Unsere Autorin stellt den Pflegestützpunkt Wedding vor. Die Pflegestützpunkte sind eine große Errungenschaft für die Sicherstellung des Wissens und der Entscheidungen zu den persönlichen Pflegebedarfen im Alter und fördern durch ihre umfassenden Beratungstätigkeiten insbesondere auch den Verbleib in der eigenen Wohnung.
Auf der Basis des im Jahr 2008 geänderten Pflegeversicherungsgesetzes (§ 7c SGB XI) hat jeder Pflegebedürftige Rechtsanspruch auf qualifizierte und individuelle und zudem kostenfreie Beratung. In Berlin gibt es je Bezirk drei wohnortnahe Pflegestützpunkte (PSP), die im Auftrag der Pflegekassen und des Landes Berlin tätig sind.
Seit wann ist dieser PSP-Standort aktiv und wie umfangreich ist Ihre Tätigkeit hier vor Ort im Wedding?
Dietmar Kruschel: Der Weddinger Pflegestützpunkt in der Reinickendorfer Straße 61 hat eine lange Tradition an diesem Standort. Wir sind ein Beratungsteam und stehen zu Sprechzeiten und nach Vereinbarung für Beratungen zur Verfügung. Wir beraten auch per Telefon, per Mail, per Video und wir machen bei Bedarf auch Hausbesuche. Die Beratung erfolgt trägerunabhängig und kostenlos.
Was genau ist die Tradition und Geschichte dieses Ortes?
Das Anliegen, ältere Menschen zu beraten, begann vor mehr als 30 Jahren, als das EGZB hier vor Ort das Projekt Altenberatung eröffnete. Es gab die engagierte Ärztin der Geriatrie, Professor Dr. Steinhagen-Thiessen, die ein mehrstufiges Versorgungssystem mit u.a. einem Geriatrischen Krankenhaus, einer Tagesklinik, geriatrischer Forschung und, Beratung der älteren Menschen in ganzheitlicher Perspektive entwickelt hat. Ziel war es, ältere Menschen bestmöglich zu unterstützen. Das Projekt wurde durch den Bezirk und ab 1999 durch das Land Berlin gefördert. Es entwickelten sich Koordinierungsstellen. Der Bezirk Wilmersdorf war im Jahr 1988 damit eine der ersten. Im Jahr 2009 wurden aus den Koordinierungsstellen vom Land Berlin geförderte Pflegestützpunkte. Dazu kamen weitere Pflegestützpunkte die von den Pflegekassen getragen wurden. Inzwischen gibt es in jedem Berliner Bezirk drei Pflegestützpunkte.
Herr Kruschel, Sie leiten diesen Beratungsdienst seit einiger Zeit und sind nicht nur als Leiter tätig, sondern auch im Wedding für Ihre Aufgabe vernetzt. Wo sind Sie aktiv?
Es gibt drei Runde Tische Senioren (RTS) im Bereich des ehemaligen Bezirks Wedding, im Sprengelkiez, im Gesundbrunnen und im Parkviertel. Einen weiteren runden Tisch gibt es in Moabit. Den Runden Tisch Senioren Parkviertel habe ich mitbegründet.
Sehr wichtig sind bei diesen Netzwerktreffen z. B. die Blitzlichtrunden, um den aktuellen Stand der Angebote für ältere Menschen zu erfahren. Weiterhin bin ich Sprecher im GGVM (Geriatrisch-Gerontopsychiatrischer Verbund Mitte), ein Verbund, der sich um verbesserte Versorgung älterer Menschen, unter anderem auch bei dementieller Erkrankung bemüht. Soeben bereite ich mich auf die 69.Verbundskonferenz des GGVM, die Mitte April 2024 im Weddinger Alloheim stattfinden wird, vor.
Wie viele Bürgerinnen und Bürger kontaktieren Sie monatlich zur Pflegeberatung?
Im vergangenen Jahr wurden über 3200 Personen beraten, das sind etwa 270 Beratungen pro Monat.
