In keinem anderen Bezirk scheinen sich die Städteplaner der Nachkriegsjahre so radikal über die historische Stadt hinweg gesetzt zu haben wie im Wedding. Um dem Bezirk seine Zweitklassigkeit zu nehmen und den Bevölkerungsrückgang zu stoppen, so jedenfalls die historischen Quellen, sollte der Wedding radikal umgebaut werden. Alleine im sogenannten Brunnenviertel wurden im Rahmen von Sanierungsprogrammen Wohneinheiten von ca. 50.000 Bewohnern ohne Not dem Erdboden gleichgemacht.
Genau dieser Zeit und den damals in Berlin errichteten Bauwerken widmet sich der von Adrian von Butler, Kerstin Wittmann-Engelbert und Gabi Dolff-Bonekämper herausgegebene „Architekturführer Baukunst der Nachkriegsmoderne“. Von den 262 genannten Objekten entfallen leider nur elf auf den einstigen Arbeiterbezirk.
Das Buch enthält allerdings, eher untypisch für solche Handbücher, sehr lesenswerte Einführungen, die die Architekturtheorie der Zeit darstellt. Es wird deutlich, wie das Baugeschehen der 1950er und 60er Jahre in Berlin nicht nur Ausdruck der Systemkonkurrenz in Ost- und West-Berlin war, sondern zugleich dessen Medium wird. Dies gilt vor allem auch für den damals an der Sektorengrenze gelegenen Bezirk Wedding. Die in den Jahren 1953 bis ‑55 zwischen der Acker- und der Gartenstraße errichtete Ernst-Reuter-Siedlung bildet dafür ein anschauliches Beispiel.
Zu den bekannten und bereits mehrfach gewürdigten Bauten aus jener Zeit gehören das Rotaprint-Gelände, das Neue Rathaus Wedding von Ernst Bornemann mit dem BVV-Saal, die ehemalige Mensa der Beuth Hochschule, die heute vom Atze Musiktheater genutzt wird und – wie sollte es anders sein – die Verwaltungs- und Laborgebäude von Schering aus den 1970er Jahren. Hervorzuheben ist, dass das Arbeitsamt Müllerstraße von Bruno Grimmek mit seiner zeittypischen Rasterfassade, aber vor allem auf das Altenheim in der Schulstraße von Werner Düttmann Erwähnung findet.
Angesichts der Wertschätzung für die Nachkriegsmoderne belieb das Interesse an den Konzepten der unmittelbaren Nachkriegszeit eher gering. Dabei wäre gerade die Frage der Kontinuität der Zeit von und nach 1945 ein wichtiges Thema. So fehlt für den Wedding eines der beachtenswerten Gebäude, das Haus der Jugend am Nauener Platz, das mit Mitteln des Marshallplanes errichtet worden ist. Wer die Wohnanlage am Nachtigalplatz im Afrikanischen Viertel von Werner Harting aus dem Jahre 1938⁄39 kennt, wird hier starke Ähnlichkeiten entdecken.
Auch eines der zentralen Bauvorhaben der Nachkriegszeit im Wedding ‚die Neubauten in der Kösliner Straße, fehlt. Es wäre erwähnenswert gewesen, da es sich um das erste Sanierungsgebiet handelt. Ganz nebenbei haben hier die ortsansässigen SPD-Genossen ihre eigene Geschichte, nämlich des einstigen „Roten Wedding“, mit der Abrissbirne entsorgt.
Es hätte dem Buch mit seinen 460 Seiten sicher auch gut getan, wenn die Autoren nicht auch die bereits oft beschriebenen zentralen Berliner Bauwerke dieser Epoche mit behandelt hätten. So wäre sicher Platz gewesen für die die Ernst-Reuter-Schule in der Stralsunder Straße, des Studentenwohnheim “Ernst Reuter“am Sparrplatz, das Kurt-Schumacher-Haus in der Müllerstraße oder das ehemalige Diesterweg-Gymnasium in der Swinemünder Straße.
Unbearbeitet blieben die Notkirche auf dem Friedhof an der Grenzstraße und die Himmelfahrtskirche an der Gustav-Meyer-Allee (beide von Otto Bartning). Fans des Kirchenbaues der Nachkriegszeit können sich allerdings freuen. Ein Buch zu den Kirchen aus dieser Zeit, geschrieben von Nikolaus Bernau und mit Fotografien von Patrick Vogt, wird demnächst in den Buchläden erhältlich sein. Und da findet sich dann auch die Dankeskirche auf dem Weddingplatz von Fritz Bornemann, die im beschriebenen Architekturführer leider auch fehlt.
Autor: Eberhard Elfert
Die Rezension ist ein erster Einstieg in das Thema. In Kürze folgt ein umfassender Beitrag zum Thema Nachkriegsmoderne im Wedding.
Dolff-Bonekämper nicht Dolfbohnekämper. Steht doch schon auf dem erwähnten Buch.