter Ste­phan­kiez gewohnt und hat­te damals vie­le Bekann­te, die im Wed­ding leb­ten. Noch heu­te fin­det er den Wed­ding mit sei­nen vie­len Span­nungs­fel­dern „ein­fach klas­se“, gera­de weil er räum­lich so nah an Gebie­ten liegt, die von völ­lig ande­ren sozia­len Schich­ten geprägt sind.

Um das Reiz­the­ma Gen­tri­fi­zie­rung geht es natür­lich auch. Denn die Woh­nun­gen der städ­ti­schen Woh­nungs­bau­ge­sell­schaft am Gesund­brun­nen sol­len an einen aus­län­di­schen Inves­tor ver­kauft wer­den, der alles moder­ni­sie­ren und anschlie­ßend teu­er ver­mie­ten will: „Die Leu­te, die hier woh­nen, sind alle arm“, heißt es im Roman. „Die kön­nen kei­ne hohen Mie­ten zah­len, das Job­cen­ter macht das nicht mit.“ Das ist alles nichts Neu­es – jeden­falls für uns im Wed­ding. Aber schon in ande­ren Ber­li­ner Stadt­tei­len oder gar im wohl­ha­ben­den Wes­ten unse­res Lan­des ver­hält sich das ganz anders. Da kommt Ull­rich Wege­richs Kri­mi genau rich­tig: Er ver­packt die sozia­len Ver­än­de­run­gen, die sich in unse­ren Kiezen abspie­len, in eine span­nen­de Kri­mi­hand­lung, um sie so auch jen­seits der Gren­zen des Wed­dings bekannt und ver­ständ­lich machen zu können.

Wie die Roman-Kom­mis­sa­re schnell fest­stel­len, unter­schei­den sich die Träu­me und Hoff­nun­gen des Opfers so sehr von der Rea­li­tät wie – sagen wir – Karl-May-Bücher vom heu­ti­gen Ame­ri­ka. Die­ser Ver­gleich ist sogar gar nicht weit her­ge­holt, denn schließ­lich ist Ull­rich Wege­rich in sei­nem Haupt­be­ruf Autor zahl­rei­cher Wes­tern-Gro­schen­ro­ma­ne…. Mit sei­nen Kom­mis­sar Mann­heim-Kri­mis (es gibt noch einen Char­lot­ten­burg-Kri­mi und bald auch einen aus „Kreuz­kölln“) zeigt Ull­rich Wege­rich jedoch, dass die sozia­len Miss­stän­de in die­ser Stadt mehr Stoff her­ge­ben als Tri­vi­al­li­te­ra­tur vom Zei­tungs­ki­osk. Man kann daraus gute Kri­mis stricken.

“Ber­li­ner Macht” bei Königs­hau­sen und Neumann

bei Ama­zon

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

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