Es gibt eine aktuelle Studie des Instituts für Allgemeinmedizin de Charité auf der Grundlage der COMPASS I und II-Studien, wonach 60% der heimischen Ärzte die Pflegestützpunkte noch gar nicht kennen.
Ja, wir kennen die Studie auch. In den letzten Jahren hat sich zwar einiges verbessert. Auch Ärzte erkennen zunehmend, wie hilfreich eine qualifizierte Beratung zu Pflegethemen ist. Trotzdem würden wir uns wünschen, dass noch mehr Ärzte auf uns hinweisen bzw. zu uns vermitteln. Wir selbst machen sehr viel Werbung für unsere Beratungsangebote. Das geschieht u.a. im Internet, auf Instagram, mit Hilfe des Heftes Journal 55Plus, über Flyer und auch über unsere Referenten vor Ort in den Seniorenbegegnungsstätten.
Wir sind telefonisch unter der Telefonnummer 030 4594–1103 zu erreichen. Und nicht zu vergessen: Die Berliner Pflegestützpunkte haben eine kostenfreie 0800-Nummer, über die man sich mit uns in Verbindung setzen kann: Telefon 0800 59 500 59 (Montag bis Freitag von 9 bis 18 Uhr)
Auch gibt es zur Zeit 15 sog. Brückenbauerinnen, die selbst mit Migrationshintergrund eingesetzt sind und weitere 16 Sprachen wie u.a. Türkisch und Arabisch sprechen und uns bei der Beratung unterstützen. Auch diese Angebote werden weit verbreitet beworben.
Was sind die Hauptanliegen der Ratsuchenden zur Pflege im Alter?
Geschätzt über 90% der älteren Menschen möchten in ihrem Zuhause verbleiben und dort ihre Tage verbringen. Wir geben deshalb viele Beratungen auch zu Haushaltsunterstützungen und Einkaufshilfen. Unser Anliegen ist die leistungserschließende Beratung. Wir stellen auch bei Bedarf Anträge für die Ratsuchenden.
Was die Haushaltsunterstützung angeht, gibt es mittlerweile neben den eigenen Angehörigen anerkanntermaßen auch die Nachbarschaftshilfe, wofür Helfende ein Zertifikat erwerben müssen, um dann ihrerseits ihre Einsätze direkt mit der Pflegekasse abrechnen zu können. Neben den Pflegedienstleistern gibt es Angebote zur Unterstützung im Alltag (AUA). Für eine präzise Suche steht auch die Webseite der KPU (Kontaktstelle Pflegeunterstützung) zur Verfügung. Wer Hilfe bei der Suche benötigt kann sich natürlich gerne an uns wenden.
Inwieweit ist barrierefreies Wohnen ein Problem für Pflegebedürftige und was und wieweit kann man für Mieter Positives erreichen, wenn Umbauten nötig sind?
Da die alten Menschen gern zuhause verbleiben möchten, ist ein weit verbreitetes Anliegen die Barrierefreiheit in den Wohnungen. Hier hat man einen Rechtsanspruch nach BGB auf Umbau der Schwellen und der Badewannen und Duschbäder. Manche Mieter müssen dies allerdings einklagen.
Die Bedingungen für einen behindertengerechten Wohnungsumbau sind bei manchen Vermietern umfangreich. Manchmal sind 15 Punkte zu erfüllen, bevor ein Umbau genehmigt wird.
Man kann dafür auch bis zu 4000 € von der Pflegekasse erhalten, wenn ein Pflegegrad besteht. Schwierig wird diese Angelegenheit dann, wenn der Vermieter auf dem kostspieligem Rückbau der Umbauten zu Lasten des Mieters besteht, wenn das Mietverhältnis endet.
Wenn Pflegegeld bezogen wird, ist ab Pflegegrad 2 eine regelmäßige Pflegeberatung im häuslichen Umfeld Pflicht. Dies wird Beratungseinsatz genannt. Was können Sie dann tun?
Die Pflegebedürftigen werden angeschrieben, um in einem Gespräch sicherzustellen, dass die Pflege sichergestellt ist. Bei Pflegegrad 2 und 3 ist dies halbjährlich angeordnet und bei Pflegegrad 4 und 5 ist dies vierteljährlich angeordnet. Wir werden die Ratsuchenden, die brieflich angeschrieben werden an die beratenden Pflegedienste weiterleiten. Säumige Pflegepersonen werden, wenn sie die Fristen überschreiten, gemahnt. Wenn dann immer noch keine Reaktion erfolgt, wird die Zahlung des Pflegegeldes eingestellt.
Herr Kruschel, wie sehen Sie die nahe Zukunft der allgemeinen Pflegesituation?
Insgesamt ist ein Anstieg der Beratungsbedarfe zu bemerken. Früher gab es einen Arbeitgebermarkt in der Pflege, heute fehlen Pflegekräfte und Fachkräfte. Es wird vom Pflegenotstand gesprochen.
Es gibt einen Mangel an Angeboten.Iim Bezirk Mitte schlossen 5 Pflegeheime, alleine im Wedding waren es letztlich drei große Wohnbereiche wie, in der Schulstraße, das EGZB und das Wohnheim des JSD im Paul-Gerhardt-Stift. Man kann feststellen, dass aufgrund der geringeren Ressourcen wie Arbeitskräfte und Wohneinheiten im Pflegebereich Beratungen durchaus schwieriger werden. Trotzdem können wir in den allermeisten Fällen Lösungen finden.
Text und Fotos: Renate Straetling
LINKS
Pflegestützpunkt (PSP) Wedding
https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_11
Hilfelotsen
https://www.hilfelotse-berlin.de
IBIP
//paedagogische-professionalitaet.de/team-brueckenbauerinnen
Erkenntnisreicher Artikel. Zum Abriß des ehemaligen, einst bezirkseigenen Seniorenheimes, Schulstr. 91 ‑97 gelegen, lediglich einige Anmerkung. Die Baukosten der Gebäude wurden seinerzeit, Anfang der Fünfziger, zum großen Teil durch die britische Regierung getragen. Ich selbst kenne Fotos, die den seinerzeitigen englischen Premier, Clement Attle, bei der Grundsteinlegung zeigen. Jahrzehntelange Vernachlässigung der Bausubstanz sowie versäumte Modernisierungsmaßnahmen führten schließlich zum Abriß. In Erinnerung blieb mir der großzügige Speisesaal im Stil der klassischen Moderne. Denkmalschutz griff leider nicht, weswegen das schöne Ensemble in Pavillonbauweise auf Erdgleiche gebracht wurde. Eine Schande für die Stadt Berlin. Der an gleicher Stelle in Errichtung befindliche Schulbau ist profan, langweilig und spiegelt den Zeitgeist. So ist der Lauf der Zeit. Das vom Bezirk von der DeGeWo in der Graunstr. angemietete Gebäude, hatte noch eine weitaus geringere Lebensdauer. Wenn ich mich recht entsinne, etwa Anfang der Achtziger in Betrieb genommen und bereits um 2010, wenn nicht früher, wieder abgerissen. Lediglich das Heim in der Schwyzer Str., gleichfalls einst bezirklich betrieben, ist unter anderer Trägerschaft erhalten geblieben.
Spannend! Gibt es eigentlich irgendwo so etwas wie ein Fotoarchiv zur Bezirks- oder wenigstens zur Stadtgeschichte?? Ich vermute mal – nein, oder?
Wenn eines Tages überall nur noch hippe Townhouses herumstehen wird dann eben auch niemand mehr wissen, wie zu einer Zeit, als sich der sog. „Otto-Normalverbraucher“ noch eine Wohnung in der Stadt leisten konnte, ein typischer Berliner Original-Altbau ohne ein zum Penthouse umgebautes Dach und diese Plastikfassadendämmung ursprünglich mal ausgesehen hat.
Andererseits könnte es aber genausogut passieren, dass in einer vermutlich nicht mehr allzufernen Zukunft die Besserverdiener aufgrund des anstehenden Klimawandels (in Tateinheit mit der wie stets hinterherhinkenden Politik) vor den sich immer stärker aufheizenden Innenstadtbezirken Reißaus nehmen werden…